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marcwegmueller

10. Juni 2024
Oft hört man, ein vierblättriges Kleeblatt bringe Glück. Alfa bestückt die schnelle Giulia gleich mit zwei davon. Auf beiden vorderen Alu-Kotflügeln. Hübsch sieht das aus. Und es nützt. Doch dazu später. Das grüne Glücksgewächs sagt auch an, was unter der Haube steckt. Anstatt des üblichen Stellantis-Vierzylinders hämmert hier ein sechsblättriges Kraftwerk. Hab ich sechsblättrig geschrieben? […]

Oft hört man, ein vierblättriges Kleeblatt bringe Glück. Alfa bestückt die schnelle Giulia gleich mit zwei davon. Auf beiden vorderen Alu-Kotflügeln. Hübsch sieht das aus. Und es nützt. Doch dazu später. Das grüne Glücksgewächs sagt auch an, was unter der Haube steckt. Anstatt des üblichen Stellantis-Vierzylinders hämmert hier ein sechsblättriges Kraftwerk. Hab ich sechsblättrig geschrieben? Sechszylindrig natürlich. Aus Ferrari-Perspektive an sich zwei Zylinder zu wenig, denn der F154 V8-Motor aus dem California liefert den Stoff, aus dem die Alfa-Träume gebacken sind.

Schon schnell beim blossen Ansehen: 305km/h sind wirklich schnell (und natürlich völlig irrelevant).

Wie lebt es sich mit 510 PS? Vor sieben Jahren leistete ich mir – als «al dente Heckantriebs-Alfista» – den ersten «echten» Alfa der jüngeren Menschheitsgeschichte. Mein damaliger 159er fiel bald auseinander. Und ein unanständig hoher Preisnachlass für Lagerfahrzeuge half natürlich auch. Über 500 Pferde! Damals sagte diese Zahl noch ganz schön etwas an. Doch heute, im Ohm- und Ampère-Zeitalter bewegt sich diese Leistung nur noch im Mittelfeld. Aber es kommt ja nicht auf die Leistung an – obwohl Rallye-Walti nie genug davon kriegt. Das «Päckli» ist nach wie vor knackig: Viertürige Limousine, Heckantrieb und Handschaltung. Letzteres ist diese Gangschaltung mit den drei Fusspedalen und dem knackigen Schalthebel auf der Mittelkonsole. Ja, während den ersten zwei Produktionsjahren gab es sowas. Heute schaltet in allen schnellen Giulias eine ZF Achtgangautomatik. Schade eigentlich.

Winterbetrieb mag er nicht so, auch wenn die Traktion erstaunlich gut ist für einen Hecktriebler. Lieber feine Sommerfinken und etwas Auslauf.

Wer einen munteren linken Fuss mitführt, vermisst die Automatik nicht. Über die rechte Hand fliessen Glückgefühle in Richtung Gehirn: Schalten durch die sechs Gänge ist knackig und angenehm mechanisch. Mitfahrende schätzen erfahrene Kupplungsfüsse sehr, gefühlsarme Füsse machen das Fahren ruppig. Viel schalten müsste man nicht, der Motor ist sehr elastisch ausgelegt. Aber man will natürlich viel schalten, die Unterhaltung ist grossartig. Das wiederum wäre eine grossartige Überleitung zum Unterhaltungssystem. Nur ist dieses nicht eben grossartig. Die aktuelle Giulia macht das besser. Aber wer will schon Musik oder Anrufende hören, solange Benzin über die Kolben plätschert.

Für Fahrspass braucht es etwas Geschwindigkeit und einen Horizont, zum Beispiel einen Roadtrip nach England. Hier auf dem Heimweg im Eurotunnel.

Der Sound: An die Violine aus Arese – so nennen Alfisti den Sechszylinder von Motorenmeister Giuseppe Busso aus dem GTV6 – kommt der «Neue» nicht heran. Statt feinem Röhren, das den Geneigten die Haut «böppelt», knallt der 2,9-Liter laut und deutlich durch die Gassen. Das nicht eben zu Nachbars Freude, denn so richtig freundlich lässt sich die Auspuffanlage nicht einstellen. Dafür noch weiter öffnen. Zum Beispiel in längeren Tunnels. Rennt der Doppelturbo in den Begrenzer, donnert es heftig von den Wänden zurück. Besonders der Modus «Race» entfernt alle akustischen Hindernisse. Ebenfalls entfernt er die elektronischen Helferchen, wie zum Beispiel die Anfahrtshilfe oder das ESP.

So sieht die Quittung aus: Wer guten alten Fahrspass mag, ist auch bereit, in 11 Liter 98 Oktan auf 100 Kilometer zu investieren.

Hier kommen wir auf das Kleeblattglück zurück. Vollgas macht Hände am Lenkrad schnell schwitzig. Und man munkelt, dutzende Quadrifoglios hätten bereits auf der ersten Probefahrt ihr Leben gelassen. Übersteuern will gelernt sein, dann stimmt der Unterhaltungswert. Sonst besser zurückschalten in einen der abgesicherten Modi. Vom Glück zehrte auch «jemand», der – mit breitem Grinsen – die Kehren am Simplonpass mit schwarzen Strichen verzierte. Plötzlich stieg Rauch aus dem hinteren rechten Rad auf und bewegte den Fahrer, auf 30 km/h zu reduzieren. Und das just hinter der nächsten Tanne versteckte offizielle Fotogerät ging leer aus. Der Alfa scheint mitzudenken.

So mögen wir Autos. Auch wenn – oder gerade weil die schnelle Giulia neben einem (selbst noch älteren) Model S wie von vorgestern erscheint. Übrigens hat mich die Giulia nur im ersten Jahr täglich rumgeführt. Jetzt rolle ich werktags vor allem elektrisch. Das ist niederschwellig. Aber wenn es auf längere Strecken mit etwas Auslauf geht, ist sie die erste Wahl. Dann nimmt sie zehn bis elf Liter auf 100. Das ist hervorragend investiert in unterhaltsame, beeindruckende Mobilität. Zum Beispiel, wenn man in den fünften Gang schaltet (bei 250). Sie ist eben ein frisch aufgesetztes Fahr-Werk mit bewährten Zutaten aus der alten Welt. Dazu gehört auch, dass das Getriebe auf den ersten 15 Kilometern schwergängig läuft und wie ein unzufriedener Wolf heult. Oder dass der V6 m sechsten Gang bei 120 km/h unangenehm dröhnt wie eine Baumaschine in der Wohnstube. Offizielle Antwort aus Mailand: «Fahren Sie doch im fünften Gang!»