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zuendung

1. November 2011

Alltagstaugleaf?

Nissan | 0 Kommentare

Heiny Volkart hat den Nissan Leaf für uns ja bereits im Februar gefahren. Ich habe nun die Möglichkeit, das neue Elektroauto von Nissan eine Woche im Alltag zu testen. Doch schon bevor ich die Neuheit testen kann, stellt sich die erste Hürde in den Weg. Denn wie in den meisten Tiefgaragen findet sich auch in […]

Heiny Volkart hat den Nissan Leaf für uns ja bereits im Februar gefahren. Ich habe nun die Möglichkeit, das neue Elektroauto von Nissan eine Woche im Alltag zu testen. Doch schon bevor ich die Neuheit testen kann, stellt sich die erste Hürde in den Weg. Denn wie in den meisten Tiefgaragen findet sich auch in der meinen keine Steckdose in unmittelbarer Nähe zum Stellplatz. So richtete ich die Ladestation von The Mobility House halt im Geschäft ein.

Als ich das weisse Blatt entgegen nehme, wird mir gleich empfohlen zwecks Reichweitenverlängerung auf der Autobahn nicht schneller als etwa 100 km/h zu fahren. Was ich natürlich missachte. Die Quittung folgt sogleich: Mit einer Restreichweite von 11 Kilometer erreiche ich die rettende Steckdose.

Doch wie bin ich überhaupt so weit gekommen? Zum Starten drückt man zunächst den Startknopf. Dass der Motor läuft, erkennt man nur an einer typisch japanischen Willkommensmelodie, die mit dem Aufleuchten der Instrumente zu erklingen beginnt. Statt eines Schalthebels gibt es einen kleinen Knubbel, der genretypisch in Blau gehalten ist. Nach links hinten will eben jener Knubbel gezogen werden, um loszufahren. Ich ziehe jeweils noch ein zweites Mal, womit man von D (für Drive) in den Eco Modus wechselt. Dann ist es zwar, als ob der Leaf noch einen Anhänger mit Rundholz ziehen würde, dafür vergütet er den Leistungsabfall mit grösserer Reichweite.

Wie zu erwarten zieht der kompakte Stromer vom Start weg wunderbar dynamisch los. Da kann kein noch so hoch entwickelter Verbrennungsmotor mithalten, denn dort fällt das Drehmoment immer erst ab einer gewissen Tourenzahl an. Fast wie in einem Supersportwagen haut man sich mit Vollgas den Hinterkopf an die Kopfstütze. Auch deshalb macht ein leichter Gas- bzw. Wattfuss durchaus Sinn. Wenn ich mir richtig Mühe gebe, werde ich im Display unter der Frontscheibe mit kleinen blauen Tannenbäumen belohnt. Ein typisch japanisches Belohnungssystem, das auch bei Europäern erstaunlich gut zu funktionieren scheint.

Weniger gut könnte der Innenraum ankommen. Hier ist alles in einem plüschigen Beige gehalten, das eher an amerikanische Einheitslimousinen der 90er Jahre, denn an ein supermodernes Auto mit wegweisendem Antrieb erinnert. Da passt auch das grosszügig verwendete Hartplastik ins Bild. Zurück in die Moderne reisst mich der grosse Bildschirm, der nicht nur Navigationshinweise und Songtitel bereithält. Im Leaf kann er auch anzeigen, wo sich die nächste Schnellladestation befindet oder wohin man auf der Karte mit der zur Verfügung stehenden Reichweite noch fahren könnte.

Die Reichweite ist ja sowieso das Thema schlechthin bei den Elektroautos. Wo auch immer ich mit dem Leaf auftauchte, kam es innert kürze zur Frage, wie weit man denn mit dem fahren könne. 175 Kilometer meint die Werksangabe. 160 Kilometer meinte jeweils der Bordcomputer. Sicher 60 Kilometer hin und wieder zurück meine ich nach einer Woche mit dem Auto des Jahres 2011. Also 120 Kilometer? Nein. Da man aktuell nicht wirklich damit rechnen kann, dass am Zielort eine Lademöglichkeit vorhanden ist, würde ich diesen nicht weiter weg als eben jene 60 Kilometer wählen. An den noch wenig verbreiteten Schnellladestationen können die Akkus in 30 Minuten zu 80% geladen werden. Die Range Anxiety, also die Angst vor zur Neige gehenden Akkureserven, verändert dann auch den Charakter des Fahrers. Zumindest temporär.

Ich überlege mir gut, ob ich nun die Klimaanlage einschalte, wenn es doch draussen angenehme 20 Grad Celsius warm ist. Wenn der Weg über die Autobahn ähnlich weit ist, wie jener über die Landstrasse, wähle ich den zweiteren. Überhaupt begleitet mich während jeder Fahrt der Gedanke, ob ich es denn wieder nachhause schaffe, oder ob ich unterwegs eine Lademöglichkeit mit Schlafplatz ansteuern muss. Während der Testwoche gewöhne ich mich an dieses Verhalten, so dass es nicht mehr störend wirkt. Nie störend wirkt die Absenz der Motorgeräusche. Jüngere Fahrer werden das Pfeifen des Elektromotors wahrnehmen. Es erinnert zuweilen angenehm an die Geräuschkulisse, wie man sie aus den Flügen mit Langstreckenjets kennt. Doch gerade die Langstrecke sind des Elektromobils Sache nicht.

Nutzt man den Nissan Leaf entgegen seiner Bestimmung, um schnell und sportlich unterwegs zu sein, klaffen Leistung und Fahrverhalten auseinander. Zum einen hat man Power genug, um flott zu beschleunigen und auf Landstrassen mit konventionellen Kompfakten mitzuhalten. Schliesslich stehen 109 PS und 280 Nm zur Verfügung. Zum anderen ist das Fahrwerk dermassen soft abgestimmt, dass man sich in flotteren Kurven an Bord eines kleinen Fischerbootes auf rauer See wähnt. Nein, ein Dynamiker ist er nun wahrlich nicht.

Doch einen Dynamiker suchen die Käufer des Nissan Leaf wohl ohnehin nicht. Wer 50'925 Franken für ein Elektroauto ausgibt, das grössen- und ausstattungsmässig einem etwa 30% günstigeren konventionell angetriebenen Kompaktwagen entspricht, wird sich vor allem ob der lautlosen Fortbewegung erfreuen. Er wird das gute Gefühl geniessen, ganz emissionslos von A nach B zu gelangen. Nicht zu unterschätzen ist der Image-Faktor, der auch dem Hybrid-Pionier Toyota Prius zu ordentlich Schwung verhalf. Und genau da kommt auch die Optik ins Spiel: Der Leaf schaut interessant aus, ohne an ein Verzichtsmobil zu erinnern. Besonders im sinnigerweise Efficient Blue genannten leuchtenden Blau wird man ihn bald vielerorts erkennen. Die Farbe ist übrigens abgesehen vom Winter Pack und dem solarzellenbewehrten Heckspoiler der einzige Punkt auf der Aufpreisliste. So wird er seinen Weg machen, zwar nicht günstig, dafür aber sehr gut ausgestattet und bequem. Platz für vier ist ebenfalls da und die Reichweite langt für die allermeisten Pendler locker aus. Damit verdient er sich das Prädikat "alltagstaugleaf".