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zuendung

9. August 2010

Auto niedrig, Spassfaktor hoch

Peugeot | 0 Kommentare

Konzeptautos ereilt meistens alle dasselbe Schicksal: Als Ideenträger erregen sie Aufsehen an Automobilausstellungen und im besten Fall trifft man sie mal wieder in einem Werksmuseum. Nicht so beim RCZ: Die Rufe «Baut ihn, bitte!» wurden von Peugeot erhört und seit diesem Frühjahr kann man ihn kaufen, in jeder Peugeot-Garage. Grundsätzlich basiert der RCZ (der CR-Z […]

Konzeptautos ereilt meistens alle dasselbe Schicksal: Als Ideenträger erregen sie Aufsehen an Automobilausstellungen und im besten Fall trifft man sie mal wieder in einem Werksmuseum. Nicht so beim RCZ: Die Rufe «Baut ihn, bitte!» wurden von Peugeot erhört und seit diesem Frühjahr kann man ihn kaufen, in jeder Peugeot-Garage.

Grundsätzlich basiert der RCZ (der CR-Z wäre im Fall ein Auto eines andern Herstellers) auf der Plattform des Erfolgsmodells 308, ist aber verbreitert und abgesenkt. Die bewährte Plattform ermöglichte die Entwicklung eines noch bezahlbaren Sportwagens, der dann auch in den entsprechenden Stückzahlen abzusetzen wäre. Die Überlegung könnte aufgehen; das Interesse der Kunden ist gross.

Mit 4.29 m Länge, aber nur 1.36 m Höhe und der Wahnsinnsbreite von 2.11 m, wirkt der RCZ wie ein sprungbereiter Löwe. Durch das nach hinten gezogene Heck erinnert er allerdings auch stark an den Audi TT. Und irgendwie erinnern gewisse Linien auch an den Karmann Ghia der Fünfziger und Sechziger. Das sind ja beides keine schlechten Referenzen. Von vorn ist der RCZ aber 100%ig als Peugeot erkennbar. Durch die breit ausgestellten Kotflügel hinten (die sieht man beim Fahren jeweils in den Aussenspiegeln) wirkt der RCZ eigenständig und vor allem kraftvoll.

Machte am Berg eine gute Falle

Wer den Kauf eines Sportwagens ins Auge fasst, interessiert sich – neben dem Aussehen – vor allem für die Motorisierung. Im Zeichen von Downsizing sind im RCZ keine 6- und 8-Zylindermocken verbaut, nein 1600erli. Der mit BMW zusammen entwickelte 1.6-Liter kleine Turbo-Benziner mit Direkteinspritzung leistet 156 PS mit einem maximalen Drehmoment von 240 Nm schon ab 1‘400 Touren. Das verspricht Fahrspass.
Diese Motorisierung ist statt mit dem serienmässigen manuellen 6-Gang-Getriebe auch mit der brandneuen sequenziellen 6-Gang-Automatik zu haben.
Wer gerne mehr Leistung hätte, wählt den gleich kleinen 1600er als 200 PS-Turbo. 255 Nm (mit Overboost sogar 275 Nm) ab 1700 Touren versprechen noch mehr Fahrspass. Der 200er ist aber leider nur handgeschaltet zu haben. Schade, wo doch selbst die Formel 1 mit Automatik fährt.
Dann muss natürlich heute auch immer ein Diesel im Angebot sein. Der bewährte aber modernisierte 2-Liter HDi leistet im RCZ 163 PS und 320 bis 340 Nm Drehmoment bei 2000 Touren. Turbo mit variabler Geometrie, Hochdruck-Einspritzung (bis 2‘000 bar), Achtloch-Magnetinjektoren, sind da die Stichworte. Für alle vier Antriebsvarianten gilt Euro 5.

Trotz gutem Aussehen und guter Motorisierung sollte aber die Alltagstauglichkeit eines Sportwagens nicht ganz auf der Strecke bleiben. Erstens mal ist der RCZ kein reiner Zweisitzer, sondern ein 2+2. Einschränkend ist dazu allerdings zu sagen, dass da bestenfalls Kleinkinder untergebracht werden könnten (Kindersitz-Verankerung vorhanden!), aber ein gelenkiger Erwachsener könnte quer liegend mal mitgenommen werden zum nahen Bahnhof. Oder so.

Wenn aber ein Paar mit dem RCZ eine Ferienreise unternehmen will, braucht es einen Kofferraum. Und den bietet der RCZ tatsächlich. Die 321 Liter sind mehr als mancher Wagen der unteren Mittelklasse bietet. Dasselbe gilt für die 390 Kg Zuladung. Und dann stehen ja noch die hinteren zwei Sitze als praktische Ablage zur Verfügung. Mit abgelegter Rücksitzlehne könnten sogar sperrigere Güter (Skis) transportiert werden. Das ist jetzt echt gut und erfreulich!

Unser Testwagen
Zur Verfügung stand ein tuanakeblauer (+ Fr. 650.-) handgeschalteter 156 PS-RCZ, der ab Fr. 39‘600 kostet. Für diesen Preis erhält man neben der ganzen Sicherheitsausstattung (ABS mit BKV, ESP, ASR, intelligente Traktionskontrolle, Airbags) zum Beispiel schon die 18-Zoll-Leichtmetallfelgen, getrennte Klimaautomatik, Berganfahrassistent, Parksensoren hinten, Doppelauspuff, elektronisch ausfahrbaren Heckspoiler, uvm.).

Ob das Double-bubble-Dach einmal Kultstatus erreicht wissen wir erst in vielen Jahren.

Unser Testwagen war mit dem Pack „Leder Nappa“ (+ Fr. 3‘500) ausgerüstet, das neben Ledersitzen auch so sinnvolle Dinge wie Lichtautomatik aller Art, Scheibenwischer mit Regensensor, Parksensoren vorn, automatische Rückspiegelverstellung etc. enthält.

Der Bruttopreis von 43‘750 Franken liegt damit wohl noch im Budget von vielen auch jüngeren Interessenten. Zum Kauf empfehlen würden wir das Pack Vision, das für 1‘000 Franken Xenonlicht mit Kurvenlicht bietet und dazu Scheinwerferwaschanlage und Reifendrucksensoren.
Klar gibt’s für 700 Franken auch ein HiFi-System von JBL und für 3‘250 Franken GPS-Navi, USB-Anschluss, Telefon, Spracherkennung, Bluetooth, 30 GB-Festplatte ….
Und für Räderfans stehen sieben weitere 18- und 19“-Felgen zur Auswahl, die nicht über 1‘100 Franken kosten (dafür kostet dann das Ersetzen der Reifen umso mehr).

Wir fahren
Beim Drücken der Zentralverriegelung fahren die riesigen „Ohren“ des RCZ aus. Die Türen öffnen weit, das heisst, es gilt Rücksicht auf daneben stehende Autos zu nehmen. Der Fahrersitz ist vielfach verstellbar, komfortabel, bietet aber auch Seitenhalt und ist sofort sympathisch. Die verschiedenen Wecker am Armaturenbrett stellen keine speziellen Rätsel, darum kann umgehend der Motorstart erfolgen. Wie früher mit dem Schlüssel, was einfacher und vor allem effizienter ist als die modischen Druckknöpfe.
Der Motor säuselt leise und zurückhaltend wie jedes Alltagsauto. Das enttäuscht den Sportwagenbesitzer, freut aber den Nachbarn, der kein Autofan ist.

Zu fahren ist der RCZ wie jedes andere Auto. Auf den zahlreichen und oft sehr langen Autobahnbaustellen ist man theoretisch an die langsame rechte Fahrbahn gebunden. Wer mit dem 2.11 m breiten RCZ trotzdem auf der linken Spur (bis 2 Meter) überholen will, muss entweder die Aussenspiegel einklappen oder sehr gut zirkeln können.

Der Zufall wollte es, dass während der Testzeit auch gerade die 12. Ausgabe eines internationalen Sportwagentreffens stattfand, das vorwiegend von Lamborghini, Ferrari, Maserati und Vipers besucht wird. Der RCZ wurde mitgenommen.
Nach der rasanten Bergfahrt mit einem Lamborghini Gallardo und danach einem F550 Maranello wurde dieselbe Strecke mit dem 1600er RCZ unter die Räder genommen. Der 1350 Kg leichte RCZ machte dabei seine Sache überraschend gut. SLK und Z4 staunten. Dass das beste Drehmoment schon bei tiefen 1400 Umdrehungen zur Verfügung steht hilft, die jeweils kritische Stelle am Ende der Haarnadelkurven zu überbrücken. Da fehlen auch bei hochpotenten Sportwagen immer 100 PS im Rücken. Das einzig Enttäuschende ist der Sound.
Auch in nicht so steilen Kurven erweist sich der RCZ als kurvengierig, liegt sehr gut auf der Strasse, verhält sich neutral, ist wendig, willig, kurz: Macht Spass.

Leider ist der RCZ nur in seriösen Farben zu haben, einem gedeckten Rot, gedeckten Blau, verschiedenen Grau, weiss und schwarz. Wäre er in schreienden Farben und Farbkombi-nationen zu haben, könnte der glatt mit 5- oder 10x so teuren Prestigesportlern mitstinken! Nur der Sound fehlt halt wirklich.

Das Heckflügelchen fährt ab 85 km/h halb und ab 155 km/h ganz aus.

Später bot sich anlässlich einer geschäftlichen Fahrt auf deutschen unbegrenzten Autobahnen auch noch Gelegenheit, das Hochgeschwindigkeitsverhalten zu prüfen. Ab 85 Km/h fährt am Heck ein Spoilerchen halb aus, ab 155 Km/h fährt es ganz aus. Kein Vergleich natürlich zu dem Campingtisch, den z.B. ein 911er da ausfährt, aber das Flügelchen soll helfen, das Heck besser auf die Strasse zu drücken und dabei die Spur besser zu halten.
Ob es automatisch ausfuhr, lässt sich nicht sagen, aber auch bei manueller Betätigung war die grössere Stabilität im Bereich Placebo-Effekt.
Die Beschleunigung des 156er RCZ ist gut, die Schaltung liegt gut in der Hand. Gemäss Prospekt soll er 217 Km/h erreichen. Bis 180 Km/h Dauergeschwindigkeit ist alles OK, bei höheren Geschwindigkeiten versetzt der RCZ auf Querrinnen aber dermassen, dass man sich auf 180 Km/h beschränkt. Bis 200 Km/h wurde ausprobiert, aber dann – vielleicht verwöhnt durch die kurz zuvor gemachten Erfahrungen mit den wie auf Schienen laufenden Gallardo und Freunden – wieder auf sichere 160 bis 180 reduziert.
Ein Langstrecken- und Komfortliner ist der RCZ definitiv nicht.

Trotzdem sparsam
Gespannt waren wir auf den Verbrauch des potenten 1600ers. Dank vielen längeren und ganz unterschiedlichen Stints kann über den effektiven Verbrauch viel ausgesagt werden:
Offiziell soll der RCZ 9,3 Liter städtisch, 5,2 Liter ausserstädtisch und 6,7 Liter Gesamt verbrauchen.
Der Bordcomputer nannte bei Übernahme des Wagens für die gesamten bisher gefahrenen 5000 Kilometer einen Durchschnittsverbrauch von 7,2 Liter auf (bei Rückgabe waren es übrigens 7,1 Liter, was unsere „anständige“ Fahrweise beweist).

Die 7.62 Liter für halb Stadt, halb Autobahn erstaunten dann etwas. Auf der längeren Über-führungsstrecke auf der Autobahn, eher hektisch und zwischen 80 und 140 Km/h gefahren, mit diversen Halten, zeigte der Bordcomputer dann aber nur 6,1 Liter. Trotz der rasanten Bergfahrt zeigte der Bordcomputer bei Heimkehr nach gesamthaft 570 Km nur 6.5 Liter Verbrauch (bei 76 Km/h Schnitt).

Auf der abschliessenden Hochgeschwindigkeitsfahrt zeigte der RCZ zwei Gesichter. Für die langweilige Fahrt in der Schweiz mit 80 bis 120 sank die Computeranzeige bis auf 5,0 Liter. Bei den Fahrten mit 150, 180 und mehr stieg die Anzeige aber ins Unermessliche. 1 ½ Stunden Go and Stop – Fahren im Grossstadtverkehr und die anschliessende Schnellfahrt (160 bis 186) waren dem Verbrauch auch nicht zuträglich. Trotzdem zeigte der Bordcomputer nach 526 Km nur 6,7 Liter an.

Bei den verschiedenen Tankungen zeigte sich, dass der Bordcomputer „bschiisst“:
Bei mehreren Tankungen betrug der effektive Verbrauch 0.3 bis 0.4 Liter mehr als angezeigt.
Der effektive Gesamttestverbrauch von 7,317 Liter darf aufgrund der nicht alltäglichen Fahrweise als angemessen betrachtet werden. Auch wenn mit hohem Spassfaktor gefahren wird, dürften Verbräuche im Rahmen der Werksangabe (6,7 lt) durchaus drinliegen.

Garantien
Serienmässig ist nur das Minimum eingeschlossen (2 Jahre), plus Lack- und Rostschutz-garantie. Die Garantie kann aber um ein, zwei oder gar drei Jahre und bis max. 150‘000 Km verlängert werden und dabei die Kosten auch für Verschleissteile eingeschlossen werden (Swiss Pack Plus). Über die Kosten gibt die Preisliste leider keine Auskunft, also wird’s wohl teuer sein.

Fazit
Ob das «Double-Bubble»-Dach des RCZ je den Kultstatus eines Pagode-SLs erreichen wird, wissen wir in 30 Jahren. Im Moment macht der RCZ jedenfalls viel Spass, sieht rassig aus und ist dank Grossserientechnik bezahlbar. Unter 40‘000 Franken für einen derart potenten und gut ausgerüsteten Individualisten ist schwer übertreffbar.
Das Fahrgestell ist vor allem für den Alltag und für hügeliges oder bergiges Gelände Spitze. Eher unkomfortabel ist es auf schlechten Strassen (unseren „Balkan-Autobahnen“ ) und nicht den sichersten Eindruck hinterlässt es bei Höchstgeschwindigkeitsfahrten (>200 Km/h), was möglicherweise mit dem Verhältnis von Spurbreite und Radstand zu tun haben kann.

Die Alltagstauglichkeit des RCZ ist hoch, man kann damit ruhig jeden Tag entspannt zur Arbeit oder zum Einkaufen fahren, um dann aber am Wochenende damit über ein paar Pässe zu fräsen.

Der Verbrauch ist tief und wird auch bei aggressiver Fahrt nicht allzu übermässig. Wenn die Kinder noch nicht da oder schon ausgeflogen sind und ein Cabrio zu selten gebraucht werden kann, warum dann eine Familienkutsche kaufen? Fürs gleiche Geld gibt’s einen RCZ. Und da macht das Autofahren wieder Spass.

Heiny Volkart, VOLKARTpress
Juli 2010