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zuendung

12. Mai 2009

Auffällig unauffällig

VW | 0 Kommentare

Da steht er nun vor mir, auffällig wie ein Baum im Wald. Damit er etwas mehr aus der Menge heraussticht, wurde er in knalligem Silber lackiert. Er ist "der Neue", wobei auch Kenner ziemlich genau hinschauen müssen. Aber so ist das eben mit dem VW Golf. Vorne trägt er einen schmalen Grill, angeschnittene Scheinwerfer und […]

Da steht er nun vor mir, auffällig wie ein Baum im Wald. Damit er etwas mehr aus der Menge heraussticht, wurde er in knalligem Silber lackiert. Er ist "der Neue", wobei auch Kenner ziemlich genau hinschauen müssen. Aber so ist das eben mit dem VW Golf. Vorne trägt er einen schmalen Grill, angeschnittene Scheinwerfer und ein grosses VW-Emblem. Am Heck ebenfalls nichts Neues, abgesehen von den Touareg-Rückleuchten.

Ganz neu ist die inzwischen sechste Generation übrigens nicht. Vielmehr handelt es sich hier um eine sehr aufwändiges Facelift von Nummer 5. Augenfällig wird das vor allem mit Blick auf die Innenverkleidung der B-Säule. Diese stammt, samt nun zweckloser Einbuchtung, unverändert vom Vorgänger. Kosteneinsparungen à la Volkswagen sozusagen. Das verhindert aber nicht, dass im Interieur das sogenannte "Premium-Feeling" aufkommen kann. Die Kunststoffe und die Verarbeitung passen, was aber auch an der gewählten Highline-Ausstattung mit Leder, Navigation und Park-Assist liegt.


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Park Assist? Das kingt nach einem kleinen Assistenten, der ungeübten Fahrer beim Parken assistierend zur Seite steh. Doch es ist weit mehr als die hier ebenfalls verbaute piepende Parkdistanzkontrolle. Dieses System analysiert seitliche Parklücken und erkennt ob die Länge für den Golf reicht. Ich fahre also an einer solche Lücke vorbei und prompt weist mich der Assistent an, an welcher Stelle ich den Rückwärtsgang einzulegen habe. Von nun an übernimmt das System das Steuer. Während ich auf der Bremse rückwärts gleite wirbelt vor mir das Lenkrad mit unglaublicher Geschwindigkeit. Das Heck ist drin, nun muss ich nur noch leicht nach vorne Fahren, nachdem mir der Park Assist die Lenkung dafür vorbereitet hat. Wie das System in der Praxis funktioniert sieht man auch in diesem eigens dafür aufgenommenen Video.


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Doch der Golf kann natürlich mehr denn nur selbsttätig parken. Muss, er ja auch, sonst wäre er bestimmt nicht so beliebt. Der 1.4 TSI ist ein Wunderwerk der Technik, kombiniert die Downsizing-Maschine doch Kompressor und Turbo. Noch vor zehn Jahren hatte ein Golf GTI 10 PS weniger. Doch trotz allem fühlt sich er Motor für 160 PS etwas schwach auf der Brust an. Das liegt wahrscheinlich am DSG-Doppelkupplungsgetriebe, das seine sieben (7!) Gänge stets zum Zweck der Sparsamkeit auswählt. Bei 70 km/h ist meist schon die siebte Stufe eingelegt. Dazu kommt, dass der Motor mit 240 Newtonmeter ein nicht eben bäriges Drehmoment stemmt. Und doch ist das wohl ein eher subjektiver Eindruck meinerseits: Der silberne Golf soll laut Werk in knackigen 8,1 Sekunden auf 100 km/h beschleunigen. Die Sparbemühungen des Getriebes bleiben derweil nicht ohne Lohn: Auf meinen Testfahrten verbrauchte der Golf 6,6 Liter und lag damit sogar noch 0,1 Liter unter dem Focus TDCi (Diesel) von letzter Woche. Die beiden Fahrzeuge weisen auch sonst erstaunlich viele Gemeinsamkeiten auf, obwohl sie mit unterschiedlichen Treibstoffen betankt werden müssen.


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Nur im Vergleich mit dem Fahrwerksprimus Focus treten die Schwächen des Golf in den Vordergrund. Das prinzipiell gute Fahrwerk ist eher auf Komfort ausgelegt, leitet aber besonders die kurzen Wellen und Stösse an die Insassen weiter. Ein ähnliches Bild bei der Lenkung: Der Golf lenkt sauber ein, lässt sich aber nicht so gefühlvoll beherrschen. Zudem ist die Übersetzung für meinen Geschmack zu indirekt. Die Sitze der Lederausstattung (Vienna) sind bequem, bieten aber nur mässigen Seitenhalt. Doch das ist natürlich Nörgelei auf sehr hohem Niveau. Dass diese nicht selten eine gewisse Wirkung erzielen kann, merkt man in diesem Golf am Lichtschalter. Den kann man jetzt endlich auf "An" belassen und das Licht erlischt mit dem Abziehen des Zündschlüssels. Ebenfalls sehr praktisch: Das Touchscreen-Navigationssystem (RNS 510) funktioniert schlicht brilliant. Es ist auf jeden Fall das beste Gerät dieser Art, dass ich bis jetzt bedient habe. Im Bildschirm werden zudem die Veränderungen an den Einstellungen der Zweizonen-Klimaanlage grafisch angezeigt. Und den Flaschenöffner in der kleinen Ablage der Mittelkonsole gibt's wohl nur bei VW. Dann hat es sich aber schon wieder mit Extravaganzen: Insgesamt fällt das Interieur allerhöchstens durch seine Unauffälligkeit auf. Das führt aber auch dazu, dass sich Nicht-Golf-Fahrer sofort zurechtfinden.


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Einfach reinsitzen und losfahren heisst also die Devise. Ein beherzt zugreifendes ESP sorgt dafür, dass man auch in Extremsituationen nicht von der Strasse fliegt. Die Bremsen machen zwar ihren Job, das Pedalgefühl könnte aber besser sein. Doch der Golf will gar kein Sportler sein. Vielmehr ist er ja der Inbegriff des automobilen Normalos. Normal zu sein kostet in der VW-Welt aber schon eine anständige Stange Geld: 37'200 CHF kostet das Auto. Allerdings kommen dann noch die hinteren Türen, das Technikpaket (Navi, CD-Wechsler), die Lederausstattung und der Park-Assist (900 CHF) dazu. Mit einigen weiteren kleinen Nettigkeiten ausgestattet kommt der Wolfsburger auf die 46'000 Franken, welche man für unseren Testwagen berappen müsste.


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So sehr sich Designer Walter de Silva auch Mühe gegeben hat: Der neue Golf erregt kein Aufsehen. Das ist jedoch genau das, was sich die Kunden wünschen. Ein Auto, das sie unauffällig von A nach B bringt. Den Umweg über C und D nehmen sie nur, wenn das Navigationssystem sie wegen Staumeldungen zu diesem zwingt. Da verwundert es auch nicht, dass 6 von 11 möglichen Lackierungen Schattierungen von Schwarz, Weiss und Grau sind. Das was ich als eher langweilig und emotionslos empfinde, begreifen Fans als zurückhaltend und zeitlos. Top ist auf jeden Fall das Spritsparpotential, dass die 160-PS-Version des 1.4 TSI Aggregates bietet. Während das DSG seinen Job gut macht, leidet das Fahrwerk unter Komfortschwächen, die nicht mit einer sportlichen Abstimmung erklärt werden können. Der Preis ist wohl angemessen, wenn auch ziemlich hoch. Immerhin kostet der Testwagen mehr als doppelt so viel wie ein Basis-Golf mit 80 PS. Das Tolle daran: Man sieht den Unterschied nicht.