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zuendung

17. April 2009

Aus denselben Träumen

Alfa Romeo und Lancia: | 0 Kommentare

Es gibt nur wenige Autos, die den automobilen Morgen verkünden: Zukunftsdesign mit Technik von gestern. Nicht gerade viele mehr gibt es solche, die etwas veraltet aussehen, aber den Strassenbelag mit der Technik von morgen geradezu verzehren. Ausgerüstet mit je einem Vertreter der raren Spezies rücken die zündung.ch Testfahrer aus, um diese auf ihre Volljährigkeit zu […]

Es gibt nur wenige Autos, die den automobilen Morgen verkünden: Zukunftsdesign mit Technik von gestern. Nicht gerade viele mehr gibt es solche, die etwas veraltet aussehen, aber den Strassenbelag mit der Technik von morgen geradezu verzehren.
Ausgerüstet mit je einem Vertreter der raren Spezies rücken die zündung.ch Testfahrer aus, um diese auf ihre Volljährigkeit zu testen. Seit zwei Jahrzehnten schmücken SZ und Integrale Poster über Bubenbetten, haben Technikern und Gestaltern den Weg gewiesen – und werden heute zu kräftigen Preisen von Sammlerhand zu Sammlerhand gereicht. Doch trotz aller Verwandtschaft könnten sie unterschiedlicher kaum sein.

Wir fahren: Alfa Romeo Sprint Zagato (SZ), Jahrgang 1989, und Lancia Delta HF Integrale 8V, ebenfalls Jahrgang 1989.

„Natürlich ist der Lancia fahrbereit“ gibt uns Urs Stalder vom Spezialisten für klassische Alfa Romeo Stalder & Moser auf unsere Ausfahranfrage hin zu verstehen. Ob der berüchtigten Anfälligkeit des italienischen Rallyeablegers erstaunt uns das sehr – bis Stalder anfügt: „Nur die Reifen sind platt und das Bremspedal fiel kürzlich durch. Und manchmal stellt der Motor einfach ab. Ach ja, und manchmal läuft der Motor heiss, einfach so.“ Nun, das ist ehrlich und passt irgendwie zu dem, was man über dieses Auto bereits gehört und gelesen hat. Alles im Butter also.

Der Alfa SZ steht vorübergehend im Showroom der Schlossgarage in Winterthur. Auch er gehört ins Stalder & Mosersche Angebot. Zum Hinausfahren übers Absätzchen lässt sich der Plastikrenner hydraulisch um 40mm anheben, damit der „Groundeffekt“-Unterboden nicht aufsetzt. Erstaunlich, das gab es schon damals. Genauso wie den Heckspoiler aus Karbon, vor 20 Jahren schon.

Endlich, wir starten: Während der Integrale im Stand das typische, einem Elektromotor ähnliche Wimmern von sich gibt, grollt der Alfa bereits in sportlicher V6-Manier. Stalder schärft uns ein, beide Zwanziger behutsam warm zu fahren. Eine leichte Aufgabe, gibt es doch in beiden Cockpits Abendfüllendes. Der Lancia baut zwar nahe an der Delta-Normalausgabe, fasziniert aber mit Drehzahlmesser im Gegenuhrzeigersinn, einigen fantasievollen Kontrolllämpchen und Fensterheberschaltern, die zwischen Handbremse und Seitenführung der Sitze versenkt sind. Deutsche Kollegen bemängelten sicherlich einst diese Schalteranordnung als unlogisch – im Zagato Alfa dann wären sie schlicht überfordert: Hinter dem Lenkrad wecken je ein grosser Drezahlmesser und ein grosser Tachograph sportliche Ambitionen. Dazwischen eine kleine Analoguhr, mittig drei Ührchen für Öldruck, Wassertemperatur und Treibstoffvorrat. Der Rest der Armaturen setzt sich aus Alfa 75 und anderen Spendern aus dem damaligen Fiat-Fahrzeugpark zusammen.

Eine Wohltat fürs Auge und den Seitenhalt sind die Sitze in beiden Wagen, im Alfa mit Leder überspannt, im Lancia mit zeitgenössischem Stoffbezug. Aber weg nun mit den Details, hin zu entsprechenden Fahrmanövern: Im Stadtverkehr sind beide Italiener nicht gross gewöhnungsbedürftig, die Rundumsicht ist besser als bei den meisten Neuwagen. Der Blick in den Alfa-Rückspiegel erinnert an einen defekten Bildschirm: Das Spoilerbrett an der Heckscheibe teilt die Rücksicht in eine obere und eine untere Hälfte. So blendet der Hintermann nachts nicht in den Rückspiegel. Praktisch, finden wir.
A propos praktisch: Den Lancia könnte der Geneigte durchaus mit allerhand Material be- und entladen, der Fünftürer entspricht weitgehend der funktionellen Delta-Limousine mit Heckklappe. Echte Unpraktik beim Alfa: Hinten zu sitzen traut der Verantwortungsvolle höchstens dem Gepäckset zu. Das steile Heck lässt sich zwar öffnen, Platz ist aber nur fürs Reserverad da.

Für die Fahrt zum Grossverteiler also Lancia, fürs Wochenende zu zweit Alfa. Die Öltemperatur erreicht bald Vollgastauglichkeit. Unter 3000 Umdrehungen versprüht der Integrale nicht mehr Charme als seine zahmen Deltabrüder ohne Turbo und fährt sich entsprechend unaufgeregt. Oberhalb der magischen drei aber springt die zentrale Ladedruckanzeige rasch auf Maximaldruck – und reisst die Drehzahlnadel mit, bis in den roten Bereich. Schub kommt mächtig viel, die vier Winterreifen krallen sich in den Asphalt und wollen vor allem eins: Vorwärts. Herbes Erwachen dann beim Anflug auf die erste Kurve, servoverwöhnte Neuwagenlenker vertreten sich beinahe den rechten Fuss ehe sich die Bremsen zum Verzögern bequemen. Willkommen in den 1980er Jahren – im Übrigen die letzte Dekade fern von dreibuchstabigen Fahrverfälschern wie ESP und anderen Fahrvermiesern. Gierig geht die Fuhre in den Kurvenausgang. Allradantrieb sei Dank, den Delta zieht es förmlich ums Eck. Aber turbonatürlich nur, wenn der Fahrer Mut beweist, und mit Gaseinsatz bereits vor dem Scheitelpunkt auftrumpft. Der Turbo schiesst den nötigen Saft verzögert ein, so dass zwischen Vollgasstellung und spürbarem Krafteinsatz genügend Zeit verbleibt, um ruhig jemandem zuzuwinken oder die Radiosender neu einzuprogrammieren. Wer sich daran stört ist kaum ein Kind der 80er, dieses Fahrgefühl gibt es heute nicht mehr. Spätestens wenn die Turbobrise dann los bläst, vergisst der Mann am Lenkrad aber sowieso was vorher war und freut sich über den Vorwärtsdrang.

Den Lancia bringen wir bald zurück. Der Motor läuft plötzlich heiss, und etwas Dampf steigt aus dem Motorraum. Stalder bringt dies nicht aus der Ruhe und wir einigen uns gemeinsam auf das Hauptargument für den Delta HF Integrale: Er sieht unvergleichlich männlich aus. Ob er nun fährt oder nicht, es gibt kein zweites Auto, das so gradlinig entworfen wurde und unmissverständlich die Potenzfrage klärt. Seine Artverwandten wie Evo oder Impreza schlagen den Urahn technisch gesehen zwar längst um Längen. Fürs Auge sind sie neben dem Integrale jedoch einfach peinlich.

Passanten, unsere liebsten Eichinstrumente, nehmen den Delta kaum wahr. Ausser unter Volllast. Die Passantenblicke sprechen so etwas aus wie „Du gehörst hinter Gitter“. Ganz anders beim Alfa: Viele können den mutig gestalteten bald-Veteranen nicht einordnen. „Ist das der neue Alfa?“ fragt uns jemand. „Hässlich“ finden andere oder „wie von einem anderen Planeten“. Den Fahrer freut die Verwirrung und fühlt sich selbst wie nicht von dieser Welt, denn innen ist der Zagato Alfa genauso mutig gestaltet wie aussen. Der SZ ist aus jedem Betrachtungswinkel einzigartig. Mit vernünftigem Ziel übrigens: Der SZ ist äusserst unterhaltsam. Das Lenkrad liegt gut in den Händen. Und spätestens in der ersten Kurve wird klar, dieses Auto ist so eines, das die Mundwinkel in die Höhe treibt. Das gibt es selten im Testalltag. Um ehrlich zu sein, ich mag mich nicht ans letztgefahrene, genauso aufs Fahrerlebnis zugeschnittene Gefährt erinnern.
Ein bisschen Gaseinsatz schiebt die Hinterachse gefühlvoll an den Kurvenrand. Ohne Poltern, ohne Quietschen, einfach nur präzise. Kraft ist jederzeit da, der leistungsoptimierte V6 aus dem Alfa 75 packt lustvoll zu und dreht höher und höher und legt an Leistung zu – ein Fest auch für die Ohren. Die 210 PS harmonieren mit dem Fahrwerk, das auf die ursprüngliche Alfetta aus den 1970er Jahren zurückgeht. Hinten DeDion Achse und Transaxle Getriebe (analog Alfa 75) sichern die gleichmässige Gewichtsverteilung, so dass der Alfa lange neutral bleibt. Vorne arbeiten anstatt Drehstabfedern (wie beim Spenderauto Alfa 75) rennerprobte Federbeine. Die Lagerbüchsen sind aus Polyäthylen. Insgesamt ein aufwändiges, aber gutes Rezept für ein Fahrwerk, das den Fahrer die Strasse spüren lässt und trotzdem mit Komfort verwöhnt. Der kurze Radstand verleitet öfter dazu, die eine oder andere Biegung zu umdriften. So macht man Glücksgefühle.

Sportlich unterwegs zu sein war das Entwicklungsziel sowohl des Alfas als auch des Lancias. Unterschiedlicher könnten die beiden trotz gleichem Baujahr, gleichem Mutterkonzern und gleichem Herkunftsland aber nicht sein. Der Lancia basiert auf einem Massenauto mit Quermotor, baut fragil auf Turbokraft und Allradantrieb und vertraut aufs damals bereits veraltete Kantendesign. Der Alfa basiert auf dem schon damals antiquierten Alfetta-Fahrwerk, baut auf Kraft aus einem hubraumstarken V6-Motor, kombiniert mit hinten liegendem Getriebe und Heckantrieb und trägt eine eigenwillige Kunststoffcarrosserie.
Fazit: Beide Wagen sind Wegbereiter. Der Lancia technisch, der Alfa optisch. Fahrdynamisch überzeugt uns die über 30-jährige Fahrwerkskonstruktion des Alfas. Optisch aber punktet der Lancia. Verkehrte Welt? Nun, italienisch eben.

PS: Beide Wagen stehen bei Stalder & Moser zum Verkauf bereit.