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zuendung

11. Januar 2012

Der kleine Genuss

Abarth | 0 Kommentare

Es gibt Autos, die sind fast ganz ohne rationale Daseinsberechtigung. Die meisten Supersportwagen gehören wohl in diese Kategorie und bestimmt auch einige übermotorisierte SUV. Dass sich ein Kleinwagen einen solchen Vorwurf anhören muss, ist eher selten. Beim Abarth 500C esseesse könnten aber tatsächlich einige Fragen auftauchen. Um diese und andere zu beantworten, haben wir von […]

Es gibt Autos, die sind fast ganz ohne rationale Daseinsberechtigung. Die meisten Supersportwagen gehören wohl in diese Kategorie und bestimmt auch einige übermotorisierte SUV. Dass sich ein Kleinwagen einen solchen Vorwurf anhören muss, ist eher selten. Beim Abarth 500C esseesse könnten aber tatsächlich einige Fragen auftauchen. Um diese und andere zu beantworten, haben wir von zündung.ch einmal mehr keine Mühen gescheut. Wir sind mit dem italienischen Auto an ein Fussballspiel einer italienischen Mannschaft in einer italienischen Stadt gefahren, haben dazwischen italienisch gegessen und dazu war noch ein echter Italiener mit an Bord. Da kann ja eigentlich gar nichts schiefgehen, oder?


Italiano: Der Optimismus bei den Anhängern Mailands war gross.

Als Flavio das weiss-schwarze Cabrio erblickt, mit dem er nach Milano fahren würde, weicht sein cooler Blick purer Entzückung. Ich hatte da eher Bedenken, dass uns der kleine Wagen mächtig durchschütteln und unsere Ohren mit Lärm plagen würde. Aber ich bin ja auch kein Italiener. Darum darf ich mich im Geheimen auch etwas darüber nerven, ein Cabrio ausgerechnet im Winter zu testen. So bleibt das Stoffdach des 500C geschlossen, als wir uns durch Luzern schlängeln und bald auf die A2 gen Süden tuckern.


Italianità: Geschmeidges Leder, hübscher Innenraum und frische Luft.

Natürlich ist "tuckern" ein etwas gar verniedlichender Ausdruck für fette 160 PS, die der Abarth dank dem esseesse Kit mobilisieren kann. Nur der sündhaft teure Tributo Ferrari hat noch 20 PS mehr unter der von Kulleraugen flankierten Haube. Gänge hat aber auch der nicht mehr. So sind Autobahnfahrten nicht so relaxt, wie sie sein könnten. Doch auf einen sechsten Gang müssen wir bestimmt noch bis zum Erscheinen eines Nachfolgers warten. Dafür muss ich auch an der Gotthard-Nord-Rampe nur selten tiefere Fahrstufen bemühen. Es scheint fast so, als würde sich der Kleine auf die Fahrt in die Heimat freuen. Obwohl: Genaugenommen müsste es ihn dann ein bisschen mehr nach Osten ziehen – Gebaut wird er wie die anderen Fiat 500 im polnischen Werk in Tychy.


Winzling: Mit dem 500 findet man selbst in Milano einen Parkplatz.

Ich wage die Behauptung, dass er insbesondere in dieser Lackierung das coolste Auto ist, das je in Polen gebaut wurde. Von vorne bis hinten mit Geschmack verspoilert, trägt unser Exemplar eine besonders hübsche Zwei-Farben-Lackierung. Unten weiss, oben schwarz, dazwischen eine feine rote Linie. Was an jedem anderen Auto nur peinlich wäre, sieht am 500 einfach klasse aus. Während aussen die O.Z.-Räder einen weiteren Glanzpunkt setzen, schwelgen wir drinnen in der Lederlandschaft von Spezialist Poltrona Frau. Dass die Sitze einmal mehr in die Froschpositionen zwingen, wir sehen es dem sympathischen Interieur mit dem gut gemeinten Navi-Aufsatz nach. Letzerer ist bedienungstechnisch nicht mehr auf dem neusten Stand und dass er je nach Sitzposition recht viel Sichtfeld klaut, macht die Sache auch nicht besser.


Sportlich: Tief über dem Asphalt kauert der schnellste 500.

Doch Flavio ist weiter guten Mutes. Inzwischen haben wir Milano erreicht, wo wir uns gemäss hiesigen Verhaltensmustern zu viert nebeneinander auf zwei Spuren vor den Ampeln einreihen. Eben noch kritisiert führt uns das Blue&Me-Navigationssystem zielsicher zum Corso Venezia, wo wir uns den ersten und vorläufig auch einzigen Pirelli Flagshipstore anschauen. Ehrensache, dass wir auf italienischen Gummis angereist sind. Erstaunlich, was man aus Gummi alles machen kann. Im Feierabendverkehr geht es mit offenem Dach zu Flavios Verwandten. Tatsächlich weht der Wind mit überraschender Kraft in die nur halboffene Stube. Die Verwirbelungen sind schlimmer (oder für Cabrio-Fans: besser) als in manchem Vollcabriolet. Gut, dass wir unsere Fan-Schals dabei haben. Nach genossener Pizza führt uns der Weg zum San Siro Stadion, wo 80'000 ein Champions-League-Happening der Sonderklasse geniessen. Am Ende ist der Genuss zwar eher spanisch denn italienisch, faszinierend war's aber allemal.

Den anstrengendsten Teil der Reise hält Milano aber noch bereit. Nach dem Spiel bricht das komplette Verkehrschaos aus. Ampelsprints funktionieren natürlich auch jetzt bestens, bringen aber nur wenig, wenn man den richtigen und vor allem staufreien und unblockierten Weg nicht kennt. So irrten wir fast eine Stunde durch die Stadt, bis schliesslich die rettende Autobahneinfahrt in Reichweite gelangte. Und nun volle Kraft Richtung Schweiz.


Cool: Welches andere Auto sähe in dieser Lackierung so unverschämt gut aus? Eben.

Der Vierzylinder hat gerade das richtige Mass an Power, um auch auf italienischen Autobahnen die linke Spur zu beanspruchen. So geht es zügig und überraschend komfortabel voran. Gegenüber der Festdach-Version scheint mir der Fahrwerkskompromiss viel weiter in Richtung Komfort gelegt zu sein. Da man nur selten rennmässig unterwegs sein dürfte, ein sinnvoller Entscheid. Das zu öffnende Dach erweitert den Fahrgenuss um eine im Abarth bislang unbekannte Dimension. Es kostet nur wenig vom zugegeben ohnehin kleinen Kofferraum – 185 Liter bleiben übrig. Sie sind durch eine ziemlich kleine Öffnung zugänglich. Wer cool sein will, muss halt manchmal leiden. Einiges Leid fügt dem Käufer auch der Preis zu: Genau 41'090 Franken kostet der Testwagen. Basierend auf dem 31'190 CHF teuren Abarth 500 kommt das Kit esseesse für 5500 CHF hinzu. Leder, Zweifarbenlackierung und ein paar kleinere Annehmlichkeiten sind für den Rest des Mehrpreises verantwortlich. Am Ende fällt das mit der rationalen Daseinsberechtigung also noch immer schwer. Doch gerade im Vergleich zu seinem Hartdachbruder kann der Cabrio-Abarth mit einem erweiterten Genusserlebnis punkten. Das mag kein Erbsenzähler dieser Welt verstehen, aber Flavio weiss ganz genau, was gemeint ist.