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zuendung

17. Dezember 2008

Italianità

Abarth | 0 Kommentare

Was ist bloss aus den italienischen Autobauern geworden? Lamborghini gehört zu Audi, bei Alfa laufen Holden-Motoren und Ferrari baut ein Klappdachcabrio für die Ehefrauen von Beverly Hills. Die grossen Zeiten scheinen vorbei, doch nun kommt Abarth zurück. Und Abarth ist ja wohl uritalienisch. Nein, das stimmt so leider auch nicht, denn Carlo Abarth der Firmengründer […]

Was ist bloss aus den italienischen Autobauern geworden? Lamborghini gehört zu Audi, bei Alfa laufen Holden-Motoren und Ferrari baut ein Klappdachcabrio für die Ehefrauen von Beverly Hills. Die grossen Zeiten scheinen vorbei, doch nun kommt Abarth zurück. Und Abarth ist ja wohl uritalienisch. Nein, das stimmt so leider auch nicht, denn Carlo Abarth der Firmengründer hiess eigentlich Karl und wurde einst in Wien geboren. Sein Sternzeichen ist seit kurzem wieder als Logo einer eigenen Automarke zu bewundern. Mit dem Skorpion auf der Haube lancierte man mit dem Grande Punto das erste Eigengewächs seit langer Zeit, auch wenn es natürlich auf dem bekannten Fiat Modell aufbaut. Und so kann ich nun herausfinden, wie viel Italianità tatsächlich im Abarth Grande Punto steckt.

Unser Testfahrzeug macht mit seinem Zusatz esseesse seiner Herkunft schon mal alle Ehre. Klingt das doch ein wenig, als ob ein hungernder Italiener sich in gebrochenem Deutsch nach Nahrung erkundigen würde. Tatsächlich steht das Wort esseesse natürlich für das Kürzel SS, wobei man sich bei Abarth von diesem historisch belasteten Schriftzug lieber fern hält. Supersportlich soll der Grande Punto durch den Kit also werden. Tatsächlich steigt die Leistung des Kleinwagens von 155 auf 180 PS an, was in dieser Klasse schon eine ganze Menge ist. Beim Motor setzt man dabei lieber auf einen kurzen Espresso, denn auf einen riesigen Latte Macchiato. Obendrauf gibt's eine gehörige Portion Zucker. Dass mir das gefällt, obwohl ich doch meinem Kaffee stets schwarz zu trinken pflege, hat zwei Gründe: Der Espresso steht für einen Vierzylinder mit kleinem Hubraum (1,4 Liter), der Zucker für einen beim esseesse noch grösseren Turbolader. Der Garrett-Lader hat dazu noch verstellbare Schaufeln, wie man das vom Porsche 911 Turbo kennt.


dinamico: Der Abarth Grande Punto sieht schon im Stand schnell aus.

Im Unterschied zum Zuffenhausener muss der Abarth mit nur einer angetriebenen Achse auskommen, was bei den aktuellen Bedingungen natürlich ein Nachteil ist. Doch der Fronttriebler scharrt auch bei schneebedeckter Fahrbahn nicht einfach wild mit den Vorderhufen. ESP und Traktionskontrolle arbeiten so wunderbar zusammen, dass der Fahrer nur das flackernde Licht der Warnleuchte im Tacho vernimmt. Noch selten habe ich ein System erlebt, das dermassen smooth (oder sollte ich dolce sagen?) agierte. Weniger überzeugend ist die Schaltung, die mit ihren riesigen, fast schon an die Mille Miglia erinnernden Schaltwegen aus der Zeit der Zweckehe mit Opel zu stammen scheint. Das förmlich nach Italien riechende Interieur holt mich zurück in die esseesse-Welt. Besonders mit der installierten Lederausstattung braucht sich der Abarth vor keiner Konkurrenz zu fürchten. Auch die Verarbeitung passt insgesamt, die verwendeten Materialien können überzeugen. Kommt dazu, dass die Bedienung sofort klappt, nur die unbeleuchteten Räder zur Temperaturregulierung verwirren bei Nacht.


Stolz: Logos auf Grill, Teppich, Heck, Rad, Einstiegsleisten und hinterem Kotflügel zeigen die giftige Abstammung.

Natürlich hatte ich auch ein paar Gelegenheiten, die Fähigkeiten des weissen Giugiaro-Flitzers bei trockener Strasse zu testen. Begleitet von einem Fauchen stürmt er voran, um in Kurven gutmütig zu untersteuern. Gaslupfen führt zum Eindrehen des Hecks, genau so mögen sportliche Fahrer das. Dafür dass keine Novizen vom giftigen Stachel des Skorpions gestochen werden, sorgt schon alleine dessen selbstbewusster Preis. 41'400 CHF kostet der Testwagen mit Vollausstattung. Dass gerade junge Fahrer ihre Freude am Abarth Grande Punto haben, wurde mir bei jeder Autobahnfahrt bewusst. Ständig hing irgend ein tiefergelegter Ibiza, Polo oder Clio am Heck. Ich denke, das lag auch an der auffälligen Beklebung mit Schriftzügen, die man allerdings auch weglassen kann. Wenn ich dann jeweils die linke Spur räumte, drängte sich ein hässliches Geräusch in meinen Gehörgang. Der Blinker hat eine Lautstärke, die selbst Gianna Nannini zur Gesangsschülerin verkommen liesse. Hier täte vielleicht eine Prise vom schmalzigen Eros Ramazotti ganz gut. Und wenn wir schon bei den Stimmen sind: Wer um alles in der Welt hat die deutsche Navigationssprecherin ausgewählt? Womöglich haucht ja im italienischen Original Monica Bellucci den Zielort Roma ins Ohr. In der deutschsprachigen Schweiz werden wir mit einem abgehackten Lu-zern gestraft, wie es einem vielleicht die tschechische Frau des Schulhausabwartes rüberschreien würde.


Schönling: Die weisse Farbe und die Kontrasstreifen stehen dem Grande Punto bestens.

Doch zurück zum Fahrerlebnis: Die Lenkung war mir im Normal-Modus viel zu leichtgängig, weshalb ich immer mit aktivierten Sport-Modus unterwegs war. Abgesehen vom etwas indifferenten Ansprechen um die Mittellage ist die Drive-by-Wire-Lenkung dann präzise. Ausserdem spricht der Motor dann so sportlich an, wie es sich für einen Abarth eben gehört. Der Turbo kommt so ab 2000 Touren, richtig giftig wird der Skorpion aber erst bei 3000 Umdrehungen. Herrlich, wie man dann in die Lederintegralsitze gepresst wird. Es geht doch einfach nichts über den guten alten Turbokick. Wer ihn öfters spüren möchte, wird auch recht häufig an der Tankstelle anzutreffen sein, weil der 1.4-Liter sich dann über 10 Liter des teuren 98er-Sprits gönnt. Wer dagegen mit leichterem Fuss, sozusagen alleggerito, unterwegs ist, kommt sogar mit etwas über 7 Liter durch.


Abarth: An dieses Logo im Rückspiegel gewöhne ich mich gerne.

Sparsame Naturen werden ihre Finger aber wohl sowieso vom Abarth Grande Punto esseesse lassen. Denn alleine das esseesse-Kit, das vom Händler innerhalb eines Jahres oder 20'000 km nachgerüstet wird, kostet 9000 CHF. Dafür erhält man aber nicht nur ein paar Skorpion-Sticker. Neben einer Tieferlegung um 15 bzw. 20 Millimeter gibt es an der Fahrwerkstfont auch neue gelochte Bremsscheiben, vorne sogar mit Hochleistungsbremsbelägen. Im Bereich des Motors wird wie gesagt ein anderer Turbo verwendet, daneben kommen ein anderer Luftfilter sowie eine neue Steuereinheit zum Einsatz. Normalerweise wären dann noch 18-Zöller dabei, der Testwagen hatte die Winterbereifung allerdings auf zusätzlichen 17-Zoll Felgen aufgezogen.


Rauchig: Er hat nicht die lauteste Stimme, aber das Turbofauchen kann dennoch süchtig machen.

Damit dürfte dem sportlichsten aller Grande Punto eine gewisse Exklusivität sicher sein. Genau diese Exklusivität und das Wissen, mit etwas ganz Speziellem unterwegs zu sein, wird die Abarth-Lenker jeden Tag erfreuen. Ausserdem erhalten sie mit dem Abarth Grande Punto esseesse einen sportlichen Kleinwagen, der von der Performance her halten kann, was die auffällige Optik verspricht. Wären die Schaltwege kurz und die Lenkung etwas weniger künstlich im Gefühl, ich hätte neben dem doch gesalzenen Preis nichts auszusetzen. Moment: Der Zustieg in den Fond gestaltet sich durch den Vorklappmechanismus der Frontsitze reichlich mühsam. Sitzt ein Fahrer mit italienischem Blut in den Adern und entsprechend feurigem Temperament auf dem Platz vorne links, möchte man aber sowieso nicht lange mitfahren. In der Praxis werden die Passagiersitze hinten wohl als Ablage genutzt. und die Logos auf den Teppichen (ja, auch auf den Fondplätzen), werden gar nicht erst bewundert.

Eines ist klar: Trotz österreichischer Wurzeln des Firmengründers ist Abarth unverkennbar italienisch. Dass man bei Abarth stolz auf die Wiedergeburt ist, kann man förmlich spüren. Ich habe noch nie so viele Logos und Schriftzüge an einem Auto gesehen. Und jeder einzelne ist ein optischer Genuss. Das, der Geruch, der wilde Motor und das sportliche Fahrverhalten sind so wunderbar italienisch, dass man den Machern einfach zu ihrem Werk gratulieren muss. Bravo!