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zuendung

26. Juni 2007

Das hässliche Entlein

Ducati | 0 Kommentare

Ein normaler Fahrbericht über eine Ducati beginnt ja eigentlich immer damit, wie unglaublich schön und ästhetisch perfekt die sportlichen Italienerinnen seien. Ok, dafür gebe es einige Einbussen im praktischen Bereich, aber das würden die Ducatisti gerne in Kauf nehmen. Ausserdem sei da noch der unglaubliche Sound des V2-Aggregats, welcher sowieso wieder alles gut mache. Tja, […]

Ein normaler Fahrbericht über eine Ducati beginnt ja eigentlich immer damit, wie unglaublich schön und ästhetisch perfekt die sportlichen Italienerinnen seien. Ok, dafür gebe es einige Einbussen im praktischen Bereich, aber das würden die Ducatisti gerne in Kauf nehmen. Ausserdem sei da noch der unglaubliche Sound des V2-Aggregats, welcher sowieso wieder alles gut mache. Tja, dieses Mal ist alles anders.

Man muss schon mit dem Designer Pierre Terblanche verwandt sein oder über eine überaus ausgeprägte Sehschwäche verfügen, um die Ducati Multistrada 1100S schön zu finden. Speziell, ja. Schön, nein! Speziell die Front mit diesem seltsamen Zyklopen-Scheinwerfer schockiert den Liebhaber schöner Formen. Die mehrfachen horizontalen Einschnitte an der Vorderpartie machen das Bild auch nicht harmonischer. Von der Seite betrachtet tröstet wenigstens der schön gemachte Rohrrahmen die Ducati-Fans. Das Heck schaut dann wieder mehr nach Captain Future aus, kann mit seinen zwei glänzenden Rohren und darunter liegender Leuchteneinheit nicht wirklich überzeugen.


Schau mir in die Augen, Entlein: Nur ganz wenige Menschen finden die Ducati Multistrada schön

Doch, seien wir ehrlich, so wichtig ist die Optik nicht. Gerade ein sportlicher Tourer muss nicht auf Modeschauen und vor Cafés brillieren. Er soll vielmehr ein verlässlicher Begleiter für seinen Fahrer sein. Nun, die Zuverlässigkeit lässt sich bei unserem kurzen Testritt wohl kaum beurteilen. Doch für den Tourenfahrer sind auch Wendigkeit, Ergonomie, Komfort und Elastizität wichtig, will er doch möglichst angenehm und stressfrei auf dem Zweirad verreisen können. Also steige ich auf den naturgemäss sehr hoch gelegenen Sattel (850mm) der Multistrada auf. Als ich es mir bequem gemacht und die Rückspiegel eingestellt habe, folgt die nächste Enttäuschtung. Von Ducatisound ist nichts zu hören, lediglich ein leichtes Säuseln dringt unter meinen Helm. Naja, vielleicht ändert sich das während der Fahrt noch.


Individuell: Selbst der Tankdeckel hat eine seltsame Form

Schon nach wenigen Metern bricht unter meinem Helm Begeisterung aus: Die Multistrada fährt sich wie ein Velo! Als wüsste sie bereits, wo ich hin will, manövriert die rote Italienerin über den Parkplatz. Auf der Landstrasse angekommen, verwöhnt der luftgekühlte V2 mit sattem Drehmoment. Ab 4750 U/min erfasst einen die Welle mit der vollen Kraft von 102,9 Newtonmeter. Doch nicht nur die Geraden machen Spass. In Kurven liegt die Multistrada einfach sensationell. Mit keinem anderen Bike zuvor fiel es mir so leicht, das Vertrauen zu finden. Selbst eine Yamaha Fazer ist nicht so angenehm locker in Schräglage zu bringen. Sicher mit ein Verdienst des relativ tiefen Leergewichts von knapp unter 200kg und des hohen Schwerpunkts.


Sound? Den zwei Rohren entweicht leider statt Ducati-Sound lediglich ein leichtes Säuseln

Die S-Version der Ducati Multistrada 1100, welche zündung.ch zur Verfügung stand, wartet fahrwerkseitig mit einer voll einstellbaren Öhlins Upside-Down-Gabel auf. Auch das hintere Federelement stammt von Öhlins und ist ebenfalls einstellbar. Diese Komponenten tragen nicht nur zur ausgeprägten Handlichkeit bei, sondern sorgen auch für einen sehr hohen Fahrkomfort. Auch der bequeme Sattel gefällt mir gut. Auf ihm lassen sich verschiedene Sitzpositionen einnehmen, was lange Fahrten stark erleichtert. Zudem schützt die kleine Scheibe vor allzu heftigen Windstössen.


Sehr gut: Die grossen Rückspiegel sind speziell geformt und erweitern das Blickfeld effektiv

Bei allem Komfort: Die Multistrada gefällt vor allem durch ihre sportlichen Eigenschaften. Trotzdem gibt es beim Fahrverhalten noch einen kleinen Makel: Die Dosierung der Vorderradbremse war beim getesteten Exemplar aufgrund eines sehr schwammigen Gefühls recht heikel. Das sollte sich aber einstellen lassen. Gut sind dagegen die grossen Rückspiegel, die zudem die gut sichtbare Blinkleuchten aufnehmen. Weiter ist ein Bordcomputer im Instrumentarium integriert, der mit praktischen Funktionen wie der Restreichweite aufwartet. Der 20-Liter-Tank sollte normalerweise für fast 300 km reichen.


Typisch Ducati: Der sehr schön gefomte Rohrrahmen erinnert an verschiedene Modelle der Marke

Abgesehen von der seltsamen Formgebung stellte ich eigentlich nur einen kleinen Mangel fest: Der charakteristische Ducati-V2-Sound glänzte durch Abwesehenheit. Doch ein Blick in den Zubehörprospekt enthüllt Erfreuliches: Eine wunderschöne Termignoni-Auspuffanlage dürfte nicht nur für leicht bessere Leistungsdaten, sondern auch endlich für den richtigen Klang sorgen. Ebenfalls zusätzlich erhältlich ist ein passendes 68L Seitenkofferset, dass die Optik nicht verschlechtert. Die getestete Ducati Multistrada 1100 S kostet 18790.- CHF und ist somit um fast 2000 Franken teurer, als die Basisversion. Aufgrund der besseren Fahrwerkskomponenten und den vielen formschönen Carbonteilen, würde ich dennoch eher zur S-Version greifen.

Alles in allem muss ich sagen, dass die Multistrada wohl das beste Bike ist, auf dem ich je gesessen bin. Die 95 PS reichen völlig aus, um auch mal die bösen Buben auf ihren vollverschalten Japanern zu ärgern. Die Wendigkeit des Sportourers von Ducati ist einfach sensationell. Die Sitzposition ist sehr bequem und es ist alles am richtigen Ort. Hätte Pierre Terblanche dem Sporttourer ein gefälligeres Kleid verpasst, ich bin sicher, die Multistrada wäre heute das mit grossem Abstand meistverkaufte Motorrad von Ducati.