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zuendung

24. Juli 2005

Kein Thema, mich beisst ein V8!

Lancia | 0 Kommentare

Endlich, der verkaufswillige Besitzer drückt mir den Schlüssel in die rechte Hand. Schon im Turnsack-Tamburin-Tintenfülli-Alter tat sich die Lancia-Broschüre zwischen den Rechenheften hervor. Die Hoffnung war gross, bald im weinroten 8.32 anstatt im biederen Range Rover in die Ferien zu fahren. Es hätte den Lancia in Kombi-Allrad-Ausführung geben sollen, dann hätte mein Vater vielleicht beim […]

Endlich, der verkaufswillige Besitzer drückt mir den Schlüssel in die rechte Hand. Schon im Turnsack-Tamburin-Tintenfülli-Alter tat sich die Lancia-Broschüre zwischen den Rechenheften hervor. Die Hoffnung war gross, bald im weinroten 8.32 anstatt im biederen Range Rover in die Ferien zu fahren. Es hätte den Lancia in Kombi-Allrad-Ausführung geben sollen, dann hätte mein Vater vielleicht beim Lancia-Händler im Nachbardorf über einen Eintausch verhandelt. Aber so weit ist es nie gekommen, nur der Traum ist geblieben.

Der Schlüssel könnte auch zu einem Y10 passen, keine Spur von Ferrari. Mit einem lauten Klack entriegeln die Türen des 15-jährigen Lancia 8.32. Die Türfalle wurde auch im Fiat Croma verbaut. Verständlich, denn der Thema entstand zusammen mit dem Croma und dem Saab 9000. Alle drei präsentieren sich im zum Verwechseln ähnlichen Giugiaro-Gewand. Dem von 1986 bis 1991 gebauten 8.32 sind jedoch die exklusiven Metallicfarbgebungen, das Aluminium-Kühlergitter und zwei dünne Filetstreifchen an der Flanke eigen. Im Heckdeckel ist zudem diskret ein ausfahrbarer Spoiler eingearbeitet. Ach ja, und Räder im Ferrari-Style tragen auch zu der noblen Erscheinung bei. Und – knirsch, knirsch – im Innern verbreitet die Volllederausstattung eine angenehme Atmosphäre. Das Lenkrad ragt recht flach aus dem Wurzelholz-Armaturenbrett, in dem ausschliesslich Rundinstrumente eingebettet sind.

Erst der Schlüsseldreh bringt wirklich Spannung in die Geschichte: Der Ferrari-V8 verspricht mit seinem unruhigen Leerlauf hochgezüchtete Sportlertalente. So weit so gut, die U-Schilder sind aufgespannt, der Besitzer winkt lächelnd. Jetzt gilt es den ersten Gang aus der schwammigen Schaltung herauszufiltern und die gefühllose Kupplung langsam kommen zu lassen. Gierig reagiert der V8 auf Gaspedalbewegungen, sofort beissen sich höhere Drehzahlen frei. Auf den ersten zehn Kilometern ist Beherrschung angesagt, man möchte dem freundlichen Besitzer nicht ein Auto mit kaputter Zylinderkopfdichtung hinstellen. Schliesslich steht hier das Kürzel "V8" nicht für den plumpen Ansatz aus Übersee, Grauguss um eine einzige Nockenwelle zu schleudern. Hier dreht sich alles um den V8 wie aus dem Bilderbüchlein. Aluguss, obenliegende Nockenwellen…

Es bleibt also noch etwas Zeit, sich mit der leichtgängigen Lenkung anzufreunden, durch das unpräzise 5-Gang-Getriebe zu wühlen und einige Elektronikgadgets zu entschlüsseln. Dabei bleibt die viel versprechende V8-Klangkulisse brav im Hintergrund.
Die zehn Kilometer sind abgezählt: Blinker nach rechts und vor dem Lancia breitet sich eine grosszügige Bergstrasse aus. Der Gashahn öffnet sich, die V8-Stimme holt tief Luft und untermalt die Aktion mit ordentlichem Bass. Dabei entwickelt sich kaum mehr Vortrieb als im Vorortszug. Stetig beissen sich die acht Töpfe jedoch in höhere Regionen vor, wo sie sich spürbar wohler fühlen: übersteigt die Nadel im winzigen Tourenzähler die 4000er Marke, geht alles blitzartig. Der tiefe Ton gleitet die Tonleiter empor und brüllt sich die Seele aus dem Block – 32 Ventile klappern, Nebenaggregate wimmern, und jeder der acht Zylinder schreit durch ein separates Ansaugtrompetchen. Der 8.32 bäumt sich vorne auf, die Vorderräder sind mit den 205 PS hoffnungslos überfordert. Nun heisst es das Lenkrad festzuhalten, der V8 reisst die 1410kg schwere Limousine sowohl nach vorne als auch abwechslungsweise nach links und rechts. Schier unendlich will die Maschine weiterdrehen – erst bei 6'750 Umdrehungen liegt die Höchstleistung an. Der dritte Gang wird sortiert, obwohl der legale Geschwindigkeitsbereich schon lange hinter uns liegt. Die Ohren können nicht genug vom an sich unförmigen V8-Ansauggeräusch kriegen, so dass nur der Beifahrer der Euphorie ein Ende setzen kann. Das heisst soviel wie abbremsen, zurückschalten und: "play it again!"
Trotz der Ferrari-Herkunft klingt der V8 unerhört suchterregend, wie ein V8 eben klingen muss. Ungleich dem fast baugleichen V8 im Ferrari Mondial haben die Ferrari-Ingenieure dem 8.32-Motor eine "gekröpfte" Kurbelwelle verpasst. Im Mondial arbeitet der V8 mit einer "flachen" Kurbelwelle, was ihn wie zwei parallel laufende Vierzylinder laufen lässt. Das macht den V8-Sound futsch, bringt dafür mehr Leistung. Eine auf 90 Grad gekröpfte Welle aber macht den V8 geschmeidig und vibrationsarm – und lässt ihn singen wie es schöner kaum ein anderer Motor tun könnte.

Zum Schlüsselerlebnis wird die erste Kurve: Der Aufbau neigt sich zur Seite bis sich der Kopf der Strasse näher fühlt als die Füsse. Zu fest ist die Auslegung auf Komfort getrimmt. Schlimm ist jedoch die Lenkung, sie geht zu leicht und lässt einen nichts von der Fahrbahn spüren. Selbst ein Geländewagen bräuchte den Vergleich mit dem 8.32-Fahrwerk nicht zu scheuen.
Fraglich erscheint daher, für welchen Zweck der Thema überhaupt ein sportliches Ferrari-Herz eingepflanzt bekam. Der Besitzer unseres Testwagens fuhr damit regelmässig nach Mailand. Also ein Langstreckenauto? Die extrem kurze Getriebeübersetzung ist aber eher für Beschleunigungsorgien denn fürs Dahingleiten ausgelegt.
Folglich kehrt das Test-Team um und geniesst den V8 auf geraden Strassen. Man will den Lancia ja unversehrt zurückgeben. Allerdings lauern die Gefahren vor allem unter der Motorhaube: Alle 20'000km wollen die zwei Zahnriemen gewechselt werden. Dazu braucht der Motor ausgebaut zu werden. Kostenpunkt: 2'000-3'000 Franken! Bei einem Anschaffungspreis – in diesem Fall – von 4'500 Franken ein saumässiger Betrag.

Summa summarum taugt der Superlancia also keinesfalls für kühle Rechner. Doch ganz ohne Zahlen versteht man den 8.32 erst recht nicht: 2,9 Liter Hubraum, 7,6 Liter Ölinhalt und 16 Liter Bleifrei 95. Die 16 Liter Bleifrei stehen alle 100 Kilometer an, die 7,6 Liter Öl sind erst nach 10 Kilometern aufgewärmt und das Beste: die 2,9 Liter Hubraum verteilen sich auf acht Töpfchen. Auf letzteren thronen je vier Ventile, das macht zusammen 32, pro Zylinderbank 16 Stück, die je über zwei Nockenwellen – insgesamt vier – bedient werden. 90 Grad betragen sowohl Gabelwinkel wie auch der Hubzapfenversatz. Unter dem Strich also ein Triebwerk, das auch auf dem Stubenbuffet gut platziert wäre.
Den 8.32-Traum werde ich für mich wohl nicht verwirklichen, es war viel schöner, den Traum 15 Jahre lang zu träumen. Trotzdem freue ich mich jedes Mal, wenn ich einen der 115 in der Schweiz noch existierenden 8.32 antreffe. Schön gibt es solche verrückten Maschinen. Zudem reift bereits das nächste Illusorenstück: Ein 8.32-V8-Motor unter der Haube eines Alfa 75? Heckantrieb, leicht und Sportfahrwerk… Wer baut mir einen?