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20. Oktober 2020

Machine à sourire

Alpine | 0 Kommentare

Alpine A110S Machine à sourire … …oder «Smile Machine», wie Alpine selber ihr Auto nennt. Der Name ist absolut gerechtfertigt, denn spätestens, wenn der Fahrer den «Start Engine»-Knopf gedrückt hat, verziehen sich die Mundwinkel von Fahrer und Beifahrer*in nach oben. Und sie bleiben oben! Wie kommt das? Die Geschichte 1955 gründete Jean Rédélé, ein französischer […]

Alpine A110S

Machine à sourire …

…oder «Smile Machine», wie Alpine selber ihr Auto nennt.

Der Name ist absolut gerechtfertigt, denn spätestens, wenn der Fahrer den «Start Engine»-Knopf gedrückt hat, verziehen sich die Mundwinkel von Fahrer und Beifahrer*in nach oben. Und sie bleiben oben! Wie kommt das?

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Die Geschichte

1955 gründete Jean Rédélé, ein französischer Rennfahrer und Konstrukteur, die Sportwagenfirma Alpine. Alpine deshalb, weil er ein Jahr zuvor den Alpenpokal 1954 gewonnen hatte. Die Autos wurden von Hand gefertigt. 1970 entstand ein zweites Werk, ebenfalls in Dieppe.

Es begann mit der A106, worauf dann die A108 folgte. Die A110 erschien erstmals 1961. Die Designveränderung zu den charakteristischen Doppelscheinwerfern wurde 1967 eingeführt. Er – eigentlich sie, denn in Frankreich sind Autos weiblich – wurde eines der erfolgreichsten Rallye-Fahrzeuge der Geschichte. 1971 zum Beispiel gewann Alpine die Rallye Monte Carlo, damals – und noch lange danach – eines der härtesten Rallyes weltweit.

Es folgte die ganz anders aussehende A310, diees auch mit dem PRV-Motor (V6, Peugeot, Renault, Volvo) gab. Sie war das meistverkaufte Alpine-Modell und wurde bis 1977 parallel zur A110 gebaut.

Bereits 1973 wurde Alpine von Renault übernommen. Alpine-Gründer Rédélé zog sich 1978 zurück. 2012 verkaufte Renault 50% an Caterham Cars, doch schon zwei Jahre später endete diese Zusammenarbeit. 2014 wurde die Société des automobiles Alpine gegründet und von 2014 bis 2017 die Marke Alpine wieder etabliert.

Am Genfer Autosalon 2017 präsentierte Renault / Alpine den Mittelmotorsportwagen A110 mit 252 PS. Erstaunlich, wie sehr die neue A110 der alten A110 ähnelt(e) und doch nicht den Eindruck einer historisierenden Retro-Kopie macht(e).

Die neue A110

Die Alpine A110 stiess auf äusserst freundliche Begeisterung; die Motorjournalisten rissen (und reissen!) sich um Testexemplare. Den einen Kunden war der Neuling aber zu komfortabel, sie hätten lieber etwas Puristischeres gehabt. Nun, Alpine konnte das bieten. In den letzten drei Jahren sind weitere Varianten der Alpine A110 entstanden (Pure, Légende).

Unser Testwagen ist die bislang stärkste Version, die A110S mit 292 PS.

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Der Testwagen

Die Vorgänger-A110 hatte man in den Sechziger/Siebziger Jahren ihrer Form wegen «Flunder» genannt. So kann man auch die Neuauflage nennen: 4.18m lang, 1.80m, resp. 1.98m breit, aber nur 1.25m hoch, ist auch die A110S eine breite und niedrige Flunder.

Die Zeit der benzinfressenden 6-Zylinder ist vorbei. So erhielt die A110S einen 1800er 4-Zylinder (1798 ccm), der aber 292 PS leistet (bei 6400 U/min), 40 PS mehr als die «normalen» A110. Das beste Drehmoment beträgt 320 Nm; es liegt zwischen 2‘000 und 6‘400 Touren an. Die Bremsscheiben sind etwas grösser geworden (320 mm) und die Reifen etwas breiter: 215/40 R18 vorn, 245/40 R18 hinten. Die Höchstgeschwindigkeit stieg um 10 Km/h von 250 auf 260 Km/h, die Beschleunigung von 0 auf 100 Km/h sank auf 4.4 Sec.

Wenn man auch nur ein Minimum an Dämmmaterial und Komfort einbaut, steigt zwangsläufig das Gewicht, trotz viel Aluminium. Offiziell soll die A110S trotzdem nur 1‘114 Kg wiegen, effektiv sind es aber 1‘188 Kg (Fz-Ausweis). Wir würden behaupten, dass das im Alltagsgebrauch kaum zu spüren ist.

Was kostet denn sowas? Die puristische Version «Pure» gibt’s ab CHF 61‘500, die komfortabler ausgestattete Version «Légende» ab 66‘000 Franken.

Die wesentlich stärkere A110S kostet CHF 74‘800. Dazu kommt noch die Sonderausstattung: die 18“-Fuchsfelgen etwa für 1‘086 Franken, das Sichtpaket mit einklappbaren Spiegeln und abblendbarem Rückspiegel für 517, Fussmatten für 129, das «Carbondach mit glänzendem Finish» für CHF 2‘585 (Hä?), ein Rückhaltenetz am Beifahrersitz für 517 Franken, die Rückfahrkamera mit Einparkhilfe für 464 Franken und die Blanc Irisé-Lackierung für teure CHF 1‘939. Ein paar dieser Optionen würden wir als sehr brauchbar und empfehlenswert bezeichnen, andere – teure – eher weniger. Aber klar, dass der Preis unseres Testwagens «mit allem» auf CHF 82‘037 steigt.

Der Verbrauch wird mit 7.4 Liter angegeben, was 168 g CO2/km entspricht. Aber auf den Verbrauch kommen wir dann später noch zurück.

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Das hintere Kofferräumchen

Motorcharakteristik

Bei der normalen 252 PS-Version steigt das Drehmoment stetig an und sinkt ab 5‘000 Touren schon wieder ab. Das Drehmoment des 292 PS starken A110S steigt steil an und erreicht sein Maximum von 320 Nm bereits bei 2‘000 Touren. Es bliebt dann konstant bis zur maximalen Leistung bei 6‘400 Touren und sinkt erst dann wieder ab.

Das ergibt ein anderes Fahrgefühl, denn auf die Fahrleistungen hat das erstaunlich wenig Einfluss. Die Unterschiede liegen in den Zehntelsekunden.

Rundgang

Als Mittelmotor-Coupé hat die A110S vorne und hinten einen Kofferraum. Aber wer darin das grosse Feriengepäck von Madame verstauen will, muss sich eine andere Beifahrerin oder ein anderes Auto zulegen. Der vordere Laderaum misst 96 Liter, der hintere 100 Liter. Oder er macht’s wie ein Kollege früher: Bei mehrtägigen Ausfahrten mit dem Sportwagen brachte seine Frau das Gepäck mit dem Rolls-Royce voraus.

Zudem ist das Öffnen der Hauben etwas mühsam und braucht Fingerfertigkeit – oder Geduld.

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Normalanzeige

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Sportanzeige

Einsteigen – es geht los!

Ein Druck aufs Knöpfchen an der Türfalle entriegelt die Türen. Nachdem man sich ins Innere geschlängelt hat, stellt man den Sitz ein. Manuell (Gewichtseinsparung). Man stellt dann gleich fest, wie gut man sitzt. Die Sitze geben guten seitlichen Halt, ohne einzuengen; sie sind zudem recht gut gepolstert.

Das Cockpit ist fahrerorientiert und stellt keine Rätsel. Der Blick in den Rückspiegel zeigt eine Aussicht wie aus einer Schiessscharte. Aber wer sich die Rücksicht aus einem Countach gewohnt ist (wo man gar nichts sieht), kann gut leben damit. Und sonst macht’s der Fahrer wie im Lambo empfohlen: Einfach so viel Gas geben, dass keiner mehr nachkommt, dann kann man auch ohne Sicht die Spur wechseln J.

Ablagen sucht man im A110S vergebens. Handschuhfach gibt’s keines, Fächer in den Türen auch nicht. Allein zwischen den Sitzlehnen, an der Wand zum Motor, gibt’s ein dreieckiges Fach, in dem die Bedienungsanleitung, die Parkscheibe und ähnliche Kleinigkeiten Platz finden. Um da ran zu kommen, renkt man sich allerdings fast den Arm aus. Unter der Mittelkonsole kann man auch kleinere Gegenstände ablegen, in der Hoffnung, sie fallen dort nicht seitlich runter während der Fahrt. Aber eben, das ist ja ein Sportwagen und kein Transporter.

Es geht los

Ja, dann woll’n wa mal: Mit dem grossen orangen Knopf in der Mittelkonsole startet der Motor mit heiserem und erstaunlich erwachsenem Klang. Er läuft sofort rund (heja, ist ja nur ein Vierzylinder). Die Bedeutung der drei fünflibergrossen Knöpfe D, N und R ist klar.

Das rückwärts Anfahren mit kalter Technik kann allerdings tückisch sein. Auch bei ganz feinem Gasgeben kommt die Kupplung manchmal sehr grob und die Räder drehen beim rückwärts aus dem Parkplatz fahren auf dem Sand der Baustelle nebenan gleich durch. Auch der Wechsel auf Vorwärtsfahrt (D) erfolgt im kalten Zustand manchmal etwas sprunghaft. Kurz danach aber funktioniert das 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe einwandfrei.

Vor sich, in der Mitte, hat man gross die Ganganzeige. In drei recht kleinen runden Anzeigen sieht man die Uhrzeit, den Benzinstand und die Aussentemperatur.

Rechts die Geschwindigkeitsanzeige digital, dahinter analog. Und links gross den Tourenzähler. Die grossen Schaltpaddel sind nicht nur zur Zier da. Bei forcierter Gangart schaltet das Getriebe nicht so gern hoch. Um die eigenen Ohren und die der andern Verkehrsteilnehmer nicht allzu arg zu strapazieren, schaltet man vorzugsweise manuell hoch. Dies geht problemlos auch unter Last. Natürlich kann man das DKG auch gleich auf manuell stellen (2x auf D drücken).

Beim Verlangsamen runterschalten macht die A110S automatisch. Möchte man manuell runterschalten, mittels linkem Paddel, schaltet das Getriebe sogar mit Zwischengas! Tönt gut!

Die Federung der A110S ist – das S im Namen hat es vorausgesagt – doch recht sportlich hart, auf schlechten Strassen, die es leider auch in der Schweiz immer mehr gibt, ist sie sogar recht unkomfortabel.

Das vergisst man, kaum ist man auf eine Strasse eingebogen, die höhere Touren und Geschwindigkeiten zulässt. Unglaublich, wie das kleine Auto Vorschub zeigt, die Gänge flutschen nur so rein, einer nach dem andern. Die Lenkung ist sehr direkt und die Bremsen haben fast keinen Weg: Sportwagen halt. Und wenn’s dann sogar sehr sportlich sein muss, kann man das Getriebe auch auf «Track» stellen.

Die A110S kann jedoch auch ganz zahm und zivil innerorts gefahren werden, zum Einkaufen zum Beispiel. Beim Beladen des Einkaufswagens muss man sich allerdings immer vor Augen halten, wie gross die Kofferräumchen des Autos draussen auf dem Parkplatz sind. Oder man lädt die Waren auf und vor den Beifahrersitz und schickt die Frau per Bus heim. Ähem.

Selbstverständlich waren wir mit der A110S auch auf unserer üblichen Teststrecke im Jura, über die jedes Testauto gefahren und manchmal gejagt wird. Während auf dem Autobahnteil nur die Leistung gefällt, macht die Landstrasse dann der Kurven wegen viel Fahrspass und das Rauf- und Runterschalten mittels der grossen, fest montierten, Schaltpaddel erfreut den sportlichen Fahrer. Die Fahrt dann über die steilere und schlechte Jura-Bergstrecke, die sonst das Highlight und der Spass sind, wird mit der brettharten A110S zur Tortur. Das Tempo muss doch sehr zurückgenommen werden. Die Naturstrasse hinunter auf der andern Bergseite zeigt die A110S, wie sie Schritttempo beherrscht. Das ideale Geläuf für die Alpine sind also eher gut ausgebaute kurvige Bergstrecken.

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Übrigens: Am Lenkrad gibt’s einen kleinen orangen Knopf, auf dem SPORT steht. Drückt man den, schaltet das Getriebe gleich einen Gang zurück, in Erwartung der Dinge, die da kommen sollen. Es wechselt die Anzeige der Armaturen. Die Ganganzeige wird plötzlich doppelt so gross und statt der kleinen «Ührchen» hat man nun eine Anzeige, wieviel Drehmoment und wie viele PS man gerade «verbraucht» oder anwendet oder wie man das nennen will. Braucht man im Alltag natürlich nicht, hingegen ist es doch interessant zu sehen, wie wenige PS es braucht, um zügig vorwärts zu kommen, ja wie oft da steht «<10 Nm, <5 hp». Etwas, das einen aber immer wieder dazu verleitet, den Sport-Knopf zu drücken, ist der veränderte Auspuff-Ton. Beim Vom-Gas-Gehen ploddert der Auspuff herrlich wie ein viel grösserer Motor.

Dass wir bei unserer Fahrweise mehr als die offiziellen 7.4 Liter Benzin verbrauchen würden, war wohl klar. Dass es dann «nur» 8.75 Liter wurden, hat uns ehrlich erstaunt.

Dass Renault in der nächsten Saison sein Formel-1-Team neu Alpine nennt, wird der kleinen Sportwagen-Marke mehr Bekanntheit verschaffen und (hoffentlich) die Verkäufe fördern. Auch dass man als Alpine beim 24-Stundenrennen in Le Mans antreten wird.

Es ist schön, dass ein grosser Autohersteller wie Renault sich in der heutigen so umweltbewussten und oft autofeindlichen Zeit getraut, solche Freudenspender zu bauen wie es die Alpine-A110-Autos sind. Bravo!

Mögen uns die Alpine A110 noch lange erhalten bleiben!

Heiny Volkart, VOLKARTpress

19. Oktober 2020

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Andere Verkehrsteilnehmer sehen oft nur diese Alpine-Ansicht.

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Das war das Original, das 1961 erstmals gebaut wurde. (Quelle: Wikipedia), die Verwandtschaft ist nicht zu übersehen.