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3. August 2017

Starkstrom

Opel | 0 Kommentare

Fahrbericht Opel Ampera-e Starkstrom «Zu wenig Reichweite», «zu teuer», das waren die vorgebrachten Killerargumente, wenn man jemanden für ein elektrisch angetriebenes Auto erwärmen wollte. So ganz unrecht hatten die Leute ja nicht, aber die Argumente kann man heute nicht mehr bringen. Es gibt jetzt den Opel Ampera-e. Gegenüber einem vor 20 Jahren im Rahmen des […]

Fahrbericht Opel Ampera-e

Starkstrom

«Zu wenig Reichweite», «zu teuer», das waren die vorgebrachten Killerargumente, wenn man jemanden für ein elektrisch angetriebenes Auto erwärmen wollte. So ganz unrecht hatten die Leute ja nicht, aber die Argumente kann man heute nicht mehr bringen. Es gibt jetzt den Opel Ampera-e.

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Gegenüber einem vor 20 Jahren im Rahmen des Mendrisio-Projektes (VEL1, 1995 – 2001) beschafften elektrischen Peugeot 106 hat die Automobilindustrie nun doch einige Fortschritte gemacht. Der kleine Peugeot war damals zwar gleich teuer wie ein heutiges Elektroauto, hatte aber eine Reichweite von nur 70 Km. Bis vor wenigen Jahren kam man aber auch mit modernen Elektroautos nicht viel weiter. Die auf dem Papier versprochenen 120, 150 und mehr Kilometer endeten oft schon bei der Hälfte – oder einige Kilometer vor dem Ziel.

Dann hat Tesla die Branche das Fürchten gelehrt mit Reichweiten um 400 Kilometer, allerdings auch mit sechsstelligen Preisen. Seit man aber auch mit einem Renault Zoé damit rechnen darf, dank Reichweiten von um die 300 Km wieder nach Hause zurückkehren zu können, müsste eigentlich der Bann gebrochen sein. Sicher sein kann man eigentlich nur mit einem Plug-in-Hybriden, doch schreckte da wieder der Preis oder die doch eher bescheidene elektrische Reichweite. Dem Vorgänger unseres heutigen Testwagens, dem Opel Ampera, resp. Chevrolet Volt, waren in der Schweiz die grossen Stückzahlen verwehrt. Das könnte sich nun ändern mit dem Nachfolger, dem Opel Ampera-e, in den USA Chevrolet Bolt genannt.

Seit Ende Mai 2017 kann man den Ampera-e bestellen, auf den Strassen der Schweiz sieht man ihn noch nicht (Auslieferung zurzeit in Norwegen, dann Deutschland und Niederlande, erst dann die Schweiz). So stösst der Ampera-e überall auf grosses Interesse. Aber nur, wenn die Leute ihn nicht hören oder die Aufschrift auf den Seiten lesen. Der Ampera-e ist nämlich keineswegs irgendwie futuristisch gestylt, er sieht aus wie irgendein Auto, man übersieht ihn gerne.

Es ist Opel (General Motors) hoch anzurechnen, dass sie das von der Realität eingeholte Projekt Opel Ampera / Chevrolet Volt abbrachen. Irgendwie war das ja weder Fisch noch Vogel, dazu teuer, und der oft gequält tönende Benzinmotor lief viel zu oft mit für ein offiziell als Elektroauto bezeichnetes Gefährt.

Also alles zurück auf Feld 1: Wie sinnvoll es ist, den völlig neuen Wagen statt Ampera nun Ampera-e zu nennen, resp. Bolt statt Volt, überlassen wir den Käufern. Wenn wir erwähnten, wir hätten zur Zeit den «neuen Ampera-e» im Test, taten viele Leute herablassend, weil sie glaubten, es handle sich nur um ein Facelift und nicht um ein völlig anderes Auto. Das mag sich ändern, wenn die Fahrzeuge dann auch in der Schweiz an die Käufer ausgeliefert werden. Im Moment (Ende Juli) sind ja nur Testwagen im Einsatz.

Wir kannten den Ampera-e bereits von einer statischen Präsentation im November 2016: Nur 4.16m lang, aber knapp 1.60 hoch, entspricht er den im Trend liegenden aktuellen kleinen SUV/Crossover, ist kurz wie ein Kleinwagen, hoch wie ein SUV, mit 176.5 / 204cm Breite aber gross wie ein Mittelklassewagen. Der Ampera-e bietet denn im Innenraum auch verblüffend viel Platz, vorne und hinten.

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Fahrbericht

Für ein Auto mit Kleinwagenlänge bietet der neue Ampera-e erstaunlich viel Platz, sowohl für Fahrer/Beifahrer als auch für die Rückbänkler. Der Laderaum ist über eine relativ hohe Ladekante (rund 90 cm) zu erreichen und misst ansehnliche 381 Liter. Da die Rücksitzlehnen im Verhältnis 1/3 und 2/3 abklappbar sind, bringt man bis zu den Vordersitzen, resp. bis unters Dach, sogar 863 / 1’274 Liter rein. Allerdings beträgt die Zuladung nur 355 Kg. Bei zum Beispiel drei Passagieren und etwas Gepäck ist das schnell erreicht. Einen Anhänger darf der Ampera-e übrigens nicht ziehen.

Wir nehmen Platz, etwas höher, wie in einem SUV, und studieren mal, was da alles «dran» ist. Wer die Armaturenbretter von Opel kennt, findet sich auch im «Elektriker» schnell zurecht. ABS, ESP plus ist drin, generell alles, was man so braucht und erwarten darf. Abstandsradar (ACC) fehlt aber zum Beispiel. Eine Sitzheizung gibt’s natürlich, nicht aber eine Sitzbelüftung. Auch ein modernes Infotainment-System ist vorhanden (IntelliLink-e). Und, schon fast Standard in allen Opels: Opel OnStar, der persönliche Online- und Service-Assistent.

Zum Grundpreis von CHF 41’900 gibt es einen Elektromotor mit 150 kW Leistung, also 204 PS. Wie üblich kann man einige Sonderausstattungen dazu bestellen: Ein Fahrerassistenz-Paket für 1’290 Franken umfasst die Rückfahrkamera, Abstandsanzeige, Spurassistent, Verkehrsschilderkennung, Parkpilot etc. Richtig einschenken tut das Premiumpaket für 2’490 Franken. Man erhält dafür die Lederausstattung, heizbares Lenkrad, Sitzheizung vorn und hinten, 17″-LM-Felgen, usw. Für die Metallic-Lackierung sind weitere 850 Franken hinzublättern. Damit kommt unser Testwagen nun auf CHF 46’530. Viel? Ja gut, aber immer noch erst die Hälfte eines Tesla.

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Wir fahren

Die 360 Nm Drehmoment sind ab Abfahrt verfügbar und vermitteln ein sagenhaftes Beschleunigungsgefühl. 7.3 Sekunden von 0 auf 100 tönen zwar nicht besonders überwältigend, aber die 3.1 Sekunden von Null auf Fünfzig drücken einen schon gewaltig in den Sitz, auch die 4 ½ Sekunden für den Zwischenspurt von 80 auf 120, weil es eben überhaupt keine Verzögerung gibt beim Druck aufs Fahrpedal. Der Ampera-e wiegt ja leer immerhin 1’701 Kg.

Es empfiehlt sich allerdings, Beschleunigungsorgien nur auf gerader Strasse zu feiern, denn das Fahrwerk ist bei vehementer Beschleunigung in Kurven jeweils nicht ganz einverstanden. Mit den möglichen ebenso vehementen ESP-Eingriffen sind dann jeweils nicht alle Fahrer einverstanden. Verstehen wir uns?

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Doch empfiehlt sich eine treibstoffsparende Fahrweise, wie beim Benziner oder Diesel ja auch. Und wenn man dann so gemütlich dahinfährt, fallen einem doch einige Sachen auf, die man besser machen könnte:

– Der Abrollkomfort ist schlecht. Sobald die Strasse, auch Autobahn, nicht ganz glatt ist – und leider erinnern immer mehr Strassen in der Schweiz an frühere Balkanpisten – dann kommen die Stösse doch hart durch. Und das nicht etwa bei «Sport»-Einstellung.

– Schweiz = Tunnelland: Es scheint eine Opel-Krankheit zu sein, dass die Lichtautomatik in Tunnels viel zu spät einschaltet. Der Ampera-e ist hier leider auch keine Ausnahme. Das ist ärgerlich und gefährdet die Sicherheit.

– Apropos Tunnel: Dass in den meisten Tunneln auch zehn Jahre nach Einführung von DAB-Radio keine Radiosendungen empfangen werden können, ist nicht Opel anzulasten, sondern der unglaublichen Arroganz und Schlamperei des Astra (Bundesamt für Strassen). Auch auf vielen Strecken abseits der Autobahnen gibt es oft keinen Empfang (Simmental zum Beispiel) über Dutzende Kilometer. Auch wenn nicht das Auto oder deren Erbauer schuld sind, ärgerlich ist es trotzdem.

– Auf einer längeren Fahrt haben wir, Fahrer und Beifahrerin, nie eine zufriedenstellende Belüftung erreicht. Entweder blies es zu stark oder gar nicht, es zog oder dann wurde es zu heiss im Auto, oder die Klimaanlage stellte ab oder blieb wirkungslos, … Wer allein unterwegs ist, kann die Düsen natürlich einfach auf die andere Seite drehen, wenn dort aber jemand sitzt, handelt man sich damit Ärger ein.

– Die Sitze sind bequem und bieten guten Seitenhalt, auch wenn es keine AGR-Sitze sind, auch auf längeren Fahrten. Man sitzt etwas erhöht und hat gute Übersicht. An heissen Tagen wünschte man sich eine Sitzbelüftung.

– Die Verkehrszeichenerkennung ist eine gute Sache. Wenn sie funktioniert. Im Testwagen erfasste die Kamera sehr oft irgendwelche Geschwindigkeitsbeschränkungen von für die gefahrene Strecke irrelevanten Ausfahrten, Parkplätzen und dergleichen, sah die Aufhebung nicht oder zeigte gleich beides, Freie Fahrt und die 50er- oder 60er Tafel gleichzeitig – oder einfach drei Striche im roten Feld. Wenn etwas eingebaut ist, muss es funktionieren, Punkt.

– Ansichtssache oder eine Philosophiefrage ist, dass der Ampera-e über kein Navigationsgerät verfügt, weder serienmässig dabei noch als Option erhältlich. Die Meinung ist, dass über das Smartphone navigiert wird. Aktueller (keine veralteten Karten) und heute hat sowieso jeder ein Smartphone in der Tasche. Im Testwagen lag sogar extra ein iPhone 5 mit Kabel. Die Anzeige würde dann über den grossen 10,2″-Monitor erfolgen. Wir ziehen ein «konventionelles» Navi vor und haben uns mit einem Separatnavi für die Frontscheibe beholfen. Das kann allerdings auch nicht die Lösung sein. Nichts gegen die gewählte Smartphone-Lösung, aber ein «konventionelles», eingebautes Navi sollte als Option erhältlich sein.

Obwohl der Ampera-e kein Sportwagen ist, trotz sportwagenähnlichen Beschleunigungsmöglichkeiten, haben wir ihn über unsere übliche Testrunde gescheucht (Innerorts, Autobahn, Landstrasse, Jurapassstrasse, Naturstrasse, bergauf/bergab, …). Da zeigt sich dann am schmalen Jurapass die eher amerikanische Fahrwerksabstimmung. Ein sicheres Gefühl entsteht da nicht und die Lenkung, die je nach Geschwindigkeit sehr schnell anspricht oder auch mal etwas schwammig reagiert, gibt nicht die verlässliche Rückmeldung in den verlängerten Rücken. Aber eben, es ist ja kein Sportwagen. Schade, wie der Insignia zeigt, können die deutschen Ingenieure das offenbar besser als die Amerikaner.

 

Die Reichweite, der Verbrauch

Die 520 Km Reichweite, von denen man überall lesen kann, darf man nicht Opel zum Vorwurf machen. Sie entsprechen dem aktuell gültigen NEFZ-Wert, von welchem Laborwert man seit Jahren weiss, dass diese Werte in der Praxis nie erreicht werden. Es kommt aber eine neue Messmethode, der WLTP (Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure). Nach diesem, dem Alltagsbetrieb näher kommenden Test, erreicht der Opel Ampera-e immer noch stolze 380 Km. Leider trauen sich die Mitbewerber aber nicht, den WLTP-Wert ihrer E-Autos auch jetzt schon zu veröffentlichen. Die 400 für einen Zoé genannten Kilometer oder die 300 eines elektrischen Golfs muss man also immer mit den 520 Km des Ampera-e vergleichen.

Das ist ja alles schön und recht. Aber zählen tun nur die selber ge- und erfahrenen Werte. Aber weil genau die Reichweitenangst, neben dem Preis, DAS Kriterium für oder eben gegen ein Elektroauto ist, wollen wir hier etwas ausführlicher darauf eingehen. Die Zahlen sind einigermassen aussagekräftig, denn wir sind immerhin 840 Km gefahren mit dem Test-Ampera-e.

Je schneller man fährt, desto grösser wird der Luftwiderstand, desto höher der Verbrauch. Das ist immer so. Auch beim E-Auto steigt der Verbrauch bei Autobahntempo. Bei den relativ vielen Autobahnfahrten (nicht hektisch, aber mit 120) zeigte sich ein Verbrauch von 16.5 bis 17 kWh. Sofern man die 60 kWh-Batterie tatsächlich ganz leer fahren kann (was wir nicht ausprobiert haben) käme man so immerhin 360 Km weit. Das ist schon mal wesentlich mehr als mit jedem andern (bezahlbaren) Elektroauto. Aber innerorts (50 bis 60) und auf Landstrassen (80) ist der Ampera-e viel genügsamer.

Beispiel einer Langstreckenfahrt: 100 Km Autobahnfahrt (Verbrauch 16.5 kWh), dann 50 Km bergauf, von 500 MüM auf 1280 Meter (Saanenmöser) und wieder auf 1’050 Meter (Gstaad/Saanen), Verbrauch 8 kWh, also 16 kWh/ 100 Km. Rückfahrt wieder hinauf auf 1’280 Meter und dann mehr oder weniger alles abwärts bis wieder auf rund 500 MüM. Verbrauch für diese 50 Km: 4 kWh (entspr. 8 kWh/100 Km). Hin und zurück also trotz Berg- und Talfahrt 12 kWh/100 Km. Dann wieder Autobahnfahrt, mit Licht und tw. mit Scheibenwischer. Der Durchschnittsverbrauch für diese rund 300 Km betrug 15.3 kWh. Bei dieser Fahrweise käme man also 392 Km weit. Der Bordcomputer zeigte jedenfalls noch eine Restreichweite von 86 Km an (max. 101, min. 70). Es hat sich somit erneut gezeigt, dass die von Opel genannten 380 Km gemäss WLTP der Realität entsprechen können, obwohl natürlich Fahrweise und äussere Umstände das Ergebnis verändern. Auf einer ebenfalls längeren Fahrt ins Welschland mit viel Autobahn, alles flach, resultierte ein Durchschnittsverbrauch von 14.67 kWh.

Um’s nun kurz zu machen: Auf die gesamten 840 Km verbrauchten wir im Schnitt 14.5 kWh Strom. Dieser Strom hätte uns (bei 20 Rp/kWh) Fr. 24.40 gekostet. Hätte deshalb, weil wir oft an öffentlichen Schnellladestationen gratis getankt haben. Bei einem Benziner hätte das Benzin für diese 840 Km 86 Franken gekostet (7 lt./ 1.46).

Es ist also durchaus möglich, wirklich 380 Km zu fahren mit einer Batteriefüllung (60 kWh) und zwar nicht als Spar- und Rekordtrip, sondern ganz real, auf allen möglichen Strassen, bergauf und bergab, bei Nacht und bei Regen.

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Zum Laden: Wer sich einen Ampera-e anschaffen möchte, muss unbedingt eine Wallbox installieren (eine Heimladestation). An der gewöhnlichen Haushaltsteckdose, die man so in der Garage hat, dauert das sonst sieben Ewigkeiten, bis die Batterie wieder voll ist. Eine Nacht reicht da nie! An öffentlichen Ladestationen, an denen um die 20 kW fliessen, dauert es dann zwei bis drei Stunden, um eine halb oder fast geleerte Batterie wieder vollzuladen. Daheim kann das ein bis zwei Tage dauern, ohne Witz!

Es gibt Verzeichnisse im Internet über die verfügbaren Ladestationen. Diese Listen taugen wenig. Es gibt in der Realität schon viel mehr Ladestationen, als dort verzeichnet sind. Aber die entdeckt man u.U. nur per Zufall. Ob sie dann auch funktionieren, ist wieder eine andere Frage.

Garantie: Opel gewährt Garantie im üblichen Rahmen. Relativ teure Anschlussgarantien (FlexCare) sind möglich, sodass dann 5 Jahre Garantie bestehen. Wie lange Opel Garantie auf die Batterie gewähren wird, steht offenbar noch nicht fest.

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Zusammenfassung

Der vollelektrische Ampera-e ist aussen kurz und innen gross. Dank grosser Batterie (60 kWh) kommt man damit weiter als mit jedem andern Elektroauto, (vom teuren Tesla mal abgesehen). Ab 41’900 Franken plus etwas für Sonderausstattungen erhält man ein gut ausgerüstetes Auto, das trotz 1,7 Tonnen Leergewicht erstaunlich gute Fahrleistungen erbringt, die man allerdings nicht in sportliche Kurvenfahrten umsetzen sollte. Der Platz zum Sitzen ist hinten wie vorn gut und die Sitze bequem. Der Laderaum ist trotz der Kürze des Autos (4.16m) gross und variabel, die Ladekante etwas hoch, die Zuladung gesamt ausreichend (355 Kg).

Die gemäss WLTP genannten 380 Km sind gut erreichbar, wer mehr oder weniger nur im Mittelland auf Landstrassen fährt, kommt locker auf über 400 Km.

Den Verbrauch von durchschnittlich 14,5 kWh/100 Km betrachten wir für das leistungsstarke Auto als gut bis sehr gut. Ein paar Schwachstellen hat der Ampera-e allerdings auch, siehe Bericht, teilweise sind sie relativ schnell zu beheben, andere sind aber vielleicht Geschmackssache.

Heiny Volkart, VOLKARTpress