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marcwegmueller

5. August 2015

Wolle, Jute, Kohlefaser

BMW | 0 Kommentare

BMW i3 REX Wer die Bayerischen Motorenwerke für ihre gerade Linie liebt, schliesst den i3 nicht gleich ins Herz. Nichts an ihm passt ins BMW-Schema, nicht einmal ein Hofmeisterknick ziert die hintere Säule. Die Doppelniere ist hellblau umrandet und nur angedeutet, Luft lässt sie keine durch. Wenn schon Wege verlassen, dann richtig, finden wir. In […]

BMW i3 REX

Wer die Bayerischen Motorenwerke für ihre gerade Linie liebt, schliesst den i3 nicht gleich ins Herz. Nichts an ihm passt ins BMW-Schema, nicht einmal ein Hofmeisterknick ziert die hintere Säule. Die Doppelniere ist hellblau umrandet und nur angedeutet, Luft lässt sie keine durch. Wenn schon Wege verlassen, dann richtig, finden wir. In den Augen des bisherigen Zielpublikums, das die heckgetriebenen Premiumwagen vorzugsweise in silbergrau, schwarz oder dunkelblau bestellt, mag die i-Linie alles andere als vernünftig erscheinen. Entsprechend empfängt uns der Kundenberater im grauen Anzug, ganz darauf bedacht, die Vorzüge der aus der Reihe tanzenden Neugestaltung an den Mann zu bringen. An den Mann wohlverstanden, und nicht an die Frau: Das Gespräch führt er von Mann zu Mann im klimatisierten Innenraum und lässt die zündung.ch-Testfahrerin in der prallen Sonne stehen.

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Der männliche zündung.ch-Testfahrer hängt an den Lippen des BMW-Mannes, nur um zu lernen, dass es beim i3 gar nicht viel zu lernen gibt. Es gibt einen Knopf fürs Ein- und Ausschalten und einen Hebel für vorwärts oder rückwärts. Mehr braucht es nicht. Einsteigen, losfahren. Und wie der losfährt, es ist wie Licht einschalten: Der rechte Fuss dosiert das Drehmoment. Wünscht man viel, kommt viel. Er hängt am „Gas“ wie es ein Verbrennungsmotor niemals kann. Die 170 PS fühlen sich nach massiv mehr an, 250 Nm wirken unmittelbar und schieben den Neuling von null auf hundert in 7,9 Sekunden. Turboloch, Gangwechsel, optimaler Drehzahlbereich – kann man alles vergessen, die volle Kraft ist immer da. Erst ab etwa 100 km/h lässt der Schub spürbar nach. Hebt man den Gasfuss, bremst der i3 angenehm sanft ab und wandelt die Bremsenergie in Strom um. Das Bremspedal braucht man nur noch in Notfällen.

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Im Alltag bringt einen die flinke Gangart rasch an die Spitze: Bei der Einfahrt in den Kreisel zum Beispiel, um noch vor dem nächsten Wagen reinzudrücken. Nicht gerade zögerlich mogeln wir uns so durchs Verkehrsgeschehen. Die Werksangabe von 13,5 kWh/100km übertreffen wir mit 16 kWh/100km deutlich, auch weil bei den Testfahrten im Hochsommer die Klimaanlage immer an ist. Zahlt man den Preis für die Fahrfreude sonst an der Tankstelle, steckt man den i3 über Nacht ans Stromnetz. Mit der Rechnung des Stromverteilers sollte trotzdem keine böse Überraschung kommen. Selbst bei Ökostrom mit geschätzten 25 Rappen pro kWh kostet der Strom vier Franken auf 100 Kilometer. Dafür kauft man nicht mal drei Liter Benzin. 20‘000 Kilometer Jahresleistung kostet somit 800 Franken; weniger als 300 Franken bei sparsamer Fahrweise und Industriestrom. An vielen öffentlichen Ladestationen ist der Strom sogar gratis.

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Mit der von uns gewählten Gangart reicht der Stromvorrat für etwa 130 Kilometer. Sinkt die Reichweite unter sechs Kilometer, springt beim Testwagen der optionale REX (Range Extender) an, und wandelt neun Liter Benzin in Strom um. Den Zweizylinder aus einem BMW-Roller hört man innen kaum. Er erweitert die Reichweite um etwa 130 Kilometer. Insgesamt bis zu 300 Kilometer sind laut BMW möglich. Das ist noch nicht auf dem Niveau eines Handelsreisenden, deckt aber den Tagesradius der meisten Schweizer Autofahrer ab. An einer 230 Volt Haushaltssteckdose dauert die Ladung bis zu zehn Stunden. Schneller geht es mit der fest installierten Wallbox (bis zu sechs Stunden). Wer in Eile ist, muss an eine Gleichstrom Schnellladestation zum Beispiel bei einer BMW Garage, sie lädt in weniger als einer Stunde.

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Ist der Akku geladen, glänzt der i3 mit BMW-Tugenden wie dem sportlichen Hinterradantrieb und der direkten Lenkung. Auch die Verarbeitung der ungewöhnlichen Materialien ist gewohnt vorbildlich. Auf dem Fahrgestell aus Aluminium, das die Akkus trägt, ist die Fahrgastzelle aus kohlefaserverstärktem Kunststoff (CFK) aufgeschraubt. Leergewicht: 1390kg. Leergewicht des aus Stahl gefertigten Konkurrenten Renault Zoe: 1503kg. Türen und Verkleidungselemente sind aus thermoplastischen Elastomeren. Innen gibt es Wolle, Eukalyptusholz oder Türverkleidungen aus Fasern der Malvenpflanze. Man fühlt sich wohl, auch weil das Raumgefühl für einen Kleinwagen eher grosszügig wirkt. Die Rundumsicht ist praktisch und liegt auch an der etwas erhöhten Sitzposition. Nachteil der hohen Carrosserie: Auf Autobahnen kämpft man oft gegen den Seitenwind an. Die direkte, etwas nervöse Lenkung schmälert dabei den Komfort der Mitreisenden. Sie ist elektrisch unterstützt und arbeitet etwas verzögert.

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Dem i3 seine Heimat ist das Verkehrsgeschehen in Ballungsräumen. Ein Wendekreis von 9,86m heisst, quasi an Ort wenden zu können. Möglich ist das dank der schmalen Reifen. Es ist ein sehr praktisches Auto: Knapp 4 Meter lang, schön schmal, vier Personen können normal drin sitzen. Nicht jeden Geschmack treffen die Portaltüren. Schliesst der hinten mitfahrende Passagier die Türe unmittelbar vor der vorderen, kann er seine Finger massiv einklemmen. Zündung.ch hat das ausprobiert. Das Publikum innen und aussen reagiert oft begeistert vom aussergewöhnlichen Wagen. Besonders in urbanen Gegenden wird man wohlwollend aufgenommen. Ausser man schiesst lustvoll durch ein Parkhaus und erschreckt Passanten mit der rasant – und lautlos – nahenden Fuhre. In ländlicheren Orten sind viele erstaunt, dass der BMW elektrisch unterwegs ist. Einige können mit der modernen Gestaltung des Wagens nicht viel anfangen. Erst wenn sie sich hinters Steuer gehockt und den Wagen erlebt haben, lachen auch sie. A propos gewagtes Erscheinungsbild: Unser i3 ist capparisweiss lackiert. Weiter liefert BMW vier verschiedene Grau- und Silbertöne sowie ein Solarorange. Wetten was am meisten bestellt wird?

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Um die bisherige Käuferschaft vom neuen Mobilitätsverständnis zu überzeugen, muss BMW wohl noch einige Probefahrten anbieten. Ein Liebestöter könnte der Preis sein. Bei 36‘800 Franken geht es los. Unseren Testwagen gibt es für 60‘500 Franken, dabei ist die Batterie mit acht Jahren oder 100‘000 Kilometer Garantie inbegriffen. Eine Menge Geld für einen Kleinwagen. Ein gut ausgestatteter Benziner gleicher Grösse liesse sich für dieses Geld während etwa 20 Jahren betanken. Ein Renault Zoe beginnt bei 18‘900 Franken und kostet monatliche 60 bis 175 Franken Batteriemiete (rechnen hilft). Wir denken trotzdem, dass BMW auf dem richtigen Weg ist. Die Technologie ist ausgereift und alltagstauglich. Wenn sie nur günstiger wäre. Und das mit der Reichweite: Leuchtet bei einem Benzin- oder Dieselfahrzeug die Reservewarnung auf, kommt es immer noch gleich weit wie ein Elektrofahrzeug mit vollem Akku. Die elektrische Fortbewegung eröffnet aber nicht nur für BMW neue Sichtweisen: Den i3 kann man zum Beispiel per App vorkühlen oder vorheizen. Und beim Umstieg in ein bisheriges Automobil mit Verbrennungsmotor und Handschaltgetriebe fällt einem auf, wie aufwändig es ist, ein Automobil zu bedienen – und wie leicht einen ein i3 von A nach B bringt. Das ist die Zukunft; ein Lenkrad und ein „Gaspedal“ genügen. Ungeahnte Möglichkeiten eröffnet ein i3 übrigens beim Beobachten von Wildtieren. Lautlos kann man sich den schönen Tieren nähern, ohne sie zu erschrecken.

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