Ein Fahrbericht über einen Traktor? Du wirst gähnen und möglichst rasch weiterklicken. Doch ich rate dir davon ab, denn du würdest es bereuen. Denn was dich hier erwartet ist mehr als ein Fahrbericht, es ist ein Lehrstück, das seinen Platz in der Schweizer Industriegeschichte erhalten wird.
Begonnen hat alles vor knapp 30 Jahren im idyllischen Meierskappel, mitten im Herzen der Schweiz. Statt in die weite Welt zu ziehen, gründete Sepp Knüsel 1976 auf dem elterlichen Bauernhof eine Landmaschinenwerkstatt. Schon ein Jahr später wurde der Betrieb zu eng und eine neue Werkstatt wurde in Küssnacht am Rigi bezogen. Und weil die Kunden zwar oft ihre Gerätschaft zu Sepp Knüsel in die Reparatur brachten, aber von Zeit zu Zeit auch neue kaufen wollten, drängten sie Sepp Knüsel dazu, diese ebenfalls durch ihn beziehen zu können. Die Werkstatt wurde durch den Verkauf von Landmaschinen ergänzt. So weit so gut. Und bis hierhin unterscheidet sich die Geschichte nicht wesentlich von zahlreichen anderen Schweizer Bauerssöhnen, denen es ebenfalls vergönnt war, den elterlichen Familienbetrieb zu übernehmen.
Kaufmännisches Handeln und mechanisches Geschick sind nicht die einzigen Fähigkeiten von Sepp Knüseln. Die wahre Passion des Bauernsohnes gilt dem Entwickeln von neuen landwirtschaftlichen Geräten. 1983 bringt er sein Lehrstück auf den Markt: den Front Bandrechen Knüsel Vario. 1986 folgt ein zweites Produkt, der Front Scheibenmäher Knüsel Blitz, von dem heute jährlich über 200 Stück abgesetzt werden. Und weil in Küssnacht am Rigi nicht alles seinen gemächlichen Gang ging, wurde in den Jahren dazwischen eine neue Landmaschinenwerkstätte bezogen. Kleine Innovationen sowie die stetige Ergänzung des Verkaufsprogramms bildeten den Schwerpunkt der 90er Jahre. So kam beispielsweise die Antonio Carraro (Traktoren) Vertretung für die Deutschschweiz, sowie der Import für SIP Produkte (Maschinen) aus Slowenien hinzu. Zusammen mit Antonio Carraro entwickelte Sepp Knüsel neue Traktorenmodelle. Der Grundstein für ein weiteres Kapitel war gelegt. Doch dazu später.
1994 wurde in Ibach (SZ) eine erste Filiale eröffnet. Vier Jahre später folgte eine weitere Produktinnovation: der Knüsel TELLSTAR. Ein Frontschwader, der gemäss Werbeunterlagen der erst ist, "der einwandfrei arbeitet". Und weil Expandieren doch so viel Freude macht, folgten zu Beginn des neuen Jahrtausends der Bezug einer neuen Werkstätte, mit einer eigenen Produktionsstrasse für die Landmaschinenproduktion, sowie der Zukauf eines weiteren Filialbetriebs im Wallis. Bis hierhin eine erfolgreiche Geschichte einer Schweizer Landmaschinen- und Traktorenwerkstätte, denkt man. Was nun folgt, sprengt den Rahmen. Der Einstig in die Königsklasse der Landwirtschaft: Die Entwicklung und Produktion des RIGI TRAC – sprich, einem eigenen Traktor.
Und nun stehe ich also vor ihm. Dem neusten Wunderwerk landwirtschaftlicher Präzisionstechnik. Ich kann es immer noch kaum glauben: "Ein Schweizer Traktor!?! Wer macht denn so was?" frage ich mich. Getrieben von Neugier, zurückgehalten durch die Ausserordentlichkeit dieses Ereignisses, traue ich mich Anfangs gar nicht die Fabrikationshallen von RIGI TRAC zu betreten. Doch irgendwie muss ich diese Hürde wohl überwunden haben, denn schon wenige Augenblicke später stehe ich neben dem Konstrukteur und seiner neusten Erfindung und sehe mich in ein mehrstündiges Gespräch über Technik, Innovationen und die Wirtschaftlichkeit des RIGI TRAC verwickelt.
Im Zentrum steht ein revolutionärer Fahrzeugrahmen mit einem zentral angeordneten Drehgelenk. Diese aus dem Bereich der Baumaschinen bewährte Konstruktionsweise ermöglicht eine Verschränkung von bis zu 22º, im Vergleich zu 12º bei herkömmlichen Traktoren. Das zentrale Drehgelenk ermöglicht eine Geräteführung über die jeweilige Achse und damit auch eine optimale Bodenanpassung der Frontgeräte. Die Serienmässige Vierradlenkung ist Teil des Konzeptes, einen wendigen Allzwecktraktor zu bauen. Sie ermöglicht ein ausgezeichnetes Manövrieren (Wendekreis: 3900mm) und wirkt sich bodenschonend aus. Die Kombination von Vierradlenkung und zentralem Drehgelenk ermöglicht zudem einen niedrigen Schwerpunkt bei gleichzeitig sehr hoher Geländegängigkeit und einem tiefen Eigengewicht (Leergewicht mit vollem Tank: 4100kg). Dies alles wirkt sich positiv auf den Betrieb und die Sicherheit und somit auf die Wirtschaftlichkeit des RIGI TRAC aus.
Angetrieben wird der Traktor durch einen Deutz Motor BF 4M 2012 (100Ps) oder BF 4M 2012 C (120Ps). Die Kraftübertragung erfolgt hydrostatisch über ein stufenloses Monoblock-Getriebe. Die optimale Abstimmung zwischen Tourenzahl an der Zapfwelle und Fahrgeschwindigkeit ist somit eine Selbstverständlichkeit (und keine Glückssache wie anno dazumal bei den alten Schweizer Traktoren). Die Elektronik ist eine Geschichte, an der bisher manche Neuentwicklungen renommierter Hersteller scheiterten. Der RIGI TRAC verfügt über eine fast komplette Eigenentwicklung und ist das Resultat einer Entwicklungszusammenarbeit mit einem Spezialisten aus der Formel 1. Im Zentrum stehen ein Multifunktions-Joystick (ausbaubar bis auf maximal 5 DW) mit integrierter Wendeschaltung sowie ein Touch Screen Display.
Zweieinhalb Stunden später und unzählige technische RIGI TRAC Details reicher ist es so weit: Herr Knüsel zieht den Zündschlüssel aus seiner Tasche. Geduldig wie ein kleines Kind vor dem Karrusel warte ich, bis ich an der Reihe bin. Das Erklimmen der gut 80 cm bis zur Kabine kommt mir wie die Erstbesteigung des Matterhorns vor. Obwohl ich noch nie auf dem Materhorn war, bin ich überzeugt: ja, genau so muss es sich anfühlen. Halbe Drehung rechts, der Trac läuft. Mit dem Starten des Motors beginnt das leise Surren der Hydraulik. Nebensächlich denke ich, und will soeben einen Gang einlegen. Doch halt, wo ist die Kupplung? Ich erinnere mich, gekuppelt und geschaltet wird hier nichts mehr. Stattdessen tippe ich rasch auf das Touch Screen, wähle Vierradlenkung und lege die Hand auf das Bedienungselement rechts neben mir, Fahrbetriebsschalter vorwärts und los gehts. Wäre da nicht noch das Steuerrad, ich könnte bis zum Ende der Fahrt Jassen. Dazu ist mir jetzt aber nicht. Vorsichtig tippe ich auf das Gaspedal, denn schliesslich will ich die 120 Pferde nicht verärgern. Auf den ersten Metern drehe ich das Steuerrad nach rechts und links, um ein Fahrgefühl für den Traktor zu erhalten. Ich nicke und gebe Gas. Als nächstes steht ein Wendekreis auf dem Programm. Perfekt. Und im Gelände? Auch hier, der RIGI TRAC verspricht nur das, was er auch sicher halten kann. Die Zeit drängt, und ich muss noch ein par Fotos schissen. Das Testprogramm muss somit vorzeitig abgebrochen werden. Zu gerne hätte ich den Traktor im vollen Einsatz erlebt. Mit einem Vierscharrenpflug an der Heckhydraulik oder doch ein Grupper? Egal, Hauptsache etwas, was den Traktor in die Knie zwingt. Eine Woche Ferien wäre mir dies schon wert – als Student hab ich davon ja genug.
Auf der Rückfahrt zur Werkstat schweifen meine Gedanken ab. Ich sehe es vor mir: Sommer, ein grosses Feld, leichte Hanglage. Ein RIGI TRAC und an der Front ein drei Meter Mähwerk – natürlich ein Knüsel Blitz – und ich hinter dem Steuerrad. Ein Stück heile Welt? Mag sein. Aber ein Traum ist das nicht. Ein immenses Wissen, viel Erfahrung, Fleiss, hohe Qualitätsansprüche, kaufmännischer Erfolg, kombiniert mit einer schier unbegrenzten Innovationskraft bilden das Fundament für den neuen Schweizer Traktor. Und die Schweizer Motorfahrzeugindustrie hat schon so manche Grösse wie Saurer, Hürlimann, Brozincevic, Bührer, ja sogar Sauber mit diesen oder sehr ähnlichen Fähigkeiten hervorgebracht. Es scheint so, als ob in Küssnacht am Rigi ein neues Kapitel der Schweizer Motorfahrzeuggeschichte hinzugefügt werden muss.
Noch nicht ganz in der Realität, dafür in der Werkstatt angekommen, stelle ich den RIGI TRAC wieder an seinen Platz. Ich drehe den Zündschlüssel eine halbe Drehung nach links. Fertig, das Wunderwerk der Technik steht still. Langsam steige ich die zwei Stufen hinunter, laufe in die Werkstatt und gebe den Schlüssel ab. Beim Verlassen werfe ich einen letzten Blick auf den Traktor: sieht irgendwie noch gut aus, dieser RIGI TRAC. Ich schliesse kurz meine Augen und drehe mich um. Bereits im Winter wird es ein Wiedersehen geben. Denn dann will Herr Knüsel für zündung.ch die Tore seines Oldtimer Museums öffnen.
Links:
RIGI TRAC
Sepp Knüsel Landmaschinen
Hürlimann auf zündung.ch
FBW Museum
2 DM Saurer Fahrbericht
FBW Museum
Traktorentreffen Weisslingen