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zuendung

21. April 2009

Die Vorderräder im Focus

Ford | 0 Kommentare

300 PS? Daumen hoch, breites Grinsen im Gesicht. Frontantrieb? Daumen nach unten, die Mundwinkel ebenso. Die Vorurteile gegenüber frontgetriebenen Fahrzeugen mit hoher Leistung teile ich wohl mit den meisten meiner Kollegen. Und doch gibt es immer wieder Hersteller, die sich anschicken, diese Vorurteile zu widerlegen. Aktuell wagt Ford einen solchen Widerlegungsversuch. Das Instrument dazu nennt […]

300 PS? Daumen hoch, breites Grinsen im Gesicht. Frontantrieb? Daumen nach unten, die Mundwinkel ebenso. Die Vorurteile gegenüber frontgetriebenen Fahrzeugen mit hoher Leistung teile ich wohl mit den meisten meiner Kollegen. Und doch gibt es immer wieder Hersteller, die sich anschicken, diese Vorurteile zu widerlegen. Aktuell wagt Ford einen solchen Widerlegungsversuch. Das Instrument dazu nennt sich Ford Focus RS. Es hat nicht nur 305 PS an der Vorderachse, sondern auch eine revolutionäre Konstruktion derselben, die sich sinnigerweise "Revo"-Vorderachse nennt. Über einen geringeren Abstand zwischen Radmittelpunkt und Lenkachse soll so der Störkrafthebelarm um über 50% vermindert werden. Solches Ingenieursdeutsch klingt immer toll, was es wirklich wert ist, muss man erst im wahrsten Sinne des Wortes "erfahren".


Dynamiker: Der RS geht wie alle Focus Kurve gut und gerne durch Kurven.

Für eben diese Erfahrung lud Ford Schweiz ein paar Journalisten nach Saalfelden ein. Eine Autostunde von Salzburg findet sich ein Fahrsicherheitszentrum mit zahlreichen Möglichkeiten. Bevor wir von diesen Gebrauch machen, streifen wir zunächst um die RS-Bande herum. Schliesslich kennt man den jüngsten Spross von Fords Motorsportfamilie erst seit dem Genfer Salon. Besonders in der giftig glänzenden Farbe Ultimate Green sieht der Dreitürer ungemein aggressiv aus. Keine Spur von Zurückhaltung und auch familientauglich will der RS nicht unbedingt sein: Ein Fünftürer ist nicht geplant und es gibt auch nur vier Sitzplätze. Dafür kriegt man fette 19-Zöller ebenso serienmässig wie Bi-Xenon vorne und LED hinten. Der grosse schwarze Dachspoiler verpasst dem Fahrzeug sogar einen Hauch von WRC-Look. Wie uns Chief Program Engineer John Wheeler mitteilt, wurden praktisch sämtliche Karosserieteile spezifisch auf den dynamischen Auftritt des RS hin gestaltet.


Nobody's perfect: Der Innenraum verströmt trotz Recaros und Alupedalen wenig Sportflair.

Die Optik aussen hält schon einmal, was man sich von einem Modell mit RS-Schriftzug verspricht. Der Innenraum kann mich dagegen weniger faszinieren. Klar, man sitzt in bequemen Recaros mit viel Seitenhalt, ein Startknopf und ein paar Pseudo-Karbon-Blenden sind auch da. Trotzdem erinnert mich einfach zu vieles an einen simplen grauen Einheits-Focus, wie er im Alltag nebst den Horden von Golf, Astra und Co. zu sehen ist. Immerhin sehe ich die leuchtend grüne von Luftauslässen durchlöcherte Haube vor mir. Darunter wartet der quer verbaute Volvo-Fünfender schon lange darauf, endlich seine Muskeln spielen zu lassen. Ich habe auf dem Beifahrersitz platz genommen. Zunächst wird Heiny Volkart den Focus bewegen. Nach kurzem Tasten nach einem Zündschlüssel, fällt die Hand auf den Startbutton. Nun geht es hinter einem weissen "Pacecar"-Focus auf den Handlingkurs.


WRC-Look: Der Spoiler und der Diffusor erinnern ebenso an Fords Rally-Engagement wie die armdicken Auspuffrohre.

Von aussen sieht das sicher toll aus, wie die fünf RS wie an einer Perlenschnur aufgereit die Berg-und-Tal-Bahn absolvieren. Innen macht es allerdings erst dann richtig Spass, wenn die Abstände grösser und die Tempi höher werden. Als Beifahrer lerne ich die Strecke kennen und kann zudem die Fahrwerksabstimmung auf Beifahrertauglichkeit testen. Tatsächlich ist die Abstimmung nicht überhart und die Sitze bieten guten Seitenhalt ohne einzuengen. Nun will ich aber selbst ins Steuer greifen. Die Kurven nehme ich zunächst vorsichtig, nutze erst auf der auch nicht gerade langen Geraden den vollen Turboschub. Ja, der geht tatsächlich ganz ordentlich vorwärts. Mit dem Mut wächst auch die Fahrfreude. Ich kann es kaum glauben, aber die Ford-Ingenieure scheinen Recht zu behalten: In Kurven ist sehr wenig Untersteuertendenz zu spüren, ein Reissen am Lenkrad gibt es praktisch gar nicht. Heiny hat den Wagen unter dem Vorwand fotorgrafieren zu wollen verlassen. Also wage ich noch etwas mehr, lupfe auch mal das Gaspedal in der Kurve. Wie das der Sportfahrer wünscht, grüsst der RS mit einem flotten Heckschwenk. Einen grösseren Schwenk gilt es bei der Fahrt über die Schleuderplatte einzufangen. Hier zeigt sich, dass der Fronttriebler überaus gutmütig abgestimmt wurde. Ob mit oder ohne den Rettungsanker ESP: Ich kann den grünen Powerriegel locker einfangen.


Giftig: Das Ultimate Green passt perfekt zum 305-PS-Boliden.

Am nächsten Morgen wünsche ich mir möglichst viele Tunnel, doch leider kann das die gewählte Route nicht bieten. Dabei wäre es so schön, dem Fünfzylinder-Fauchen im Duett mit dem Borg-Warner-Turbo etwas zuzuhören. Der dumpfe Knall beim Gaswegnehmen und Schalten vermittelt sogar einen Hauch Renn-Feeling. Herrlich. Weniger herrlich ist das nun doch spürbare Zerren in der Lenkung, als ich einen LKW bei Landstrassentempo überhole. Tja, Zaubern können auch die Jungs bei Ford nicht. Die 440 Newtonmeter an der Vorderachse werden dafür auch nicht einfach elektronisch weggeregelt, was ich durchaus sympathisch finde. Und auch so ist der RS locker der beste schnell Fronttriebler, den ich je bewegen durfte. Seine Fahraktivität beweist er später auch bei der rasanten Passage über den Grosskönig. Es bleibt anzufügen, dass ich den Verbrauch auf der Landstrasse auf unter 9 Liter gebracht hatte, bevor der kurvige Teil der Route begann.


Seltener Anblick: Den Fronttriebler kriegt man nur mittels Schleuderplatte so quer.

Es ist kein Zufall, dass mehr als ein Siebentel der geplanten Produktion (8000 Stück) des Ford Focus RS für den Verkauf in der Schweiz vorgesehen ist. Mit seinen 305-Turbo-PS gefällt er dem leistungshungrigen Publikum. Um das grüne Gewissen ist nicht nur die Farbe besorgt, lässt sich der Kompaktsportler doch mit um 9,5 Liter bewegen. Dazu kommt, dass Ford ein umfangreiches Paket an Serienausstattung geschnürt hat. Für 51'900 Franken kriegt man ein Audiosystem, die Zweizonen-Klimaautomatik und die 19-Zöller. Wie man das Schweizer Publikum kennt, werden aber auch die beiden Pakete "Comfort" (2100 CHF – Teilleder, Keyless-Go, etc.) und "Technology" (2900 CHF – DVD-Navi, Bluetooth, etc.) reges Interesse erwecken.

Zusammenfassend muss ich nochmals betonen, dass Ford mit dem Focus RS tatsächlich den aktuell besten Fronttriebler im Angebot hat. Ob er auch die Subaru- und Mitsubishi-Fans begeistern kann, wird sich zeigen. Schliesslich bietet ihr Allradantrieb gute Argumente, die auch der RS nicht ignorieren kann. Sicher müssen sich aber Golf GTI-Interessenten mit dem entsprechenden Leistungshunger ihre Entscheidung nochmals gut überlegen. Ich bin ziemlich überzeugt, dass am Ende die Mundwinkel bei Ford aber auch bei den Kunden nach oben zeigen.