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zuendung

13. November 2005

Der Alfa aus Spanien

Seat | 0 Kommentare

Seat geht es an den Kragen. Schleppende Verkäufe, drohende Einverleibung in die Audi AG, streikende Arbeiter, Gerüchte um den Tod oder die Veräußerung der Marke – in Matorell schläft derzeit niemand ruhig. In Deutschland versucht Seat mit einem Sondermodell den Verkauf des gerade erst gestarteten Leon anzuschieben. Das darf ruhig wörtlich genommen werden, da es […]

Seat geht es an den Kragen. Schleppende Verkäufe, drohende Einverleibung in die Audi AG, streikende Arbeiter, Gerüchte um den Tod oder die Veräußerung der Marke – in Matorell schläft derzeit niemand ruhig. In Deutschland versucht Seat mit einem Sondermodell den Verkauf des gerade erst gestarteten Leon anzuschieben. Das darf ruhig wörtlich genommen werden, da es sich beim Leon Abt nicht um eine reine Ausstattungsvariante mit besserem Preis-/Leistungsverhältnis handelt.

In erster Linie wurde dem spanischen Golf-Derivat mehr Leistung statt weniger Preis verabreicht. Der als einzig lieferbare Motorisierung angebotenen Zweiliter-TDI darf nun 168 statt 140 PS leisten, das maximale Drehmoment stieg von 320 auf bärbeißige 370 Newtonmeter. Hier hatten die Techniker des renommierten Tuners Abt ihre Finger im Spiel – mit offiziellem Segen des Importeurs durften die Kemptener die Bits und Bytes in der Steuerelektronik tanzen lassen. Einen Hinweis auf die Leistungskur findet sich allerdings nirgends an dem adretten Fünftürer. Auch sonst stammt kein Bauteil aus dem Allgäu. Das fesche Design stammt bekanntermaßen aus der Feder von Ex-Alfa-Stylist Walter da Silva, der auch schon den Altea und den Toledo gezeichnet hat.

Offenbar haben die Kostendrücker den Künstler unterjocht, denn die Frontpartien aller drei Modelle sehen nahezu identisch aus. Für sich betrachtet ist der Leon durchaus wohl proportioniert und darf getrost als würdiger Nachfolger der properen ersten Generation klassifiziert werden. Die schmucken 18-Zoll-Räder mit 225/40er Bereifung tragen ebenfalls einen beträchtlichen Anteil zur sportiven Optik bei. Nur der vermeintliche Optik-Trick mit den versenkten hinteren Türgriffen hat, mit Verlaub, Herr da Silva, weder beim 156er Alfa noch jetzt beim Leon funktioniert. Doch der Seat hat nicht nur das schicke Design von Alfa übernommen. Auch wenn die Alfa-Gemeinde nun am Verstand des Autors zweifeln und ihn samt den Fiat-Managern mit Betonschuhen im Canale Grande versenken möchte – der Leon macht auch beim Fahren an, selbst als Diesel.

Knurrig nimmt der Zweiliter die Arbeit auf. Die 370 Newtonmeter haben mit dem immerhin über 1,3 Tonnen schweren kaum Mühe, allerdings ist die Leistungscharakteristik genau so stiernackig, wie man das von dem Pumpe-Düse-Aggregat inzwischen gewohnt ist. Wer's mag, dass die Fuhre schon bei leicht entspanntem Gasfuß mit den Vorderhufen scharrend gen Horizont zieht, wird einen noch bulligeren Antritt als bei der 140 PS-Variante feststellen. Bei 3.500 Umdrehungen verkriecht sich das Drehmoment-Monster wieder in seinem Bau – typisch TDI. Die JTD-Motoren haben das prinzipiell besser drauf, doch eine geschickte Abstufung des Sechsganggetriebes lässt auch den Seat flott marschieren, bei Bedarf bis zu 210 km/h schnell. Die Fahrwerksabstimmung verfügt ebenso wie die Sportsitze über eine gesunde Portion Härte.

Die Verarbeitung ist dem Setup allerdings nicht gewachsen, es knarzt und knistert aus allen Ecken und Enden der schicken, aber äußerst unübersichtlichen Karosserie. Ein Tribut an den Van-artigen Vorbau. Die flachen A-Säulen verursachen trotz der kleinen Dreiecks-Fenster einen beträchtlichen toten Winkel. Zusammen mit der nicht einsehbaren Motorhaube ist für den ambitionierten Fahrer ein zielgenaues Anpeilen von Einlenkpunkten schlicht nicht möglich. Die Mädels und Jungs, die sich nächstes Jahr im Leon-Supercopa beweisen müssen, werden also viel Spaß haben. Tatsächlich fehlt es unter fahrdynamischen Gesichtspunkten an nichts. Der Grenzbereich ist hoch angesiedelt und kündigt sich durch sanft einsetzendes Untersteuern an. Die elektro-mechanische Servolenkung gibt überraschend viel Feedback und arbeitet ausreichend präzise. Und auch der etwas billig ausgeführte Schalthebel des Getriebes lässt sich Konzern-typisch trocken durch die sechs ebenen führen. Fahren kann er also, der Seat Leon, die Optik stimmt ebenfalls.

Selbst der Preis ist vertretbar, wenngleich 28.505 Euro für ein Auto der Golf-Klasse nur bedingt Schnäppchen-Charme versprühen. Das serienmäßige DVD-Navi, Klimaautomatik und Bi-Xenon-Scheinwerfer stimmen wieder versöhnlich. Da ist er wieder, der Vergleich mit Alfa Romeo: Gute Fahrdynamik, gutes Preis-/Leistungsverhältnis, hübsches Design, funktionelle Mängel und mangelhafte Verarbeitung. Kein Wunder also, wenn Seat demnächst vollends im VW-Konzern aufgeht…