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zuendung

21. Juni 2006

Tonabnahme

Alfa Romeo | 0 Kommentare

Die "ganz-wichtig-Liste" ist lang. Bevor Jürg Moser die Schlüssel seines Alfa Montreal aushändigt, gilt es zuzuhören und brav zu nicken. Ja, kein Gas geben beim Anlassen. Ok, danach nur wenig Gas geben. Usw. Das Wichtigste aber fehlt auf der Liste. Nämlich die Ohren zu putzen für die Eichung des Gehörs. Ob einem das einmalige Bertone-Äussere […]

Die "ganz-wichtig-Liste" ist lang. Bevor Jürg Moser die Schlüssel seines Alfa Montreal aushändigt, gilt es zuzuhören und brav zu nicken. Ja, kein Gas geben beim Anlassen. Ok, danach nur wenig Gas geben. Usw. Das Wichtigste aber fehlt auf der Liste. Nämlich die Ohren zu putzen für die Eichung des Gehörs.
Ob einem das einmalige Bertone-Äussere gefällt, geht als Frage des Geschmacks durch. Was aber nach dem Dreh am Zündschlüssel die Ohren in Kur nimmt, ist objektiv, und nichts als die Wahrheit.
zündung.ch rein, Zündung ein: Flugzeugähnlich wimmern die Benzinpumpen. Anlasser drehen lassen – kein Gas! – nach einigen Sekunden füllen sich die acht Töpfe und erwachen: dumpfes, gleichmässiges Dröhnen füllt die Tiefgarage. Der Fahrer freut sich – übers Dröhnen und dass der Wagen überhaupt ansprang, schliesslich werden über die Mechanik des Montreals üble Geschichten rumgereicht.

Trotz Frontmotor spendierte Bertone dem Montreal mittelmotorähnliche Lüftungsschlitze hinter den Türen

Das Rausmanövrieren aus der Garage wird akustisch untermalt mit gezielten Gasstössen. Geschafft, im Freien! Von den Generation-Golf-Fahrern verlangt der Überalfa einiges an Muskelkraft. Servounterstützung gibt's – so scheint es zumindest – einzig für die Beschleunigung und fürs Klangvolumen der acht Zylinderchen. Am Lenkrad dreht oder besser stemmt Kollege Oberarm. Also nichts für die "smarte" Generation, der Montreal will richtiggehend, dass man ihn hart anpackt. Das gilt nicht aber fürs rechte Pedal: Es verbindet den Gasfuss mit einer achtendigen Radialeinspritzpumpe, die der Dieselpumpe einer Baumaschine nicht unähnlich sieht. Nur fliesst hier Benzin durch. Erstens zwar reichlich, aber zweitens äusserst effektiv. Nicht unbedingt wird die im Benzin gespeicherte Energie jedoch bestmöglich in Bewegung umfunktioniert, wie es von modernen Genossen so streng gefordert wird. Vielmehr weckt das eingespritzte Benzin die wohl erotischste Stimme unter den V8ern, wo keineswegs von Verschwendung die Rede sein kann.

Die Zeit der schmalen Hintern – damals sogar bei Sportlern üblich

Die Reichweite des Montreals ist beträchtlich: Bei freier Strasse genügt es, den Gasfuss ein wenig nach unten zu neigen. Sanft aber zielsicher legt der übrigens aus dem legendären Alfa 33 Tourenwagen entliehene Rennmotor los in Richtung 7000er Marke. Die Drehzahlen klettern und scheinen nie enden zu wollen. 200 PS aus nur 2.6 Litern Hubraum drücken einen ordentlich in die Stoff-Liegesitze. Aufs Gehör aber drückt der V8-Winzling nicht. Im Gegenteil, die vier Ohren im Cockpit sind sich einig eben mit dem "so muss es sein"-V8-Klang geeicht worden zu sein. Auch für draussen reicht das Volumen vollends. Manchen – wie zum Beispiel einigen Wanderern nahe unserer Teststrecke – mag jedoch das "Auspuffgeräusch" nicht behagt haben. Insbesondere beim Gaslupf nach dem Hochdrehen schiesst der Renner aus den beiden Töpfen, mit schussähnlichem Knall. Natürlich begleitet von – so behaupten Augenzeugen – ellenlangen Stichflammen.

Innen genauso wie aussen: 1973!

Das wollen wir selbst sehen. Hochdrehen im Stand, dann Fuss vom Gas. Tatsächlich, die Schlafaugen-Scheinwerfer täuschen, im Montreal stecken furchterregende Jagdgene! Während die Ohren längst in Trance schweben, lassen sich die Oberarme und der Hinter aber nicht betören. Bei der Hetzerei durch oberländische Kurven müsste sich der Klassiker von 1973 heute wohl selbst von Kleinwagen schlagen lassen. Zu stark legt er sich in Kurven, die hintere Starrachse ist überfordert, und die etwas angejahrten Reifen schmieren bald weg. Wir ersparen es ihm. Was hier zählt sind a) Motor und b) Verpackung. Bei a) fällt die Wertung leicht, der Aluminium V8 mit vier obenliegenden Nockenwellen sollte die Mutter aller V8 sein. Wenigstens in den Disziplinen Optik und natürlich Akustik. b) dürfte die Geister scheiden. Die einen lieben die vom Miura inspirierte Bertone-Form, die anderen eben nicht. Nun, wir schon, und zwar sehr. Vor allem in grün.

DER V8 unter den V8ern: Aluminium, vier obenliegende Nockenwellen, Benzineinspritzung und aus nur 2.6 Litern Hubraum 200PS

Wäre der Innenraum nicht im selben Stil gehalten wie das Äussere, wir hätten uns nicht entscheiden können zwischen kucken von aussen und V8-hören von innen. Aber auch innen warten Bertones 70er Jahre in Reinform. Zerklüftete Instrumente, beige Sitzbezüge und eine Sitzposition, in der es sich nur mit einer coolen Sonnenbrille gute Figur machen lässt. Mittig ragt der Schalthebel aus dem Kardantunnel. Er herrscht über fünf Gänge, wobei Nummer eins unten links, sprich in "dogleg" Position liegt. Die Box wurde damals von ZF beigesteuert. Ein Gewinn, denn die Gänge springen willig, flink und sehr präzise in Aktion.

Grün in Grün: die Farbe passt optimal zum "Schlafaugen"-Gewand

Sorry liebe US-Garde, die zündung.ch Ohren sind nun auf Montreal V8 geeicht – weder Hubraum noch Grauguss noch grosse Röhren sind nötig für DEN V8-Sound. Hätten die Alfa-Ingenieure den Montreal damals nicht auf dem Giulia-, sondern auf dem Alfetta-Fahrwerk aufgebaut, könnten die V8-Pferde heute noch den andern um die Ohren galoppieren. Hätte, wäre, könnte – fest steht, dass Jürg Mosers Montreal V8 zum feinsten Blech überhaupt dazugehört. Und man hört es sagen, Jürg Moser denke darüber nach, den Montreal zu veräussern. Mehr unter www.alfa-oldtimer.ch
Wir hoffen, dass der Montreal auch in Zukunft seine Sozialverantwortung wahrnehmen kann und Mitmenschen reinsten V8 vorspielen darf.