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amadefries

17. Mai 2015

Das hässliche Entlein

Jeep | 0 Kommentare

Kinder sind brutal, Teenager sowieso. Wenn man sich zurück erinnert, wird jeder von uns zugeben müssen: In jeder Klasse gab es damals eins. Ein hässliches Entlein nämlich. Aus irgendeinem Grund wurde es gehänselt. Es trug die falsch Kleider, hörte die falsche Musik oder passt einfach sonst nicht ins Bild. Schon damals hatte man sich grösste […]

Kinder sind brutal, Teenager sowieso. Wenn man sich zurück erinnert, wird jeder von uns zugeben müssen: In jeder Klasse gab es damals eins. Ein hässliches Entlein nämlich. Aus irgendeinem Grund wurde es gehänselt. Es trug die falsch Kleider, hörte die falsche Musik oder passt einfach sonst nicht ins Bild. Schon damals hatte man sich grösste Mühe geben müssen, wollte man nicht einfach mit der Masse mitgröhlen, auch wenn einem manchmal danach war. So ähnlich geht es mir heute, als ich dem Jeep Cherokee der neuesten Generation zum allerersten Mal gegenüberstehe.

Jeep Cherokee 2.0 Diesel

Als hätte er einen längeren Aufenthalt beim Kieferorthopäden nötig, streckt er die Schnauze nach vorne. Leuchten, die wir bei Autos gerne als Augen wahrnehmen, sind zu schmalen Schlitzen verkommen. Ähnlich wie damals beim Fiat Multiplà sind die Lichter auf verschiedenen Ebenen und irgendwie unkoordiniert angeordnet. Immerhin hat man darauf verzichtet, ganz oben an der Windschutzscheibe auch noch welche zu platzieren. Hinten ist der Neue noch einigermassen gefällig, auch wenn der grosse, scheinbar konturlose Blechanteil ein bisschen irritiert. Von der Seite betrachtet fallen auf den ersten Blick die ausgefallenen Proportionen auf. Design mag Geschmacksache sein, aber jemanden zu finden, der diesen Jeep schön findet, dürfte unmöglich sein.

Wahre Schönheit komme eben von innen. Sowas in der Art wurde uns zu Schulzeiten beigebracht. Schliesslich haben auch die hässlichen Entlein eine echte Chance verdient. Richtig so. Doch schon auf den ersten Metern verspielt der dunkelblaue Cherokee einiges an Sympathie. Das fängt bei den Sitzen an: Sie sehen wirklich gut aus, geben aber praktisch keinen Seitenhalt und sind zudem mit rutschigem Leder bezogen. Zudem ist auch die Sitzposition trotz elektrischer Verstellung nicht endgültig befriedigend.

Jeep Cherokee 2.0 Diesel

Als Konkurrent zum BMW X3 oder Audi Q5 zählen aber nicht nur die äussere Schale und das Interieur, vor allem muss der Neuling von Jeep auch anständig fahren. Gut also, dass man im Getriebebereich mit einer bekannten Grösse zusammenarbeitet. Die 9-Gang-Automatik von ZF wird also mit einem etwas klobigen Hebel in die Position D bewegt. Unter der Haube gibt sich ein fröhlich nagelnder Zweiliter wenig Mühe, sein Arbeitsprinzip zu verheimlichen. Mit 170 PS setzt er sich nicht gerade rassig, aber auch nicht schleppend in Gang. Die grosse Überraschung dabei: Die Automatik kann überhaupt nicht überzeugen. Als ich auf eine Kreuzung zufahre und den Fuss vom Gas nehme, schaltet das Räderwerk einen Gang hoch und hält die Drehzahl. Mit anderen Worten: Das Auto beschleunigt sogar noch leicht, was sich äusserst unangenehm anfühlt. Je nach Situation kann dieses Schaltverhalten sogar gefährlich sein.

Auch sonst scheinen die neun Stufen nicht wirklich zu helfen. Das Getriebe schaltet ständig unentschlossen rauf und runter, was aufgrund des nicht geraden leisen Motors auch recht gut zu hören ist. Hier wären also weniger Abstufungen mehr gewesen.

Jeep Cherokee 2.0 Diesel

Natürlich ist nicht alles am neuen Cherokee schlecht. Da ist zum Beispiel das Fahrwerk, das seine Sache durchaus ordentlich macht. Und da sind die diversen Assistenten, die richtig gut funktionieren. Man gewöhnt sich schnell daran, dass das Volllicht automatisch angeht, das Dreieck im Spiegel ein Fahrzeug im toten Winkel ankündigt oder das Lenkrad vom Spurassistenten selbsttätig in die richtige Richtung gezogen wird. Annehmlichkeiten wie sie in ähnlicher Form aber auch von der Konkurrenz geboten werden. Genau genommen erwartet die Kundschaft heute in diesem Segment ein breites Angebot an Helferchen.

Jeep Cherokee 2.0 Diesel

Noch immer nicht zum Standard gehört der adaptive Tempomat, der auch Stopp-and-Go-Verkehr beherrscht. Im Test-Jeep funktioniert er angenehm einfach und gut. Im Technology Pack für 2500 Franken ist er ebenso mit dabei wie alle bereits erwähnten Assistenten. Ebenfalls extra kosten die Metalliclackierung (950 CHF), das vollwertige Reserverad (200 CHF) und das Cold Weather Pack (250 CHF) mit beheizbarem Lenkrad und Sitzen, widerstandsfähigen Fussmatten und der Scheibenwischer-Enteisungsanlage. In der Armauflage findet sich ein spezielles Feature: Für kabelloses Laden des Handys ist eine Qi genanntes System integriert, die das Telefon ohne mühsames Steckersuchen mit Strom versorgt. Damit kommt der Testwagen auf 61’500 Franken. Damit ist er genau 5500 Franken günstiger als ein identisch ausgestatteter BMW X3. Nur: Der BMW bringt 20 PS mehr mit und verfügt über ein perfektes 8-Gang-Automatikgetriebe.

Jeep Cherokee 2.0 Diesel

Es würde mich erstaunen, wenn der neue Jeep Cherokee eine grosse Fangemeinde finden würde. Natürlich ist er ein gutes Auto, schlechte gibt es heute kaum noch. Allerdings ist der Abstand nach vorne zu den deutschen Herstellern noch zu gross, als dass man Audi oder BMW Kunden abjagen könnte, zumal der Preisunterschied nicht riesig ist. Auf der anderen Seite gibt es die Koreaner, die zum Beispiel in Form des etwas kleineren Kia Sportage für 50’000 Franken ein Rundumglücklichpaket anbieten. Und bald kommt der neue Hyundai Tucson.

Man sieht, dieses hässliche Entlein hat nicht nur mit der Ablehnung aufgrund der eigenwilligen Optik zu kämpfen. Bessere Chancen sähe ich für den noch teureren Trailhawk. Der hat nicht nur eine angepasste Karosserie für steilere Böschungswinkel, sondern auch den Pentastar-V6 unter der Haube. Vielleicht harmoniert der auch besser mit dem ZF 9-Gänger. Der wird dann allerdings nicht so wenig verbrauchen, wie der Zweiliter Diesel. Im Test kam ich mit 7 Liter Diesel durch, was für den fast zwei Tonnen schweren Cherokee ganz ansprechend ist. Immerhin.