Seite wählen

zuendung

18. Juni 2014

Das Delta ist zur gross

Lancia | 0 Kommentare

Das Delta? Aber es heisst doch "der Delta"? Schliesslich ist der Lancia kein Fluss, und Autos sind im deutschen Sprachgebrauch im Gegensatz zum italienischen männlich. Richtig. Weshalb "das Delta" eben doch richtig ist, wird später geklärt. Zum Test bereit ist der Lancia Delta S Momo Design 1.9 Multijet 16V. Bereits vor genau 5 Jahren durften […]

Das Delta? Aber es heisst doch "der Delta"? Schliesslich ist der Lancia kein Fluss, und Autos sind im deutschen Sprachgebrauch im Gegensatz zum italienischen männlich. Richtig. Weshalb "das Delta" eben doch richtig ist, wird später geklärt. Zum Test bereit ist der Lancia Delta S Momo Design 1.9 Multijet 16V. Bereits vor genau 5 Jahren durften wir den 190 PS starken Diesel testen. Inzwischen gibt es ihn im aufgehübschten Look von Momo, was am einfachsten am Schriftzug im Bereich der B-Säule zu erkennen ist.

Ebenfalls neu ist der Buchstabe S in der Modellbezeichnung. Fiel der Delta beim letzten Test noch durch seine herrlich unsportliche Fahrweise auf, will Lancia nun offenbar doch beim Sportwahn mitmachen. Genau, das S steht für Sport. Darum gibt es jetzt einen Knopf mit der Aufschrift "Sport" in der Mittelkonsole. Neben Gasannahme und Lenkunterstützung werden auch die Dämpfer auf sportliche Härte gebürstet. Gerade als ich mir zu überlegen beginne, ob das die Delta-Eigner denn überhaupt gewünscht hatten, fällt mir auf, dass man ihn im Schweizer Verkehr nur sehr selten zu Gesicht kriegt. Es dürfte also schwierig werden, repräsentative Umfragen durchzuführen. Womöglich hat man sich bei Lancia einfach von dieser Welle mitreissen lassen, die der Sportlichkeit auch gerne den Praxisnutzen opfern.

Doch keine Angst: Noch immer bietet der Lancia Delta diesen überraschend grossen und komfortablen Innenraum. Die Sitze sind vorne wie hinten bequem. Die Fondpassagiere kommen in den Genuss einer Beinfreiheit, die man von derart kompakten Autos sonst nicht kennt. Und auch wer tatsächlich den Sportmodus wählt, wird nicht ungebührlich durchgeschüttelt. Tatsächlich muss man mit einem feinen Sensorium ausgestattet sein, um den Effekt der verhärteten Dämpfung überhaupt wahrnehmen zu können. Selbst als Fahrer muss ich mich konzentrieren, um den Unterschied zu spüren. Am auffälligsten ist, dass ich nun den Spurhalteassistenten nicht mehr einschalten kann. Bei Lancia geht man offenbar davon aus, dass sportlicher Fahrer die Fahrbahnmarkierungen öfters auch ohne Blinken überqueren, weil sie auf der Suche nach der Ideallinie die Kurven schneiden. Da der Unterschied zum Normalmodus wie gesagt gering ist, verlasse ich "Sport" gerne wieder zugunsten der leicht komfortableren Abstimmung.

Komfortabel sind auch die Sitze, wenn man als Fahrer mit der typisch italienischen Haltung zurecht kommt. Auch für Unterhaltung und Orientierung ist natürlich gesorgt. Wer den grossen Screen aber wie heute üblich per Fingertip bedienen will, scheitert kläglich. Denn der farbige LCD-Schirm ist kein Touchscreen. Auch die Grafik scheint nicht mehr ganz taufrisch. Anders als in neueren Fiat-Produkten wurde im Delta das Blue-and-Me-System noch nicht ersetzt. Die Anbindung eines Handys ist somit noch mit etwas Glück verbunden.

Glück hat auch, wer in Sachen Haptik keine allzu hohen Anforderungen an die Kunststoffe stellt. Während sich Sitze, Lenkrad und Schaltknauf angenehm anfassen lassen, sind insbesondere die Knöpfe der Multimedia- und Klimaeinheit qualitativ nicht mehr auf dem Stand der Dinge. Das Bedienpanel des Radios erinnert an eine dieser supergünstigen Interdiscount-Stereoanlagen. Dabei ist der Lancia gar nicht einmal so preiswert. Der Testwagen kostet 37'860 Franken, wobei Optionen für fast 7000 Franken verbaut sind. Dank eines Euro-Bonus von 4 violetten Scheinen reduzieren sich die gesalzenen Extra-Preise. Die hübsche Zweifarbenlackierung kostet 1900, das (verzichtbare) Verstellfahrwerk 990 und das Xenonlicht 1500. Das 1900 Franken teure Techno-Paket umfasst neben dem Navi auch Bose-Sound und den Park-Assistenten.

Die 190 PS sorgen jederzeit für souveräne Fortbewegung. Allerdings muss man sich zunächst daran gewöhnen, das die Gänge lang übersetzt sind. Ein Anfahren im zweiten Gang gelingt zum Beispiel fast gar nicht. Frühes Hochschalten wird generell mit einer gewissen Lustlosigkeit beantwortet. Dafür gefällt die spezielle Schale auch nach Jahren immer noch mit ihrer gewagten Linie. Der kompakte Italiener sticht aus der Masse heraus. Doch wie schon im Titel bemerkt, das Delta – der Unterschied ist zu gross. Die Konkurrenz hat Fortschritte gemacht, denen der Lancia Delta nicht folgen konnte. Materialien, Multimedia-System, Schaltung, reichen in der umkämpften Kompakt- bzw. Mittelklasse nicht mehr aus. Noch immer ok ist der Testverbrauch von 6,4 Liter Diesel. Abgesehen von ein paar Lancia-Freaks dürfte hier trotzdem kaum jemand zugreifen, wenn keine grossen Zusatzrabatte gewährt werden.

Signore Marchionne hat auch bei dieser Traditionsmarke gewaltige Hausaufgaben. Dennoch bin ich überzeugt: Ein richtig guter Delta hätte durchaus noch Marktchancen. Und auch die Hoffnung auf einen Integrale wird die Fangemeinde nicht aufgeben, solange es den klingenden Namen im Fiat-Portfolio noch gibt.