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zuendung

15. Mai 2009

Dauertest einmal anders

Daewoo | 0 Kommentare

Neue Autos sind (fast) alle gut – eine Binsenweisheit. Warum also nicht mal über die Er“fahrungen“ mit einem älteren Schätzchen berichten, frei nach dem Motto: Abwracken? Nein danke, fahren! Natürlich ist dieses Auto mit seinem relativ „jungen“ Baujahr 1996 noch kein Oldtimer – und schon deshalb für Fans wohl weniger interessant. Aber im Zuge der […]

Neue Autos sind (fast) alle gut – eine Binsenweisheit. Warum also nicht mal über die Er“fahrungen“ mit einem älteren Schätzchen berichten, frei nach dem Motto:
Abwracken? Nein danke, fahren!
Natürlich ist dieses Auto mit seinem relativ „jungen“ Baujahr 1996 noch kein Oldtimer – und schon deshalb für Fans wohl weniger interessant.
Aber im Zuge der derzeitigen deutschen Abwrack“hysterie“ ist durchaus die Frage erlaubt: wie fährt sich eigentlich ein nahezu 13 Jahre altes Auto? Mit diesem Alter liegt es weit über den verlangten mindestens neun Jahren, die es zum Erhalt des fälschlicherweise oft auch „Umweltprämie“ genannten Zuschusses braucht. In die Irre führend ist der „Umwelt“-Begriff schon deshalb, weil das betreffende Fahrzeug dank geregeltem Katalysator und nachgerüstetem „Mini-Kat“ die Schadstoffgruppe D 3 (emissionsärmer und auch steuerlich günstiger als Euro 2) erreicht – und damit besser ist als viele Autos späterer Baujahre.

Wer hat da „Kadett“ gerufen?

Interessant ist solch eine Betrachtung auch wegen der bewegten Geschichte des Herstellers Daewoo, eines südkoreanischen Mischkonzerns, der neben Fahrzeugen und Motoren aller Art (u.a. Schiffsantriebe) Unterhaltungselektronik wie Videorecorder oder auch Waffen produziert. Der ehemalige Chef der Fahrzeugproduktionssparte landete wegen Konkursverschleppung sowie Betrugs- und Korruptionsverdachts für mehrere Jahre im Gefängnis und kam erst vor kurzem im Zuge einer Amnestie frei. Seit dem Konkurs gehört die Sparte zu Chevrolet – und damit zu GM, die bekanntlich derzeit sowieso genug Probleme haben.

Das Heck ist eine runde Sache

Das Modell Nexia ist das erste Fahrzeug, das 1994 von den Koreanern unter der Marke Daewoo in Mitteleuropa auf den Markt gebracht wurde. Wie man unschwer erkennt, handelt es sich um einen Lizenznachbau des altehrwürdigen Opel Kadett E mit einer geänderten Front- und Heckpartie. Innen ist der Nexia ebenfalls ähnlich dem Kadett ausgestattet, allerdings in der GL-Version mit einem Hauch von Luxus – zumindest für damalige Verhältnisse. So sind ABS und Fahrerairbag ebenso an Bord wie Klimaanlage, Fernentriegelung für Heckklappe und Tank, elektrische Scheinwerferhöhenverstellung, Umluftschaltung, Anzeige für offene Türen im Display, Drehzahlmesser etc.
In Deutschland sollen noch an die 2000 Nexia fahren, die wenigsten davon sind allerdings mit einem Automatikgetriebe ausgestattet wie unser „Testwagen“ (dem man sogar eine digitale Ganganzeige im Kombiinstrument spendiert hat).

Instrumententafel mit Automatikstufen-Anzeige

Motorisch hatte Daewoo hier den „Mut zur Lücke“: holte der 1,4 l Benzinmotor des Kadett 60 PS und der 1,6 l 75 PS Leistung aus den vier Zylindern, sind für diese 55 KW/75 PS im Nexia nur 1,5 l (alles als Zweiventiler) nötig. Grundsätzlich kann man natürlich bei dieser Leistungsausbeute speziell mit Automatik keine Geschwindigkeits- oder Beschleunigungsrekorde erwarten, bei 156 km/h ist sowieso definitiv Schluss. Aber immerhin kann man mit dem Nexia ganz gut „mitschwimmen“, und das bei einer recht angenehmen Geräuschkulisse. Autobahntempo 120 km/h erledigt er zum Beispiel auf gerader Strecke mit entspannten 3000 Touren und den „roten Bereich“ ab 6500 Umdrehungen pro Minute erreicht der normale Fahrer sicher nie.

Trotz des doch recht kleinen Hubraums von 1,5 l füllt der Motor den Raum unter der Haube gut aus

Wenn man also nicht heftig und quasi „aus dem Stand“ zu Überholmanövern gezwungen wird, ist die gebotene Leistung durchaus ausreichend. Denn „Kickdown“ mag das Aggregat überhaupt nicht und quittiert die vermessene und nahezu unverschämte Anfrage nach mehr Leistung mit einem gequälten Knurren. Dabei gibt es am Automatikwählhebel sogar einen „Power“-Schalter, mit dem das Getriebeprogramm später hochschalten und so dynamischer zu Werke gehen soll – zumindest beschreibt es so die Bedienungsanleitung. Ausprobiert habe ich es nur einmal, weil es einfach nicht zum Charakter des Fahrzeugs passt. Denn was muss und soll ein Auto: die Passagiere möglichst zuverlässig von A nach B bringen. Und das tut der Daewoo. Allerdings: die erlaubte Zuladung von 590 kg (Leergewicht: 890 kg, zul. Gesamtgewicht: 1480 kg!!) sollte man lieber nicht ausreizen.

Die Vierstufenautomatik mit „Power“-schalter war ziemlich selten

Auf den letzten 100 000 Kilometern (jetziger Stand: 205 000) gab es mit dem Nexia
keine ausserplanmässigen Aufenthalte in der Werkstatt, kein Liegenbleiben auf der Strecke. Und wenn wirklich mal was ist: Teile für den Opel Kadett E passen in den meisten Fällen und die gibt es wirklich noch überall.
Selbst bei minus 27 Grad im Schwarzwaldwinter und einem Meter Schnee auf Dach und Haube sprang der Nexia problemlos an, auch nach zwei Wochen Standzeit auf irgendeinem staubigen Platz in brütender Hitze: ein Schlüsseldreh- und der Nexia war wach.
Durchschnittsverbrauch: je nach Fahrweise, Strassen- und Witterungsverhältnissen zwischen 6,5 und maximal 9 Litern. Ölverbrauch: nicht messbar. Für einen Fast-Oldtimer gar nicht so schlecht.

Fazit: brauchte man bei Daewoo vor 15 Jahren nur irgendeine Karosserie, um sie über den Motor zu stülpen, so lag man mit dem gewählten Modell Nexia sicher nicht allzu falsch. Natürlich sind Design und Optik nicht jedermanns Sache, auch die Technik ist heute nicht mehr up to date – Kunststück bei einem 13 Jahre alten Auto! Aber einfach abwracken: nein danke!

Jürgen Hildebrandt
(Der Autor arbeitet seit fast 25 Jahren als Fachjournalist im Bereich Bau/Technik/Verkehr und war bis 2008 Chefredaktor der itr transportrundschau. Derzeit ist er als freier Journalist hauptsächlich im Bereich Nutzfahrzeuge tätig und betreibt zu diesem Thema auch eine eigene Webseite)

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