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amadefries

2. November 2020

Peinlich? Sportlich!

Renault | 0 Kommentare

„Ist Dir das nicht peinlich?“ Wenn man mit dem Renault Megane Trophy-R vorfährt, braucht man tolerante Freunde. Auf den ersten Blick mag er aussehen, als hätten sich ein paar motivierte Neulenker im Zubehörkatalog ausgetobt und mit Schneideplotter gleich auch noch ein Set rassige Sticker gezimmert. Doch hier waren keine Amateure, sondern absolute Vollprofis am Werk. […]

„Ist Dir das nicht peinlich?“ Wenn man mit dem Renault Megane Trophy-R vorfährt, braucht man tolerante Freunde. Auf den ersten Blick mag er aussehen, als hätten sich ein paar motivierte Neulenker im Zubehörkatalog ausgetobt und mit Schneideplotter gleich auch noch ein Set rassige Sticker gezimmert. Doch hier waren keine Amateure, sondern absolute Vollprofis am Werk. Denn was hier vor mir steht, ist die jüngste Inkarnation einer schönen Renault-Tradition. Nämlich gegen Ende des Modellzyklus’ des Megane eine Jetzt-ist-Schluss-mit-lustig-Version rauszuhauen. Die Massnahmen, die beim aktuellen Trophy-R getroffen wurden, zeugen dann auch von einer in diesem Segment unbekannten Seriosität.

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Kurzfassung: Pneus? Spezifische Entwicklung von Bridgestone mit Renault-Sport-Logo auf dem Reifen. Fahrwerk? Manuell in Zug- und Druckstufe verstellbar von Öhlins. Bremsen? Sportbremsen von Brembo sind Serie, solche aus Karbonkeramik sind optional erhältlich. Räder? Superleichte Alus sind montiert (Einsparung pro Rad 2kg), weitere 2 Kilo pro Rad lassen sich mit den optionalen Carbonrädern einsparen. Auspuff? Akrapovic.

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Da kann es nicht überraschen, dass die Motorhaube aus Carbon besteht, oder? Und obwohl der Megane nur fünftürig erhältlich ist, hat der ultimative Sportler keine Rückbank verbaut. Die fast schon Chapman’sche Lust am Gewichtsparen treibt bisweilen auch amüsante Blüten. In der Pressemitteilung wird darauf verwiesen, dass darum die Multimediaeinheit mit dem kleineren erhältlichen Screen verbaut sei. Und die Existenz der Rückfahrkamera wird entschuldigend mit dem Schutz des Carbon-Diffusors begründet. Ok, Renault Sport, ich habe begriffen: Ihr habt ein Fahrer-Auto gebaut. Aber fährt sich das auch wirklich so?

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Oooooh, ja! Doch halt, über den Motor habe ich noch kein Wort verloren. Der ist ja doch auch ein bisschen mitentscheidend für das Erlebnis. Also: Der MR18, wie er intern heisst, verfügt über 1,8 Liter Hubraum. Der Vierzylinder-Turbo bringt es auf 300 PS, die er auf die Vorderachse schickt. Zückerchen: Geschaltet wird hier noch von Hand.

Also, jetzt endlich los. Beim Einsteigen ertönt ein pulsierendes Signal, das den Piloten wohl den Eindruck vermitteln soll, dass hier das Herz von Renault Sport schlägt. Schnell hört man nur noch den aggressiven Klang des Vierenders. Der Verzicht auf die Rückbank, sowie der Einbau von dünneren Scheiben sind dem Geräuschkomfort nicht gerade zuträglich. Aber wer will hier von Komfort schwatzen, wenn er in Alcantara-Schalensitzen eingebettet in das ebenfalls in Alcantara gehüllte Lenkrad greift? Eben. Auch über die nur per Schraubenschlüssel höhenverstellbare Sitzposition gibt es kein Gemecker, tief drin passt. Nur die Neigung der Lehne ein paar Grad nach vorne… nee, auch das geht nicht.

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Schon bei Innerorts-Tempo ist die Lust des Trophy-R an der schieren Fortbewegung spürbar. Ich fahre, für heutige Zeiten total ungewohnt, im zweiten Gang auf den Ortsausgang zu, der Sportmodus ist aktiviert. Nach einer minimalen Gedenksekunde zischt der metallic-weisse Fünftürer mit einer Beschleunigung nach vorne, die fasziniert und fast ein wenig verwirrt. Sitze ich wirklich in einem Fronttriebler? Die Bridgestone Semislicks helfen dann natürlich auch in den Kurven. Warm gefahren verkleben sie sich regelrecht mit dem Asphalt. Nur wenn dieser etwas rutschiger ausfällt, ist das eigentlich zu erwartende Untersteuern noch anzutreffen. Und wer dann erschrocken das Gaspedal lupft, sollte bereit sein. Das Heck dreht ein, lenkt mit, erfreut den Sportfahrer. Spätestens aber hier ist klar: Ungeübte Fahrer lassen besser die Finger von einem Gerät wie dem Trophy-R.

Aber auch geübteren und mutigeren Naturen müssen sich beherrschen. Selbst wenn fast jeder Kreisverkehr zu solchen Heckschwenks einlädt, so haben sie im regulären Strassenverkehr natürlich nichts zu suchen. Also: Sein lassen!

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Und so ist für mich die grösste Stärke des Renault Megane Trophy-R gleichzeitig seine grösste Schwäche. Er animiert zu einem Fahrstil, der zwar unglaublich viel Spass bereitet, der aber definitiv jenseits des Erlaubten endet. Dieses 300-PS-Geschoss ist ein Track-Tool, das zwar optisch fast wie ein Kompakter für den Alltag daher kommt, das aber als reines Rennstrecken-Gefährt fast mehr Sinn ergibt. Wer sich beherrschen kann, geniesst auch auf dem Arbeitsweg mehr als ein bisschen Rennflair. Vor dem Genuss kommt der Schmerz: 63’700 Franken kostet der Testwagen. Notabene noch ohne die Carbonräder und Keramikbremsen.

Die Carbonräder fänden übrigens auf der nicht vorhandenen Rückbank Platz, sogar entsprechende Halterungen sind bereits montiert. Ihr allfälliges Mehrgewicht wird durch nicht versenkbare und speziell dünne hintere Seitenscheiben möglicherweise schon kompensiert. Wenn wir schon beim Weglassen sind: Auch der Heckscheibenwischer glänzt durch Abwesenheit. Kaum weglassen kann man in einem modernen Auto die verschiedenen Fahrmodi. So wechsle ich im Trophy-R auf Knopfdruck zwischen der Basiseinstellung (Neutral) und Sport. Weiter gibt es eine noch etwas softere Comfort- sowie eine brutalere Race-Variante, die dann auch den ESP-Schutz fallen lässt. Als fünfte Möglichkeit bietet sich unter „Perso“ eine individuell konfigurierbare Einstellung. Diese drei Modi können nur über den Touchscreen angewählt werden.

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Es gibt wenige Autos, deren Faszination dermassen stark vom Fahrerlebnis an sich abhängt. Wer den Trophy-R für ein paar Stunden bewegt hat, möchte am liebsten nicht mehr aussteigen. Nie mehr. Das breite Grinsen auf dem Gesicht der Pilotinnen ist dem Hersteller gewiss. Renault hat also einmal mehr geliefert. 500 Stück wurden gebaut, viele davon dürften in der Schweiz unterwegs sein. Und jedem einzelnen werden zahlreiche Daumen (nach oben) und grüssende Hände aus anderen Megane entgegenwinken. Denn: Unter dem Radar fährt man mit dem weissroten Trophy-R nun definitiv nie. Wem angesichts der potentiell empörten Reaktionen die Schamesröte ins Gesicht steigt, der könnte sich natürlich überlegen, die französische Rakete dunkelgrau zu folieren. Das würde dann zum Carbonlufteinlass auf der Haube aus dem gleichen Material passen. Aber: Es würde wieder ein paar Kilo mehr auf der Waage bedeuten.

Vielleicht werden wir irgendwann auf dieses eine Auto zurückblicken und sagen, es sei das letzte Hurra des Verbrennungsmotors gewesen. Abgesehen von einer Start-Stopp-Automatik frei von Spritsparbemühungen ist der Megane in dieser Vollfettausgabe dem puren Genuss verpflichtet. Trotzdem messen wir natürlich den Verbrauch. Er kam im nicht zimperlich gefahrenen Test auf einen Durchschnittswert von 8,5 Liter, wobei ich ihn stets mit dem teureren 98er Stoff gefüttert habe.

Am Ende kann die Antwort auf die eingangs gestellte Frage nur lauten, „doch, aber der Genuss ist grösser als die Scham. Rock on!“