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zuendung

13. Januar 2007

Das Kreuzworträtsel

Mercedes-Benz | 0 Kommentare

Eigentlich hatte ich mich schon an die verschwenderische Verwendung des Begriffes „Crossover“ gewöhnt. Zuerst verfeuerte ihn die Musikindustrie, nachdem Anfang der neunziger Jahre Rage Against The Machine stilbildend Metal, Rock und Hiphop kreuzte. Fand’ ich prima und fröne dieser Musikrichtung noch immer mit Genuss. Vorwiegend in Automobilen, da deren Soundsysteme in ihrer Qualität meist meine […]

Eigentlich hatte ich mich schon an die verschwenderische Verwendung des Begriffes „Crossover“ gewöhnt. Zuerst verfeuerte ihn die Musikindustrie, nachdem Anfang der neunziger Jahre Rage Against The Machine stilbildend Metal, Rock und Hiphop kreuzte. Fand’ ich prima und fröne dieser Musikrichtung noch immer mit Genuss. Vorwiegend in Automobilen, da deren Soundsysteme in ihrer Qualität meist meine Heimanlage toppen. Außerdem gehört Autofahren zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Und so wird mir seit Ende der Neunziger erneut die Vokabel „Crossover“ um die Ohren gehauen – zumeist in Form der äußerst Fragwürdigen Gattung der so genannten Sport Utility Vehicles. Oft spülen diese Kisten Unsummen von Geld in die Kassen der Hersteller und besitzen so eine gewisse Daseinsberechtigung. Vor allem die Tatsache, dass die Konzerne es verstehen, ihren Kunden Autos zu verkloppen, von denen der geneigte Autofahrer vor dem Betreten eines Autohauses noch nicht einmal wusste, dass er so ein Vehikel überhaupt braucht.


Plattfuß: Große Räder stehen nur großen Wagen wirklich gut.

Der Gipfel dieser automobilen Kreuzworträtsel stellt für mich derzeit die Mercedes R-Klasse dar. Es folgt nun ein Lösungsversuch als Fahrbericht. Da zuendung.ch keine halben Sachen macht, steht zum Probegalopp ein R63 AMG bereit. Natürlich als Langversion. Hier treffen 510 PS auf rund 2,4 Tonnen Leergewicht, sechs Sitze sowie ein Winz-Kofferraum versammeln sich auf schlanken 5,17 Meter Außenlänge. Raumökonomie auf amerikanisch. Da wird die R-Klasse auch gebaut, zusammen mit ML und GL. Ähnlich eng ist die technische Verwandtschaft, dort ein paar Offroad-Features mehr, hier weniger. Mit dem R63 dürfte ohnehin niemand wirklich ins Gelände wollen, noch nicht einmal ein Amerikaner. Die Bodenfreiheit ist kaum größer als bei einem 4matic-Modell der seligen W124er Baureihe und die 21 Zoll große Sommerbesohlung würde sich sofort mit losem Untergrund zukleistern. Doch angesichts der 620 Newtonmeter schadet der Allradantrieb nicht wirklich. Was passiert, wenn diese Urgewalten allein auf die Hinterachse losgelassen werden, ist hier nachzulesen.


Lautstark: Der V8-Sound ist immer wieder ein Genuss.

Von dem stattlichen Leergewicht des R zeigt sich der famose AMG-Motor weitgehend unbeeindruckt. In 5,1 Sekunden soll der Sechssitzer aus dem Stand auf 100 Km/h bollern. Frage im Kreuzworträtsel, Antwort quer, vier Buchstaben, der dritte ein „i“. Nein. Aber es macht Spaß. Irgendwie. Das Gefühl dabei liegt irgendwo zwischen Gesetzesloser und Hiphop-Star, befreit von den Goldketten amerikanischer Geschwindigkeits-Limits. Jo. Passend dazu die Farbgebung des Testwagens, Travertinbeige metallic, Leder alpakagrau. Schwarz wäre deutlich cooler, doch Coolness wird dies- und jenseits des großen Teiches oft unterschiedlich definiert. Einig sind sich offenbar die Kunden in der alten und der neuen Welt. Beide ignorieren den R weitestgehend. In den USA packen die Händler schon Incentives von bis zu 7000 Dollar drauf. Gut, das fällt bei dem Testwagenpreis jenseits der 110.000 Euro-Grenze kaum ins Gewicht. Eine weitere Verbreitung der AMG-Version dürfte auch dieser Umstand im Wege stehen.


Wiederholung: Das Cockpit ähnelt stark dem ML und dem GL.

Ansonsten steht der vom Marketing als Tourer bezeichneten R-Klasse mit Spitzenmotorisierung kaum etwas im Weg. Zugegeben, es ist ein Vergnügen der besonderen Art, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte einen 2,4 Tonnen-Bomber mit 250 Km/h über die Autobahn zu schieben. Der Spaß schwindet erst, sobald sich die Kurvenradien verringern. Dann verspürt der R63 einen starken Drang, sich in Richtung Kurvenaußenrand zu bewegen. Vorbei die Leichtigkeit der Längsdynamik, die Physik meldet sich vehement zurück. Gute Laune kommt aber auch bei niedrigeren Geschwindigkeiten auf, wenn man wie der Prinz aus Zamunda durch die Innenstadt blubbert. Zumal die Platzverhältnisse in Reihe eins und zwei königlich sind. Die DVD-Monitore für die Hinterbänkler setzt der Dekadenz die Krone auf. Von den so oft gepriesenen Vorteilen der Crossover-Modelle, die sich vorwiegend auf die hervorragende Übersichtlichkeit beschränken, spüre ich bei der R-Klasse nichts. Weder das vordere noch das hintere Ende ist einsehbar und eine Parklücke für die 5,17 Meter dazwischen findet sich auch höchst selten. Wenn, dann schweben die Felgenhörner der schönen AMG-Räder in akuter Lebensgefahr.


Verirrt: Fahrzeug- und Motorenkonzept passen eigentlich nicht zusammen.

Ganz klar, seinen Reiz bezieht der R63 AMG weniger aus seinem Fahrzeug- hm – konzept (?) sondern viel mehr aus dem fantastischen 6,2 Liter großen V8-Triebwerk. Leistung im Überfluss, für mich als Besitzer zweier betagter Daimlers aus den Achtziger eine unglaubliche Drehfreude und dazu dieses leicht ungeduldige Leerlaufverhalten – herrlich. Nur passt das alles nicht wirklich zu einem Auto wie es die R-Klasse ist. Hier wäre der selige 5,5 Liter-Kompressor oder, noch besser, der V12 Biturbo die geschicktere Wahl gewesen. Einfach weil bei diesen Aggregaten die Urgewalten aus dem Drehzahlkeller kommen. Liegen die 620 Newtonmeter des drehzahlhungrigen Saugmotors erst bei 5200 Touren an, stemmt der V8-Kompressor seine 720 Newtonmeter bereits bei 2600 Umdrehungen die Kurbelwelle. Beim Zwölfender von AMG liegen 1000 Newtonmeter bei 2000 Touren an. Das der begeisternde V8 nicht mit der R-Klasse harmoniert, rein subjektiv natürlich, passt wiederum zu unserem automobilen Kreuzworträtsel. Dessen Lösungssatz lautet: Der R63 AMG ist die Antwort auf eine Frage, die wirklich niemand gestellt hat. Noch nicht einmal die Amerikaner. Aber wie alles Sinnlose hat auch der R63 AMG seinen Reiz.


Bogen: Es gibt Perspektiven, aus denen selbst die R-Klasse gut aussieht.