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zuendung

4. September 2006

Der Porsche

Porsche | 0 Kommentare

Ich geb's gleich zu: Ich bin noch nie Porsche gefahren. Besonders gefallen haben mir die Zuffenhausener eigentlich auch nie. Und jetzt das: In einem etwas vom Normalsilber abweichenden Grauton steht das stärkste Ross aus Stuttgart vor mir. Wenn wir mal vom Renn-Tier GT2 und dem inzwischen schon nicht mehr gebauten Carrera GT absehen. Für Viele […]

Ich geb's gleich zu: Ich bin noch nie Porsche gefahren. Besonders gefallen haben mir die Zuffenhausener eigentlich auch nie. Und jetzt das: In einem etwas vom Normalsilber abweichenden Grauton steht das stärkste Ross aus Stuttgart vor mir. Wenn wir mal vom Renn-Tier GT2 und dem inzwischen schon nicht mehr gebauten Carrera GT absehen. Für Viele ist der Turbo eben auch der Porsche schlechthin. Gerade als die ersten Exemplare des neuen Turbo mit 480 PS auf unseren Strassen auftauchen, fahre ich mit dem 996er Turbo ins Engadin. Zur Leistung des Test-Turbos gilt es noch anzumerken, dass er nach einer kleinen Chiptuningkur statt serienmässigen 420 PS nun 470 PS an die vier angetriebenen Räder überträgt. Naja, ein Audi RS6 hat ja auch 480 Rösser, und der hat mich damals nicht extrem beeindruckt, vom phänomenalen V8-Geboller mal abgesehen. Es gilt aber vorauszuschicken, dass alles, was über das inexistente Porsche Turbo Turboloch geschrieben wurde, erstunken und erlogen ist. Unter 3000 Touren läuft herzlich wenig im Porscheheck. Danach geht der flachgedrückte Käfer wie die oft zitierte gesengte Sau.


Ruhepause: Im Grimselhospiz stärkt sich die Crew, das Tier bleibt draussen.

Dass der Vergleich mit dem RS6 hinkt, zeigt sich schon auf der Autobahneinfahrt. Kein Wunder, gegenüber dem Audi RS6 ist der Turbo mit 1600 kg auch etwa 250 kg leichter. 100, 120, 140… die Zahlen im Digitaltacho huschen nur so vorbei. Den analogen Tacho kann man eh vergessen und die ansonsten sturmfeste Beifahrerin beklagt sich über Beschleunigungskopfschmerzen. Als sich das Tempo bei führerscheinschonenden 135 km/h einpendelt, zeigt sich der Sportwagen von seiner angenehmen Seite. Die anfangs steinharten und scheinbar unbequemen Sitze bieten nicht nur ausgezeichneten Halt, sondern sind auch auf langen Strecken erstaunlich bequem. Auf dem Weg ins Engadin fehlt mir nur ein Tempomat, den hat dieses Exemplar nämlich nicht an Bord.


Klassiker: Jedes Kind kennt dieses Silhouette

Ansonsten ist ziemlich alles dabei, was der Porschefaher begehrt. Nur muss dieser zuerst herausfinden, welcher der vielen Knöpfe für welche Funktion zuständig ist. Der 911er Innenraum ist ergonomisches Niemandsland. Nur gerade die für's Fahren notwendigen Instrumente sind dort, wo man sie erwartet. Eigentlich seltsam, dass die katastrophale Bediensituation im Elfer nicht häufiger in Automagazinen kritisiert wird. Denn wenn man sekundenlang den Knopf für den hinteren Scheibenwischer suchen muss, kann das durchaus sehr unschöne Folgen haben. Wahrscheinlich ist die Ehrfurcht bei den Printkollegen einfach zu gross. Auch die nicht gerade exakte Schaltung, die gerade in den Gängen 2 und 3 nicht schnell genug schaltbar ist, findet selten Erwähnung in Tests und Fahrberichten. Man könnte ja die Ikone aus Zuffenhausen beleidigen. Oder aber sie finden die Fahreigenschaften derart überrargend, dass sie über die Schwächen im Innenraum hinwegsehen.


Hungrig: Die verlöcherte Front frisst Linksfahrer und Insekten

Am Fusse des Julierpasses angekommen, hat man dann auch keine Zeit mehr, sich solche Dinge durch den Kopf gehen zu lassen. Es zählen nur noch die drei Pedale, der Knüppel und das Lenkrad. Wenn ich den Sitz genügend hoch stelle, kann ich die charakteristischen Kotflügel als Kurvenvisier benutzen. Für einen Sportwagen ist der Turbo nämlich überraschend übersichtlich und auch die Breite der Fuhre hat man schnell im Griff. Die schier unendliche Kraft der 470 PS reicht praktisch auf jeder Gerade für ein Überholmanöver. Als es einmal doch nicht so richtig reicht, bin ich froh, die besten Bremsen der Welt an Bord zu haben. Wenn die schön kräftig getreteten werden, kriegt meine Beifahrerin auch noch Verzögerungskopfschmerzen. Je näher ich der Passhöhe (2284m) komme, desto enger werden die Kurvenradien. Das Turboloch nervt mich also immer mehr. In ganz engen 180°-Kurven fehlt zunächst die Leistung, gezielte Gasstösse werden entweder vom archaischen ESP totgeregelt oder enden in spontanen "fast-Drehern".


Schokoladenseite: Zweifelsohne zählt das Turboheck zum Knackigsten, was je auf vier Räder gestellt wurde

Nein, so richtig Spass macht das nicht. Der leichte Regen, der jeden Hecktrieblerfahrer die Freudentränen in die Augen treibt, lässt mich im Porsche kalt. Der Allradantrieb in Kombination mit dem Heckmotor lässt den 911er gerne über die Vorderräder wegrutschen, was nun wirklich total uncool ist. Anyway, trotz dem in engen Kurven nicht unproblematischen Verhalten bin ich mit dem Turbo enorm schnell in Silvaplana. Obwohl nahe an St.Moritz fällt man hier mit dem Flügeltier noch auf. Als ich mich dann in die mondäne Alpinmetropole begebe, ist der Porsche natürlich einer von vielen. Ausserdem droht man von den bei Reichen extrem angesagten Riesenofforader übersehen zu werden. Und noch flacher muss der 911 nun wirklich nicht werden. Da der Tank bald leer ist, macht ein Abstecher ins zollfreie Livigno natürlich Sinn. Dass dazwischen der Berninapass und der Fuorcla di Livigno liegen macht den Ausflug nicht weniger attraktiv.


Dauerläufer: Auch nach Sonnenuntergang rennt der Turbo wie die gesengte Sau

Mit einem nur knapp 70 Liter fassenden Tank bestückt, kommt man bei einem Durchschnittsverbrauch von 12,7 Liter nicht sonderlich weit. Auf der anderen Seite gilt es zu bermerken, dass der Verbrauch angesichts meines Fahrstils über die Alpen durchaus als sehr anständig bezeichnet werden kann. Überhaupt ist es die schon fast angeborene Alltagstauglichkeit des Elfers, die ihn so begehrenswert macht. Während sich Gallardo-Fahrer mindestens eine anständige Limousine gönnen, die meisten Aston-Driver noch einen Range in der Tiefgarage stehen haben und die Ferraristi mit dem Avant zum Shopping fahren, freut sich der Porsche-Lenker ob seinem Allrounder.

Vielleicht sind es aber gerade die an sich überragenden Allroundqualitäten, die mich mit dem Fahrzeug nicht so recht warm werden lassen. Klar, der Schub ist gigantisch. Das muss er bei 470PS, zwei Turbos und Allradantrieb auch sein. Die Sitze sind bequem und die Gänge passen für jede Situation. Und doch mag das Herz nicht weit über den Ruhepuls hinaus hüpfen, schlägt höchstens bei der nervigen Suche nach dem richtigen Schalter etwas schneller. Porsche Turbo fahren ist genau so schnell, wie man es sich vorstellt. Aber Porsche Turbo fahren ist eben auch, und das ist doch eine ziemliche Überraschung, enttäuschend unspektakulär.