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amadefries

2. Juli 2015

Das fast selbstfahrende Auto

Infiniti | 0 Kommentare

Ein bisschen bin ich ja immer noch verwirrt von den Änderungen in der Infiniti-Nomenklatur. Von G, M, EX und FX ging’s zu den neuen Q-Namen über. Hier steht nun ein Q50 vor mir. Zur Einordung: Mit einer Länge von 4,8 Meter ist er im Gebiet des BMW 3er anzusiedeln. Man spricht von der Mittelklasse. Doch […]

Ein bisschen bin ich ja immer noch verwirrt von den Änderungen in der Infiniti-Nomenklatur. Von G, M, EX und FX ging’s zu den neuen Q-Namen über. Hier steht nun ein Q50 vor mir. Zur Einordung: Mit einer Länge von 4,8 Meter ist er im Gebiet des BMW 3er anzusiedeln. Man spricht von der Mittelklasse. Doch mittel ist am Testwagen wohl kaum etwas, parkt er doch in der besten aller erhältlichen Varianten vor mir: Infiniti Q50S Hybrid AWD Sport Tech.

Infiniti Q50S AWD

Anders als bei Lexus koppelt die Edeltochter von Nissan den Hybridantrieb nicht an ein stufenloses (und häufig nerviges) CVT-Getriebe. Hier gibt es einen konventionellen Wandlerautomaten mit 7 Stufen. Der Benziner mit 3,5 Liter Hubraum bringt es alleine schon auf 306 PS. Er wird von einem 50 kW leistenden Elektromotor unterstützt, was dann in einer Systemleistung von 364 PS resultiert. Also noch einmal 20 PS mehr als ein BMW Active Hybrid 3, den man als direkten Konkurrenten sehen kann. Der Bayer kann allerdings als Hybrid nicht mit Allradantrieb bestellt werden.

Infiniti Q50S AWD

Ganz ohne Motorengeräusch starte ich den Q50S zum ersten Mal. Als ich rückwärts fahre, bemerke ich ein Piepsen von aussen. Damit die Fussgänger nicht vom geräuschlos herannahenden Wagen im Strombetrieb überrascht werden, kann diese akustische Warnung aktiviert werden. Gar nicht schlecht. Dann gleite ich vorwärts davon, bevor schliesslich doch noch der V6 erwacht, um Autobahntempo zu erreichen. Auch in diesem Hybrid ertappe ich mich, den Strommodus so häufig wie möglich zu nutzen, schliesslich soll der Testverbrauch möglichst nahe an die versprochenen 6,8 Liter auf 100 km herankommen. Doch anders als zum Beispiel bei einem Prius findet sich hier noch ein S für Sport hinter dem Modellnamen. Auf dem Mitteltunnel gibt es zudem eine Wippe, die mich an den DNA-Schalter von Alfa Romeo erinnert. Vom Normalbetrieb kann ich hier auf Sport wechseln, um die Reaktion auf Gaspedalbefehle ebenso zu schärfen wie die Lenkung. Letztere ist dann auch ein technisches Highlight dieses Autos: Es handelt sich um eine Drive-by-Wire-Lenkung. Die Bewegung am Lenkrad wird also lediglich elektronisch und nicht physisch an die Räder weitergereicht.

Infiniti Q50S AWD

Klingt alles ein bisschen synthetisch? Ist es auch. Richtig speziell wird die Fahrt aber erst, als ich am Lenkrad die Taste für den Safety Shield drücke. Ja, das Ding heisst wirklich so. Aktiviert sind nun folgende Funktionen: Intelligente Geschwindigkeitsregelung, Spurverlassenswarner, Totwinkelassistent, Automatische Notbremsung, vorausschauendes Auffahrwarnsystem, Abstandsregelsystem und Heckaufprall-Vermeidung. Tatsächlich fühle ich mich nun fast ein bisschen ferngesteuert. Auch ohne dass der Tempomat aktiviert wäre, bremst der Japaner selbsttätig ab, als mein Vordermann für einen Kreisverkehr verzögert. Wenn ich absichtlich zu weit nach rechts über eine Sicherheitslinie zu fahren drohe, lenkt das System zurück in die Spur. Das fühlt sich sehr speziell an, weil das Lenkrad dabei immer noch in die „falsche“ Richtung zeigt. Ein bisschen gar viel Enterprise für meinen Geschmack. Und doch: dieser Infiniti zeigt schon jetzt, in welche Richtung sich das Autofahren künftig bewegen wird. Weg vom Fahren, hin zum „Gefahrenwerden“ nämlich.

Infiniti Q50S AWD

Zum Glück für uns Selbstfahrer lassen sich die Systeme auch deaktivieren. Infiniti traut uns sogar noch so viel zu, dass der Safety Shield beim Motorstart jeweils nicht eingeschaltet ist. Also zurück in den Sportmodus und ab auf die Landstrasse. An der Lenksäule finden sich die gleichen Schaltpaddel, mit denen man auch im Nissan GT-R durch die Gänge flippert. Nur hatte ich hier gar nie gross Lust einzugreifen. Einfach Kickdown und die Limousine geht vorwärts wie man das bei dieser Leistung erwarten darf. Die 5,4 Sekunden von Null auf Hundert klingen glaubhaft. Begleitet wird der Sprint von einem sonoren Motorgeräusch. Dann hinein in die Kurven. Hier zeigen sich nun die Nachteile der „künstlichen“ Lenkung. Wo ich mit einem BMW geradezu fühlen kann, wann ich wie einzulenken habe, fehlt mir hier jegliche Rückmeldung. Einmal biege ich fast in ein Rapsfeld ab, als mich die plötzlich erlangte Direktheit der elektronischen Lenkung beim Kurveneingang überrascht. Nein, wirklich sportlich ist das nicht.

Infiniti Q50S AWD

Doch die mangelnde Sportlichkeit muss einen gar nicht gross stören. Man kann es sich nämlich richtig bequem machen in diesem Q50. Die vielfach verstellbaren Ledersitze ermöglichen eine auch auf längeren Strecken angenehme Sitzposition, die sich zudem durch eine effektive Lorodosenstütze variieren lässt. Und dann ist da dieses tolle Bose-Lautsprechersystem, das mich jederzeit mit bestem Sound versorgt. Gut möglich, dass auch die serienmässige aktive Geräuschunterdrückung zum guten Eindruck beiträgt. Umso unverständlicher, dass ein DAB-Empfänger durch Abwesenheit glänzt. Etwas Eingewöhnung verlangt die Bedienung der Multimediaeinheit. Infiniti setzt auf zwei übereinanderliegende Touchscreens, wobei der untere ähnlich wie bei einem Smartphone auch Gesten wie Wischen akzeptiert. Zusätzlich dazu gibt es auf dem Mitteltunnel noch einen Dreh-Drück-Steller, der ebenso Zugriff auf gewisse Menüs erlaubt wie ein Schalter in der linken Lenkradspeiche. Klingt etwas kompliziert? Ist es auch.

Infiniti Q50S AWD

Gar nicht kompliziert ist der Tankvorgang. Und: Man muss ihn nicht allzu häufig vornehmen. 7,5 Liter nippte die Sportlimousine alle 100 Kilometer vom Benzinvorrat. Für über 350 PS ist der Wert sehr anständig. Wer sie etwas unanständiger bewegt, kommt dann eher in die Region um 9 Liter.

Infiniti Q50S AWD

Besonders sparsam darf das Publikum aber ohnehin nicht sein. IchDenn der Testwagen kommt auf heftige 81’500 Franken. Ein ähnlich ausgestatteter BMW Active Hybrid 3 kostet ziemlich genau gleich viel, hat aber wie erwähnt nur zwei angetriebene Räder und ein deutliches PS-Defizit. Und der Preis dürfte sich aktuell dank Prämien noch weiter relativieren. Gegenüber dem Japaner bietet der Bayer selbstredend ein überlegenes Image. Wer darauf keinen Wert legt und sich lieber etwas abseits der Masse bewegt, kann mit dem Q50S Hybrid glücklich werden. Er gefällt mit modernem Design, einem ausgereiften Hybridantriebsstrang und gutem Komfort. Gewöhnungsbedürftig ist neben der Bedienung auch die synthetisch wirkende Drive-by-Wire-Lenkung. Ungünstig auch, dass der Gepäckraum durch den Akku verkleinert wird und eine Durchlademöglichkeit fehlt.

Infiniti hat mit dem Q50S Hybrid eine erstaunlich ausgereifte Vorstellung abgeliefert. Gut möglich, dass er sich im noch kleinen Markt der Premiummittelklässler mit Hybrid als feste Grösse etablieren kann.