Seite wählen

zuendung

15. März 2011

Köpfe schneller verdrehen

Alfa Romeo | 0 Kommentare

Während sich der Fahrer nach den harten Tests mit einem Müsliriegel stärkt, steht sie ganz allein an der Hauptstrasse. Wir nennen sie „sie“. Das tun Testfahrer nur selten. Trotz aller Liebe zum männlichen Lieblingsspielzeug – dem Automobil – kommt die weibliche Form nur in Ausnahmefällen zum Einsatz. Selbst beim wunderbar erotischen Jaguar E-Type spricht man(n) […]

Während sich der Fahrer nach den harten Tests mit einem Müsliriegel stärkt, steht sie ganz allein an der Hauptstrasse. Wir nennen sie „sie“. Das tun Testfahrer nur selten. Trotz aller Liebe zum männlichen Lieblingsspielzeug – dem Automobil – kommt die weibliche Form nur in Ausnahmefällen zum Einsatz. Selbst beim wunderbar erotischen Jaguar E-Type spricht man(n) von „ihm“ und nicht von „ihr“. In Alfa Romeos über 100-jähriger Geschichte gibt es mehrere „Sies“: Alfetta, Giulia – und die ursprüngliche „Giulietta“, mit der Alfa in den 1950er Jahren die kompakte Sportlimousine quasi erfand.
Es ist eine mutige Ansage von Fiat, für die sportliche Hausmarke Alfas „Julchen“ wieder aufzulegen. Zumal dies schon 1977 geschah, und die etwas unförmige, glücklose „Giulietta Nuova“ auf Alfetta-Basis zu den Händlern rollte.


5-Türer: Geschickt haben die Designer die hinteren Türgriffe in die C-Säule integriert. Rot hinter den Speichen leuchtet die Brembo-Bremsanlage.

Die neuste aber, die ist schön. Wie sie so am Strassenrand steht, und der Mittagsverkehr an ihr vorbeirollt: Der Testfahrer beobachtet die Situation aus der Ferne und vergisst beinahe, an seinem Müesliriegel weiter zu knabbern – unzählige Vorbeifahrende drehen ihre Köpfe nach der Giulietta um. Nicht nur Männer, auch Frauen schauen überrascht hin und lassen sich vom Strassenverkehr ablenken. Was für ein Schauspiel! Die Verschnaufpause wird zum Turmerlebnis; denn die Giulietta muss nicht unbedingt fahren, um zu überzeugen. Wobei sie auch das kann: Auf den ersten Metern fühlt sie sich an wie ein herkömmlicher Kompaktwagen. Bei zunehmender Geschwindigkeit fällt die direkte Lenkung auf. Die Gänge lassen sich exakt einlegen. Angenehm ist auch, wie der mit 1,7 Litern Hubraum eher kleine Motor Gas annimmt.


Ein schöner Rücken sagt mehr als tausend Worte: An unserem Testwagen ist eine sportliche Auspuffanlage verbaut (Zubehör).

Bei kleinvolumigen, aufgeladenen Motoren denkt man an hohe Drehzahlen. Unter der Motorhaube hat bei Alfa Romeo jedoch kürzlich eine Revolution stattgefunden, die ausserhalb der Technikwelt kaum wahrgenommen wurde. Wie schon die ursprüngliche Giulietta mit dem berühmten Alfa-Motor hat auch die neue zwei oben liegende Nockenwellen. Zumindest in der 1750er Ausführung – die bis zu 170 PS starke 1,4-Liter Maschine muss sich mit „nur“ einer Nockenwelle begnügen. Weniger ist dabei mehr: Jetzt unterliegen nur noch die Auslassventile dem Zwang der rotierenden Welle. Die Einlassventile werden hydraulisch, also durch Öldruck geöffnet. Die Motorsteuerung kann dadurch frei wählen, wann, wie lange und wie weit die Ventile offen sind. Das System heisst MultiAir und lässt Konkurrenzmotoren alt aussehen. Denn in den Alltag übersetzt heisst die neue Technologie sattes Drehmoment in allen Lebenslagen – ohne aber wie beim Diesel auf hohe Leistung verzichten zu müssen.


Senkrechte Nadeln: Die sportlichen Anzeigen und die roten Nähte unterstreichen den souveränen Auftritt der 1750-Motorisierung.

Endlich ein Alfa also, den man ohne Ölflecken auf dem Hofplatz, ohne regelmässige Gespräche mit dem Mechaniker oder gar ohne Quietsch- und Poltergeräsuche lieben kann? Die Giulietta besitzt Alltagsqualitäten und schafft gleichzeitig den Sprung, den Piloten – oder die Pilotin – zu begeistern. Ist es nicht höchste Lebensqualität, sich jeden Morgen in den schönsten Wagen in der Tiefgarage zu setzen? Beim Blick aufs Armaturenbrett kommt bei Freunden des italienischen Designs erneut Freude auf. Die wichtigsten Instrumente und Schalter sind überdies logisch angeordnet. Naja, zumindest fast, ragen an einer der griffgünstigsten Position doch die Schalter für die selten benötigten Nebelscheinwerfer heraus. Bedenkt man jedoch den rund um Mailand oft tagelangen dichten Nebel, macht auch das Sinn.


Viel des Guten: aus 1,7 Litern Hubraum kommen 230 PS. Trotz Frontantrieb harmonieren sie gut mit dem sportlichen Fahrwerk.

Ihre Qualitäten unter dem Blech spielt die Giulietta beim Anzielen von Kurven voll aus. Traditionell steckt Alfa Romeo viel Ehrgeiz in die Fahrwerksentwicklung. So auch bei unserem Testwagen, der Lenkbefehle zielgenau umsetzt. Sehr zur Freude des Fahrers, der beim Herausbeschleunigen aus der Kurve staunt, wie vehement und trotzdem harmonisch der Wagen an Fahrt gewinnt. Die turbogeladene Maschine zieht mit Nachdruck aus dem Drehzahlkeller hoch bis 6000 Umdrehungen – und sofern die Strasse nicht gerade nass oder schneebedeckt ist – ohne die vorderen Antriebsräder mit seinen 230 PS zu überfordern. Die sportliche Bestimmung kann die Giulietta jedoch beim Komfort nicht ganz verstecken.


Dasselbe in Rosso Competizione: Die atemberaubende Mehrschichtlackierung dürfte wohl eine seltene Erscheinung bleiben.

Sollte es mal eng werden, versprechen fünf Sterne in der NCAP Wertung besten Insassenschutz. Kaufentscheidend dürfte jedoch die aus allen Blickwinkeln überzeugende Form sein. Nachts übrigens bezaubernd: Die charakteristischen LED-Rückleuchten. Die Giulietta gibt es ab CHF 28'950 als 1,4-Liter Turbo. Knapp unter CHF 47'000 liegt der Preis der getesteten 1750 TBi QV-Variante. Als wennschondennschon-Option unbedingt zu empfehlen: Die atemberaubende Rosso Competizione-Lackierung. Aufpreis: CHF 3'000.
Mit der gelungenen „Sie“ ist Alfa Romeo zurück in der sportlichen Kompaktklasse. Sie macht Appetit auf mehr. Glaubt man aktuellen Gerüchten, dürfte dieser noch in diesem Jahr gestillt werden; mit noch einer „Sie“, der neuen Giulia als 159- und 166-Nachfolger.

Die getestete Alfa Romeo Giulietta kann bei der Schlossgarage in Winterthur probegefahren werden.