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zuendung

15. Oktober 2005

Der Wanderprediger

BMW | 0 Kommentare

Der BMW 535d touring gilt gemeinhin als Vertreter der automobilen Mittelklasse. Präzisiere: Obere Mittelklasse – nicht zuletzt deshalb, weil der Testwagen mit knackigen 73.000 Euro schon flott in Richtung Oberklasse zielt. Doch da der Kombi nur 4,84 Meter lang ist, darf er noch nicht in die Köngsklasse aufsteigen. Zumal dort nach wie vor Limousinen state […]

Der BMW 535d touring gilt gemeinhin als Vertreter der automobilen Mittelklasse. Präzisiere: Obere Mittelklasse – nicht zuletzt deshalb, weil der Testwagen mit knackigen 73.000 Euro schon flott in Richtung Oberklasse zielt. Doch da der Kombi nur 4,84 Meter lang ist, darf er noch nicht in die Köngsklasse aufsteigen. Zumal dort nach wie vor Limousinen state of the art sind.

Aber sonst? Die Ausstattungsliste weist allerlei High-Tech-Features auf, die ebenfalls locker eine Klasse höher angesiedelt sind. Die elektronische Aktivlenkung, das Wankstabilisierungs-System Dynamic Drive, mitlenkende Bi-Xenon-Scheinwerfer sowie in allen möglichen und unmöglichen Richtungen verstellbare Komfortsitze – elektrische verstellbar, versteht sich. Nun soll es ja Zeitgenossen geben, die solchen Modernitäten nur bedingt aufgeschlossen sind, obwohl sie noch nicht einmal die dreißig überschritten haben. Handy mit Kamera? Schnickschnack. HTML, Java, Bluetooth? Kann man damit Kaffee kochen? Nein? Also weg damit. Und dann tritt dieser dank fantastilliarden Bits und Bytes irrsinnig teuere, in todlangweiligem Tarnkappen-Silber lackierte Familien-Bomber auf den Plan – mit dem Effekt, dass nach der ersten forschen Landstraßen-Partie die BMW-Presseabteilung Gefahr läuft, ihren Testwagen M-BK 4326 nie wieder zu sehen.

Zunächst ist man versucht, dem stiernackigen Dreiliter-Diesel mit Registeraufladung allein das Suchtpotenzial zuzuschreiben. Das wäre nur die halbe Wahrheit, wenngleich es tief beeindruckend ist, wie kultiviert der 272 PS starke Sechszylinder den 1,9 Tonnen-Brocken gen Horizont schiebt – so schnell sind nur wenige auf Tempo 250. Das serienmäßige Sechsstufen-Automatikgetriebe lässt zudem mit seiner Präzision und Spontaneität die perfekten Schaltgetriebe der Münchener im Unterbewusstsein verschwinden. Die ganze Wahrheit jedoch ist, dass all' dieser Elektronik-Kram, den die Ingenieure unbedingt in dieses Auto packen mussten, eine unglaublich hohe Fahrdynamik ermöglicht.

Das merkt der Pilot erst dann, wenn er konzentriert den Tacho im Blick hat. Mit knapp 130 durch die Rechtskurve am Betonmischwerk, die sonst, je nach Auto, maximal einer 2+ entspricht? Irre. Keine Seitenneigung, kein Untersteuern (obwohl nur 17-Zöller montiert waren), es flackert noch nicht einmal die DTC-Leuchte. Es ist geradezu eine Frechheit, wie messerscharf sich der Fünfer per Elektronik einlenken lässt – und wie viel Feedback der Fahrer bekommt. Doch der peilt schon wieder die nächste Kehre an, immerfort im schmeichelhaften Klammergriff der passgenau justierbaren Sitze. Übrigens: Die Bezeichnung "Komfortsitz" bezieht sich lediglich auf den mannigfaltigen Verstellbereich, wie aufblasbare Seitenwagen oder Einzel-Justierung der oberen Lehnenpartie – es gibt vermutlich keinen alltagstauglicheren Sportsitz als dieses 1.250 Euro teure BMW-Gestühl.

Ach, wo wir gerade schon so schön sitzen: I-Drive ist ja auch da. Dass Gemecker an diesem wirklich simpel zu bedienenden System lässt den Tester an den cerebralen Unversehrtheit seiner nölenden Kollegen zweifeln. Ja, ich bin bekehrt, ich will so ein Auto. Natürlich weil es so ungemein praktisch ist. Einigermaßen großer, jedoch sehr gut Nutzbarer Kofferraum, Platz für fünf und sparsam, relativ gesehen natürlich. Blödsinn. Ich will den Fünfer natürlich, weil er sich so tierisch schnell bewegen lässt, auf der Geraden und in Kurven, wie es kaum ein Kombi kann. Schon gar keiner, der sich bei flotter Fahrt auch mal mit zehn Litern Diesel zufrieden gibt. Nur in Langweiler-Silber will ich ihn nicht, erst recht nicht mit beigem Leder. Schwarz soll er sein, Leder in gelb. Obere Mittelklasse? Was für eine Untertreibung.