Ich kann sie nicht mehr hören. All diese Unkenrufe, jedes einzelne Mal, wenn ein neuer Mini auf den Markt kommt. "Der ist ja gar nicht mehr Mini", "Der verrät den Ur-Mini", "Was Sir Alec Issigonis sagen würde?", "BMW verwässert die Marke". Sieht man sich in den Schweizer Städten ein wenig um, merkt man schnell, dass die Bayern einiges richtig gemacht haben. Schaut man sich dagegen an, wie viele echte englische Hersteller es derzeit noch gibt, dann haben die Insulaner wohl so ziemlich alles falsch gemacht. Insofern bin ich froh, dass BMW alles dafür tut, seine Kleinwagenabteilung profitabel zu machen.
Den neusten Auswuchs dieses Bestrebens bin ich gefahren: Den Mini Cooper S Countryman All4.
Maxima(u)l: Am schwarzen Grill mit unterer Einbuchtung erkennt man den stärksten Countryman.
Ganz so lang wie die Modellbezeichnung vermuten lässt, fällt der neuste Spross der Mini-Familie dann doch nicht aus. Mit 4,11 Meter ist er immer noch deutlich kürzer als ein VW Golf. Dafür ist er, wie es sein SUV-Anspruch vermuten lässt acht Zentimeter höher als der Held der Kompaktklasse. Als ich zum ersten Mal auf dem teilweise belederten Fahrersitz Platz nehme, verschwende ich keinen Gedanken an irgendwelche Klassen. Sofort ist klar, hier sitze ich in einem Mini. Der riesige Tacho, die Kippschalter, der Tourenzähler, der Schaltstock und das griffige Lenkrad. Die Elipse, die im bekannten Mini die vordere Tür beschreibt, läuft im Fünftürer jeweils über ein Türenpaar pro Seite. Eine Eigenheit aus dem Bereich der Spielereien ist die Centerrail, eine beleuchtete Schiene in der Mitte des Fahrzeugs in die sich diverse Halter für Becher, Handies oder Sonnenbrillen einklicken lassen. In der getesteten viersitzen Variante läuft diese Skurrilität übrigens fast bis in den Kofferraum, den man zwischen den beiden hinteren Einzelsitzen sehen kann.
Typisch: Nur der Controller à la iDrive unten rechts überrascht den Mini-Fahrer.
So spielerisch die Optik im Innenraum, so sehr war man doch bedacht, alle wichtigen Bedienelemente sinnvoll zu platzieren. Also drücke ich den Startknopf, was 184 Pferdestärken weckt. Der 1,6-Liter Turbomotor ist identisch mit jenem Vierzylinder, der in den anderen Cooper S Modellen seinen Dienst verrichtet. Gegenüber dem Steilheck hat der Neue satte 250 kg Übergewicht. Das geht auch an einem Mini nicht spurlos vorüber. Nur zaghaft kommt die Fuhre vom Fleck, was auch mit einer schwer dosierbaren Kupplung zu tun hat. Bei mir führte das zu einer eher unangenehmen Episode: Obwohl in einer Tiefgarage geparkt, zeigte der Countryman im Engadin ein nicht sonderlich motiviertes Kaltstartverhalten. Voll beladen mit Skiausrüstung und vier Personen hatte ich vor, die Parkhausausfahrt zu erklimmen. Die ist nicht gerade hoch wie das Himmalaya-Gebirge, das Mini-Turboloch aber morgens so tief wie die Viamala-Schlucht. So schlich ich schliesslich mit schleifender Kupplung die beheizte Rampe hinauf, begleitet von einem unüberriechbaren Gestank.
Fünftürer: Zu den vier an den Seiten kommt eine einzelne Heckklappe hinzu.
Zum Glück besteht das (Auto-)Leben nicht bloss aus Parkhausrampen. Denn auf den gewundenen Passstrassen hinauf zu den Pelzmantelkolonien macht der grosse Mini so viel Spass, wie man es von seinen kleinen Geschwistern gewohnt ist. Natürlich behindert ihn sein Hüftgold, wenn es um die Performance auf den Geraden geht. In Kurven ist das Fahrgefühl vielleicht nicht kartmässig, aber doch sehr viel agiler als in allen ähnlich grossen Fünftürern dieser Welt. Ausserdem ist er selbstverständlich sehr viel auffälliger als diese. Erstaunlich, wie sehr der Allradler als Neuheit wahrgenommen wird, schliesslich ist die Formensprache typisch Mini. Und doch entdecken Passanten am Heck Ähnlichkeiten zu Bentley und anderen Nobelkarossen. An der Front wird dem S gar der Klau des Shelby-Mustang-Kühlergrills vorgeworfen.
Schmuck: Ohne verschnörkelt zu wirken setzt man auch beim neuesten Modell zahlreiche optische Akzente.
Ich für meinen Teil finde es erstaunlich, dass der Countryman überhaupt als SUV angepriesen wird. Eigentlich stellt er von seinen äusseren und inneren Abmessungen her den Einstieg der Marke Mini in den Kompaktmarkt dar. So gesehen würde dann die in Detroit gezeigte dreitürige Version des Countryman, die als Concept Car auf den Namen Paceman hört, schlicht als Konkurrent für die Hot Hatches (Focus ST, Megane RS, Golf GTI, Astra OPC) durchgehen. Nicht so richtig kompakt ist dagegen der Preis des getesteten Countryman: Er schlägt mit 53'610 CHF zu Buche. Vom Basispreis ist er damit an die 15'000 Franken entfernt. Dann sind aber auch Goodies wie das hervorragende Navigationssystem "Business" mitsamt dem BMW iDrive nicht unähnlichem Bediensystem oder das adaptive Kurvenlicht an Bord. Ebenso dabei ist das empfehlenswerte Lautsprechersystem von harman/kardon. Gratis gäbe es übrigens eine fünfsitzige Variante des Innenraums. Für mich ist die Version mit vier Einzelsitzen, die auch hinten in Neigung und Tiefe verstellbar sind, die bequemere Variante. Allerdings nehmen es die Sessel im Schulterbereich nicht so genau, was den Seitenhalt angeht.
Gross? Zwischen den Konzernbrüdern namens X5 schaut so ein Countryman dann doch recht zierlich aus.
Trotz Start-/Stopp-Automatik und einigen anderen Öko-Tricks verbrauchte der Countryman im Test 8,5 Liter. Allerdings war die Temperatur meist sehr tief und der Anteil an kurvigen und steilen Bergstrassen hoch. Im Alltag sollten Verbräuche um 7,5 Liter realisierbar sein.
Abgesehen von seinem hohen Preis und einer gewöhnungsbedürftigen Kupplung bereitete der neueste Spross der Mini-Familie nur Freude. Typisch für das Mutterhaus besonders dem Fahrer. Das fröhliche Wesen des Allradlers machte den relativen Leistungsmangel gegenüber seinen sportlicheren Verwandten vergessen. Die zahlreichen Posten auf der Optionenliste werden potentielle Käufer nicht verschrecken. Im Gegenteil: Die Möglichkeiten zur Individualisierung werden von Fans ebenso geschätzt wie genutzt werden. Der variable Innenraum nimmt vier Erwachsene und deren Gepäck (350 L Kofferraum) problemlos auf, wenn es sich nicht gerade um komplette Skiausrüstungen handelt. Wer noch mehr laden möchte, wird auf den Van von Mini warten müssen, wie er aktuell in Internet-Gerüchten die Runde macht. Der wäre dann noch einmal voluminöser als der Countryman. Ich höre die klagenden Stimmen schon wieder… Aber ich vermute auch, dass die Stimmen jener, die 2001 den ersten Mini von BMW unbedingt haben mussten, lauter sein dürften. Gut möglich, dass der Countryman gerade zu rechten Zeit kommt, um Neo-Kleinfamilien vom drohenden (Marken-)Absprung zu bewahren.