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zuendung

29. Juni 2008

Außendienstler auf Anabolika

Audi | 0 Kommentare

Die Nörgler haben Recht. Der Audi RS6 ist zu schwer, um schwungvoll durch Pylonen zu wedeln. Außerdem begünstigt die Einbaulage des V10 Biturbo vor der Vorderachse nicht unbedingt die Querdynamik. Und eine Wandlerautomatik in einem Sportwagen – ein Sakrileg. Ach, und Nörgler sind doof. Wer sich einen Sport-Kombi mit einem Leergewicht von über zwei Tonnen […]

Die Nörgler haben Recht. Der Audi RS6 ist zu schwer, um schwungvoll durch Pylonen zu wedeln. Außerdem begünstigt die Einbaulage des V10 Biturbo vor der Vorderachse nicht unbedingt die Querdynamik. Und eine Wandlerautomatik in einem Sportwagen – ein Sakrileg. Ach, und Nörgler sind doof. Wer sich einen Sport-Kombi mit einem Leergewicht von über zwei Tonnen für über 100.000 Euro in die Garage stellt, will damit sicher nicht den Slalom des örtlichen Motorsport-Clubs am Samstag auf dem Flugplatz gewinnen oder in der WRC gegen Loeb und Co. Antreten.


Käpt'n Blaubär: Der Testwagen ist mit optionalen 20-Zöllern ausgerüstet.

Der RS6 hat andere Stärken. Pferdestärken. Genau genommen 580 davon. Damit pulverisiert der RS6 so ziemlich alles, was sich Fahrer von Serienautos unter Beschleunigung bislang vorgestellt haben. Das Werk verspricht 4,6 Sekunden für den Stammtisch-Sprint von Null auf 100 Km/h. Gemessen haben wir es nicht, auch wenn es im Cockpit einen eingebauten Laptimer gibt. Doch wenn der rechte Fuß fällt, brauchst Du beide Hände um dieses Riesenprojektil auch wirklich dorthin zu steuern, wo Du es hin haben willst. Nicht, dass der Audi schwer zu kontrollieren wären. Vielmehr geht alles so irrsinnig schnell, Du bist so verflucht fix in absurden Geschwindigkeitsregionen, dass Du alle deine Sinne und Extremitäten brauchst, um Herr über dieses Geschoss zu bleiben.


Des Teufels Steuerknüppel: Von hier aus werden 580 PS kontrolliert.

„Du musst unbedingt schreiben, dass sich die Beschleunigung anfühlt, als ob man eine Abrissbirne ins Kreuz bekommt“, sagt einer der Mitfahrer japsend nach einem Probegalopp. Das ist wohl was dran, doch wie sich eine Abrissbirne im Kreuz anfühlt, kann vermutlich nur Homer Simpson treffend beschreiben. Tatsächlich gibt es nur ganz wenige Autos, bei denen sich während des Beschleunigens ein Druckgefühl in der Magengegend bemerkbar macht, fast so, als würde der RS6 mit einem dieser Raketenkatapulte von Flugzeugträgern gen Horizont geschossen.
In diesem Falle hat das Katapult zehn in V-Form mit einem Winkel von 90 Grad angeordnete Zylinder. Jede Zylinderbank verfügt über einen Turbolader, der bis zu 0,7 bar Druck aufbaut. Das Ergebnis sind eben jene 580 PS, die der direkt einspritzende Fünfliter-Motor bei 6250 Umdrehungen abgibt. Das maximale Drehmoment liegt bei 650 Newtonmeter und traktiert bereits bei 1500 Umdrehungen die Kurbelwelle. Und die Magengrube der Passagiere.


Zehn und zwei: Der V10 bekommt von zwei Turbos Unterstützung.

Zumindest die beiden Vorderen dürfen die Beschleunigungsorgie aus perfekt geschnittenen RS-Schalensitzen erleben. Leider kosten die Sportsitze Aufpreis und nerven bei häufigem Ein- und Aussteigen. Natürlich ist der RS6 kein Auto für den Kurzstreckenverkehr. Nicht weil er dann rumzicken würde, sondern weil viel Fahren viel Spaß macht. Und viel Treibstoff benötigt. Daher musst Du dich eben doch öfter aus den Sitzen pellen, als es bei einem der Diesel-befeuerten Außendienst-Brüder des RS6 der Fall wäre. Zuendung.ch findet, dass es sich bei Autos wie dem RS6 verbietet, über den Verbrauch zu reden. Spaß gibt es nicht für lau, zumindest nicht bei Autos. Daher zurück in den Schalensitz, das unten abgeflachte Sportlederlenkrad umfasst und die Finger an die metallenen Ohrwascheln zur Bedienung der Automatik gelegt.
Der rechte Fuß fungiert als Dirigent des tieffrequenten Alphorn-Chors, dessen donnernder Klang den beiden ovalen Endrohren der Auspuffanlage entweicht. Wenn Du bei 6500 Umdrehungen jeweils die nächste der sechs Fahrstufen einspannst, schnaubt kurz der RS6 wie ein beleidigter Braunbär. Wenn Du willst, kannst Du das Spiel bis Tacho 280 weitertreiben – oder doch mal einen Seitensprung auf eine etwas engere Landstraße wagen. Dabei zeigt sich, dass der RS6 nicht gar so ungelenk ist, wie die Nörgler behaupten. Der gewichtige Kombi bügelt das meiste Gemecker mit seiner aberwitzigen Motorleistung weg. Den Rest versuchen die auf dem Testwagen montierten Pirelli P Zero Rosso im Format 275/35 R20 in Haftung umzuwandeln, was ihnen in den meisten, auf öffentlichen Straßen möglichen Fahrmanövern, auch sehr gut gelingt.


Opulentes Ende: Dicke Backen und dicke Endrohren, davon aber netterweise nur zwei.

Falls nun angesichts des geplanten Familienausflugs am Wochenende oder einer längeren Dienstreise die Frage nach dem Komfort aufkommen sollte: Den gibt es auch. Ein bisschen zumindest. Das in drei Stufen einstellbare Fahrwerk kann aber auch zu diesem Einsatzzweck auf „Sport“ programmiert bleiben. Damit funktioniert der RS6 sehr harmonisch. Harmonisch schnell und vergleichsweise harmonisch komfortabel. Plomben und Dritte bleiben da, wo sie hin sollen und auch Kleinkinder hüpfen nicht unkontrolliert in ihren Sitzen in Richtung des schwarzen Alcantara-Himmels. Doch der RS6 kann nicht nur atemberaubend beschleunigen, flott über Landstraßen dribbeln und dabei besser klingen als Lemmy und Angus zusammen.
Ebenso irrwitzig ist die Verzögerung des quietschblauen Testwagens, der die 8200 Euro teure Keramik-Bremse hinter seinen schicken Felgen spazieren fährt. Schon der Anblick der 42 Zentimeter Durchmesser messenden Scheiben an der Vorderachse lässt kaum Zweifel an dem Verzögerungswillen des bei der quattro GmbH gefertigten Über-Kombis. Wenn Du das Bremspedal ebenso beherzt in die Fußmatte drückst wie zuvor das Gas, stellt sich nahezu das gleiche Gefühl in der Magengegend ein wie beim Beschleunigen. Nur das jetzt der Magen nicht mehr an die Wirbelsäule klopft, sondern zum Bauchnabel herausschauen möchte. Schneller können derzeit kaum zwei Tonnen Automobil auf 280 Km/h beschleunigt und wieder niedergebremst werden. Zumindest nicht, wenn Du einen Fünfsitzer mit Platz fürs Gepäck beim Vertragshändler um die Ecke suchst.


Aus dem Töpferkurs: Die Keramikbremse beißt brutal zu.

Doch obwohl der RS6 den Spagat zwischen Sport und Komfort, zwischen schnell und sicher, zwischen feist und familientauglich sucht, er wird erkannt. Immer und überall. Die dicken Backen, die dicken Räder, die dicken Endrohre – jeder, für den beim Autokauf die Emotion auch nur die kleinste Rolle spielt, schaut dem RS6 ungeniert aufs Blechkleid wie einer schönen Frau in den Ausschnitt. Da beschweren sich auch schon wieder die Nörgler über die im Ansatz etwas zu opulente Optik des RS6, als sei er die automobile Pamela Anderson. Dabei hätten die Nörgler so gerne Pamela im Bett – und den RS6 in der Garage.