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zuendung

7. Oktober 2009

Das Turbienchen

NSU | 0 Kommentare

Surren, Summen, ja gar Säuseln melden die Fahrerohren. Brummen, Pfeifen oder Rattern gibt’s im NSU nicht. Grund des vibrationsfreien Schubs ist, wie jeder allgemein gebildete Mensch weiss, der Wankelmotor. Normalreaktion von Ro80-Erkennern: „Und, der wievielte Motor steckt unter der Haube?“ Martin, der den NSU auch im Alltag bewegt, nimmt die Sprüche mit Humor und hat […]

Surren, Summen, ja gar Säuseln melden die Fahrerohren. Brummen, Pfeifen oder Rattern gibt’s im NSU nicht. Grund des vibrationsfreien Schubs ist, wie jeder allgemein gebildete Mensch weiss, der Wankelmotor. Normalreaktion von Ro80-Erkennern: „Und, der wievielte Motor steckt unter der Haube?“ Martin, der den NSU auch im Alltag bewegt, nimmt die Sprüche mit Humor und hat sich vorgenommen, solche Vorurteile zu widerlegen. Er bekräftigt: „Wenn man regelmässig nach dem Öl schaut, ist der NSU ein zuverlässiger Begleiter.“ Blickt man in Martins Garage, scheint Vorurteile zu widerlegen längst seine Passion zu sein. Neben einem MGB GT fährt er regelmässig eine Citroën DS und einen Jensen Interceptor. Ebenfalls mit Erfolg, obwohl auch nicht gerade für ihre Zuverlässigkeit bekannt.


Was für eine Front: Claus Luthes Carrosserieentwurf begeisterte 1967 und heute.

Der Anlasser thront zuoberst auf der Rotationskolbenmaschine. Daneben der mächtige Luftfilter. Die Konstruktion aus Guss und vielen Schläuchen gleicht einer Helikopterturbine. Im Innern arbeiten zwei exzentrisch drehende Dreiecksscheiben nach dem Viertaktprinzip. Gegenüber dem altbekannten Hubkolbenmotor setzt der Wankelmotor die Verbrennungsenergie direkt in eine Drehbewegung um. „Kolbenschüttler“ machen dabei den Umweg über die Hubbewegung. Leistung: 115 PS bei 5500 Umdrehungen. 1967, bei der Präsentation des Ro80, war das eine Kampfansage an Sportlimousinen wie BMW sie im Angebot hatte. Heute genügen die 115 Pferde, um im Alltagsverkehr entspannt mitzugleiten.
Die Kampfansage gilt heute dem Verbrauch: Nach einer Autobahnbaustelle rastet der zweite Gang sachte ein und Wankels Motor dreht unter Volllast hoch. Man wähnt sich im Cockpit eines Reisejets. Nicht der Beschleunigung wegen, das Geräusch macht es aus. Hochdrehen ohne Ende – wo das Mechanikerherz dem Hubkolbenmotoren das Weiterdrehen erspart, scheint der Wankel noch lange nicht genug zu haben. Martin kommentiert das turbinenartige Sausen: „So gehen gerne mal 20 Liter Super auf 100 Kilometer durch.“ Der dritte Gang entspannt dann die Situation.


Schatztruhe: Unter der Haube stampfen keine Kolben. Zwei rotierende Dreiecksscheiben verbrennen den Treibstoff zu 115 PS bei 5500 Umdrehungen.

Schon zwei Mal in diesem Jahr lag der Motor auf der Werkbank in Martins Garage. Nicht weil er den Geist aufgegeben hätte. Probleme bereitete der Simmerring des Wandlers. Der gehobenen Mittelklasse entsprechend spendierte NSU dem Ro80 nicht etwa einen Vollautomaten. Der Wankel lässt seine Kraft über eine Wandlerkupplung und eine Einscheibenkupplung auf ein manuell geschaltetes Dreiganggetriebe los. Was sich aufwändig anhört, sorgt für entspannte Fahrmanöver: Das Kupplungspedal fehlt. Sobald die Fahrerhand am Schalthebel ansetzt, öffnet die elektrisch betätigte Einscheibenkupplung. Ist der nächste Gang eingelegt und die Hand vom Schalthebel weg, schliesst die Kupplung. Dank der Wandlerkupplung fährt der NSU sanft an. Wir hoffen (obwohl der Motorraum aufgeräumt und wartungsfreundlich ist), dass der aktuelle Simmerring nun dicht ist.


Wankelbändiger: Im Innern macht sich die vibrationsfreie Maschine angenehm bemerkbar und dreht willig hoch.

Menschen mit wenig automobiler Vorahnung gibt der Ro80 grössere Rätsel auf. Was ist es denn nun, ein früher Audi? Ende 1970er Jahre? Optisch scheint er tatsächlich verwandt zu sein mit den Audi 80 und 100 der zweiten Generation. Heute noch ähneln Audis mit der rundlichen Dachform und den Dreiecksfenstern vor der C-Säule dem NSU. Designer Claus Luthe nahm das Autodesign mit dem Ro80 um zehn Jahre vorweg. NSU ging bald nachdem die ersten Ro gebaut wurden an Audi. Ob man so in Ingoldstadt Bekanntschaft mit längs eingebautem Motor und Frontantrieb, Verbundlenkerachse – und eben der keilförmigen, windschlüpfrigen Carrosserieform machte? Ein Exemplar des fortschrittlichen Wagens steht übrigens in der Pinakothek der Moderne in München.


Keilform: Mit viel Glas und runden Formen nahm der Ro80 das Autodesign um zehn Jahre vorweg.

Im Vergleich zum herkömmlichen Kolbenmotor gleicht der Motor nach Felix Wankels Prinzip sämtliche Vibrationen aus. Die schmale Bauweise lässt es auch zu, die Scheibenbremsen vorne innenliegend, also unmittelbar am Getriebe einzubauen. Sie sind grosszügig ausgelegt und verzögern zusammen mit den hinteren Scheiben überdurchschnittlich für ein vier Jahrzehnte altes Auto. Martins Wagen gehörte ursprünglich einem Psychiater. Das war typisch, mit der fortschrittlichen Form sprach der NSU vor allem Intellektuelle wie Architekten oder Ärzte an. Sie waren jedoch meist wenig mit der ausgefallenen Technik vertraut und sorgten sich entsprechend spärlich um den gesunden Ölhaushalt. Ob diese Eigenheit dem Wankelmotor den schlechten Ruf einbrachte?


Wackeldackel: An der Heckansicht scheiden sich die Geister, im Vergleich zur Front wirkt sie eher bieder.

Obwohl die Heckansicht von vielen als eher bieder bezeichnet wird, punktet der Ro80 von vorne bis hinten. Hier hört der Spass jedoch auf: In schnellen Kurven neigt er zur Seite wie ein Hochseefrachter bei Wellengang und schiebt über die angetriebenen Vorderräder. Schnelles Geradeausfahren aber belohnt die schöne Limousine mit angenehmem Reisekomfort. Moderne Automobile mag der NSU Ro80 viele beeinflusst haben. Zwei Dinge aber macht er den Neuen noch immer vor: Die Radaufhängung ist ungleich den heutigen Sportfahrwerken frei von Poltergeräuschen. Und die grossen Scheiben bieten trotz rundlicher Carrosserieform ein grosszügiges Raumgefühl und eine sichere Rundumsicht.

Danke Martin für den Aus-Flug.