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zuendung

15. November 2009

Die blaue Zitrone – eine Liebeserklärung

Citroën | 0 Kommentare

Darf ich die PS- und Elektronik-verwöhnten Internautinnen und Internauten einladen zu einer Reise zurück in die gute alte Zeit, wo noch Ingenieure Autos bauten, und nicht Marketing- und Designfritzen allein bestimmten, was sich gut verkauft? Wo kurz nach dem Krieg noch weniger mehr war und man noch an der Substanz baute und nicht nur am […]

Darf ich die PS- und Elektronik-verwöhnten Internautinnen und Internauten einladen zu einer Reise zurück in die gute alte Zeit, wo noch Ingenieure Autos bauten, und nicht Marketing- und Designfritzen allein bestimmten, was sich gut verkauft? Wo kurz nach dem Krieg noch weniger mehr war und man noch an der Substanz baute und nicht nur am Design der Scheinwerfer und Heckleuchten?

Vor und nach dem 2. Weltkrieg sassen die genialsten Ingenieure dicht beisammen in Paris, in der Firma Citroen und brachten nacheinander einige der markantesten Wagen vom Fliessband, die die Autogeschichte kennt:

• Nach der „Traction “, wie sie hier in Frankreich liebevoll genannt wird (der Gangsterlimousine der Resistance) , folgte vom selben Team
• der 2CV und seine Derivate, welche die Grundmotorisierung Frankreichs sicherstellten,
• der HY-Kastenwagen, der aussah, als hätte ihn Junkers nach der Ju52 entwickelt und der mehr Nutzlast hatte, als er selber wog
• und 1955 die DS, die unerreichte Göttin der linken Fahrspur!

Allesamt Meisterstücke der Ingenieurskunst, die man nicht weiter vorzustellen braucht.

Was aber hat mich bewogen, nochmals eine „Ente“ anzuschaffen, nach dem das mein erstes Auto 1968 war, das ich schon damals von einem Gärtner, halbvoll Torfmull, als Ruine geschenkt bekam und wieder aufbaute?

In erster Linie sind das der geniale und einfache Aufbau, der es einem ermöglicht, alles, aber auch alles immer wieder selber zu richten und zu flicken, bis zum Sankt Nimmerleinstag und ohne grossen Ärger. Als notorischer Selbermacher und Segler kenne ich das Prinzip: es kommt nichts an Bord, was Du nicht selber warten und reparieren kannst. Es tut gut, dieses Prinzip auch auf das Auto anzuwenden.

Das Ding hat aber auch eine Ausstrahlung, die immer wieder Fahrfreude aufkommen lässt. Dieser Aspekt ist mir wichtig – und nach 12 Jahren VW-Golf-Kombi (gähn) – noch wichtiger geworden. Ich liebe es, noch einen Handchoke zu bedienen, meine Fenster zu kurbeln, den Blinker selber zurück zu stellen, den Motor zu hören, den unsynchronisierten ersten Gang ohne Kratzen einzulegen. Ich finde es befreiend KEIN Display zu haben, das mir sagt, ich soll die Gurten anziehen, beim Rückwärtsfahren vorsichtig sein, und übrigens bei 3 Grad auf Glatteis aufpassen. Herrgott, ich bin doch erwachsen!

Ebenso befreiend das Armaturenbrett. Im Unterschied zum C5, der auch in unserer Flotte steht, habe ich mindestens drei Dutzend Knöpfe und ein Dutzend Anzeigen weniger. Geht doch! Habe viel mehr Zeit, mir die Landschaft anzugucken – was zugegebenermassen auch mit der maximal erreichbaren Geschwindigkeit zusammenhängt, doch davon später.

Das stärkste Stück an diesem Auto ist sicher seine Federung und sein Sitzkomfort.
(Da hatte ich doch letzthin einen brandneuen Corsa als Mietwagen: es ist kaum zu glauben, was man seit den 70-er Jahren alles verlernt hat im Automobilbau. Sitze bretthart, Federung schlicht vergessen, glaube schon, dass Opel nicht gut verkauft).
Ist denn das ein Argument, die Federung? Hier schon, in der Französischen Pampa. Hier gibt es sie noch tonnenweise, die „route déformée“ und statt zu warten, bis ganz Frankreich anständig asphaltiert sei, hat man bei Citroën schon immer Autos gebaut, die die Schlaglöcher lieben…dieses Auto brettert über alles hinweg und bügelt alles flach. Unglaublich, unüberhörbar zwar auch, aber sehr gekonnt. Vergessen sind 12 Jahre Golf – sorry, ich wiederhole mich.


Ein Sitz meiner Acadiane wiegt nur wenige Kilos, ist aber an Komfort nicht zu überbieten. Man muss es erlebt haben – und will gar nicht mehr aussteigen. So muss das sein. Nebenbei: in Flugzeugen und Raumkapseln werden die Sitze noch immer so gebaut.

Kommen wir zum Motor. Er hat zwei Zylinder, 600ccm und 30 PS. Nicht berauschend. Er ist auch nicht weiter entwickelt worden, hin zu wenig Abgas und geringem Verbrauch, jammerschade. Bei Suzuki gäbe es neu einen Zweizylinder Boxer Diesel, der dieses Autochen wohl mit 4 Litern pro 100km umweltschonend und munter vorwärts brächte. Aber eben, hätte, würde….So wie es nun mal ist, kann man 90 km/h erreichen und halten, die Autobahn habe ich noch gar nicht probiert.
Aber im dritten Gang und 50 durch kleine französische Dörfer zu schnurren ist ein absoluter Genuss der besonderen Art: herb, wie der Wein , der hier angebaut wird, einfach, wie ein Messer von Opinel, gut, wie die Baguette auf dem Beifahrersitz. Die älteren Leute drehen sich um und bekommen ein Lächeln auf dem Gesicht: endlich wieder mal ein Fahrzeug, das sie am Geräusch erkennen – und das sie zurück führt, in ihre eigenen Erinnerungen, zu Ausfahrten mit dem Vater ans Meer, mit dem Schatz ins Grüne, mit dem Zelt nach Spanien…Gerne mache ich ihnen und mir diese Freude.

Einige Besonderheiten hat dieses Triebwerk allerdings schon: es ist ein Boxer und läuft seidenweich; BMW-Motorradfahrer wissen, wovon ich spreche. Dazu ist er luftgekühlt, das ist auf der einen Seite einfach, leicht und robust, auf der anderen Seite aber auch laut und schlecht für den Motor, der bei kaltem Wetter kaum je Betriebstemperatur erreicht. Man kann eben nicht alles haben. Auch nicht mehr als warme Füsse im Winter. Für die Frontscheibe reicht es gerade noch, der Rest verliert sich „in der Weite des Raumes“.

Beim Acadiane besonders ausgeprägt: dieser Raum. Davon gibt es üppig, so üppig, dass es einige Jahre serienmässig ein Wohnmobil auf dieser Basis gab. Das war dann allerdings wohl doch etwas eng ). Das gesamte französische Kleingewerbe hat aber davon 20 Jahre lang profitiert und die Konkurrenz hat wacker kopiert, ohne allerdings den Anschluss ganz zu finden.

Und warum eine Acadiane und kein „richtiger“ 2CV?

Ich finde, die Acadiane sieht hinreissend gut aus, mit ihren Sicken und Kanten und unter Weglassung des sündwüsten Hecks der Diane. Es braucht etwas Mut, das zu schreiben, aber dieses Ding sieht mit 25 Jahren noch absolut frisch aus, steht senkrecht über seinen Rädchen und fordert Dich auch mit seiner frechen Farbe heraus: getraust Du Dich, mich zu fahren? Ja, ich getraue…

Darüber hinaus bin ich Individualist, und einen 2CV hat hier „jeder“. Der gehört so selbstverständlich zur Newtimer-Szene, wie eine Traction, ein Peugeot 403 oder ein Renault Heck. Davon sind die Treffen überschwemmt.

Es kommt noch dazu, dass die Plattform der Acadiane die am weitesten entwickelte ist, mit dem „stärksten“ Motor, innen liegenden Scheibenbremsen, stärkerer Federung (wegen der Zuladung) und verlängertem Radstand. So wird sie auch im 2CV-Cross ausschliesslich verwendet und ist damit am besten geeignet für die „grosse Fahrt“ auf unwegsamen Strecken – man kann ja nie wissen, was einem noch so einfällt.

Marokko? Russland? Norwegen? Man soll sich nichts verbauen…

Und was kostet so ein Traumwagen? Vorgeführt exakt so viel wie mein letzter Service bei Volkswagen France für meinen Golf III: 800 €.

Noch Fragen?

Nein, sonst bin ich ganz normal )

Für zündung.ch: Markus Bühler