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zuendung

11. Januar 2012

Stärker, schneller, besser?

Nissan | 0 Kommentare

Es scheint fast so, als sei Weiss die Lieblingsfarbe von Nissan. Nach dem weissen Nissan Leaf teste ich nun einen weissen Nissan GT-R. Beim Stromer wirkt die Farbe noch unschuldig und passend für ein "Zero Emission Vehicle". Beim Supersportwagen dagegen erinnert die Lackierung eher daran, dass ich die Sponsorenaufkleber für das nächste Rennen noch anbringen […]

Es scheint fast so, als sei Weiss die Lieblingsfarbe von Nissan. Nach dem weissen Nissan Leaf teste ich nun einen weissen Nissan GT-R. Beim Stromer wirkt die Farbe noch unschuldig und passend für ein "Zero Emission Vehicle". Beim Supersportwagen dagegen erinnert die Lackierung eher daran, dass ich die Sponsorenaufkleber für das nächste Rennen noch anbringen muss. Aggressiv fletscht das Biest seine Zähne, neu begleitet von LED-Tagfahrlicht im unteren Bereich des Stossfängers. Überhaupt sind die optischen Änderungen gegenüber dem Exemplar, das ich vor drei Jahren auf dem Nürburgring bewegen durfte absolut marginal. Hinten erkennt man das Facelift am Diffusor mit mittiger Nebelleuchte, seitlich gibt es ganz hinten zwei kleine Entlüftungsgitter und vorne ist der Verlauf der Chromspange im Grill etwas anders.

Unter der Haube lauern nun 530 statt 485 PS. Klar, eine Leistungssteigerung. Aber ob man die auf diesem Niveau noch spürt? Das und ob ein Auto wie der GT-R auch im Alltag funktioniert wollte ich im einwöchigen Test herausfinden. Schon auf den ersten Kilometern merke ich, dass auch der Alltag in diesem Auto nie wirklich alltäglich sein kann: Jüngere Verkehrsteilnehmer gucken, winken, zeigen mit dem Daumen nach oben und verlangen Beschleunigungsshows. Auf vollgestopften Schweizer Autobahnen zur Rush Hour könnte man nicht mal, wenn man wirklich wollte. So lande ich vorerst auf der rechten Spur, um inmitten der LKW-Meute zu cruisen.

Nicht nur für die etwas lockerere Fortbewegung empfiehlt sich die Fahrwerkseinstellung "Comfort". "Normal" oder für die schnellen unter uns "R" verlangen nach mehr und noch mehr Nehmerqualitäten. Nicht nur das Fahrwerk, auch die Kraftübertragung und die Stabiltiätskontrolle können mit je einem Schalter nach Belieben kontrolliert werden. Und dann ist da natürlich der grosse Screen, der unter anderem G-Werte für Beschleunigung, Verzögerung oder Lenkbewegungen anzeigen kann. Was insbesondere von unseren deutschen Kollegen lange als typisch japanisches PlayStation-Accessoire belächelt wurde, hat inzwischen seinen Weg in die neuste Ausgabe des Porsche 911 (991) geschafft. Man lernt eben von den Besten. Den 315 Liter grossen Kofferraum im Heck wird man in Zuffenhausen höchstens mit der Kreation eines neuen Modells kopieren können.

Tatsächlich eignet sich der japanische Supersportwagen damit als Begleiter zum Supermarkt. Auf den hinteren Sitzen sollten auf dem Weg dorthin aber besser nur Kinder Platz nehmen. Quetsche ich (1,74m) mich nach hinten, drücken sich die Kniescheiben in den Vordersitz und die Frisur in die Heckscheibe. Auch auf dem Beifahrersitz wird ein gewisses Mass an Leidensfähigkeit verlangt. Die Recaro-Sitze sind zwar bequem, doch das Fahrwerk zeigt sich auch in der komfortabelsten Einstellung nicht eben zimperlich. Aber seien wir ehrlich: Wer eine Sänfte will, kauft keinen GT-R.

Von den Fans hat er längst den Beinamen Godzilla erhalten. Kein Wunder bei 612 Newtonmeter zwischen 3200 und 6400 Touren. Trotz Traktionskontrolle drehen die Räder beim schnellen Ampelstart kurz durch. Beim Bremsen aus höheren Geschwindigkeiten wird das Heck so leicht, dass man auf unebenen Strassen alle Sinne beisammen haben muss. Mich beeindruckt das ungemeine Potential, das man in diesem Auto in jeder Sekunde spürt. Mit seinem sonoren Auftritt macht mir der 3,8-Liter V6 klar, dass er jederzeit bereit für den ultimativen Sprung ist. Und wenn ich auf sein forderndes Wesen eingehe, dann bietet sich mir ein Erlebis, das nicht von dieser Welt ist. Fast schon digital zoomt sich der GT-R nach vorne, unglaublich schnell schiesst die nächste Kurve auf mich zu. Mit der mitteilsamen Lenkung lässt er sich genau und intuitiv steuern. Die Bremse will kräftig getreten werden, verzögert dann aber mindestens so brutal wie er beschleunigt. Sind alle Schalter auf "R", wird das Rennsportfeeling Wirklichkeit. Mit einer kurzen Verzögerung reagiert das Getriebe auf mein Ziehen am Schaltpaddel aus Magnesium. Wenn ich vor der Kurve etwas kräftiger bremse, übernimmt er das Runterschalten sogar selbst, begleitet vom genau richtig dosierten Mass an Zwischengas.

So macht das Fahren richtig Spass. Nur, dass man sich schon beim Gedanken ans Gasgeben in den illegalen Geschwindigkeitsbereich zu katapultieren droht, trübt das Vergnügen ein wenig. Es ist die Einfachheit des Fahrens, die mich beim Nissan GT-R mit am meisten beeindruckt. Ein Auto, dass man ohne Probleme seiner Schwiegermutter borgen könnte. Wenn man denn wollte. Denn bei aller Alltagstauglichkeit birgt dieses Monster vor allem durch puren Fahrspass richtiges Suchtpotential. Im Test erwies ich mich als nicht eben suchtresistent. Damit erklärt sich dann der Testverbrauch von 12,5 Liter von selbst. Dieser wäre mit einer super anständigen Fahrweise in die Region um 10 Liter zu bewegen. Doch seien wir ehrlich: Will man das bei der Fahrt mit einem Nissan GT-R? Eben.

Auch die aktuelle Version des Nissan GT-R ist ein extrem imposantes Fahrzeug. In einigen Bereichen konnte der Supersportwagen zum BMW M3-mit-Vollausstattung-Preis (128'500 CHF) noch weiter verfeinert werden. Er bietet weiterhin eine perfekte Symbiose aus Alltagstauglichkeit und Rennstreckenfeeling. Dazu kommt eine komplette Serienausstattung inklusive bequemer Sitze und klangmächtiger Soundanlage. Das Plus an Leistung gegenüber der ersten Auflage spürt man nur im direkten Vergleich. Ihnen beiden und auch der im nächsten Jahr mit nochmals 20 PS erstarkten Version ist eines gemein: In Weiss sehen sie richtig scharf aus.