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amadefries

31. Oktober 2022

Ein Auto für das Jetzt

Renault | 0 Kommentare

Wir schreiben den Spätherbst im Jahre 2022. Gerade ist in der Schweiz der wärmste Oktober seit Messbeginn zuendegegangen. Niemand, der auch nur einen Funken Vernunft in sich trägt, würde die Existenz des Klimawandels noch bestreiten. Auch die Tatsache, dass er auf das Handeln der Menschheit zurückzuführen ist, steht längst ausser Zweifel. Trotzdem kleben sich Aktivist:innen […]

Wir schreiben den Spätherbst im Jahre 2022. Gerade ist in der Schweiz der wärmste Oktober seit Messbeginn zuendegegangen. Niemand, der auch nur einen Funken Vernunft in sich trägt, würde die Existenz des Klimawandels noch bestreiten. Auch die Tatsache, dass er auf das Handeln der Menschheit zurückzuführen ist, steht längst ausser Zweifel. Trotzdem kleben sich Aktivist:innen auf Strassen zur Blockade des Verkehrs. Trotzdem bewerfen sie auch Kunstwerke in grossen Museen mit Lebensmitteln. Die so generierte Aufmerksamkeit wollen sie nutzen, um die eben bereits bekannten Tatsachen in den Fokus der breiten Öffentlichkeit zu rücken. Ob das sinnvoll ist und auch nur ansatzweise gelingt, das soll nicht Inhalt dieses Textes sein. Vielmehr geht es um ein Fahrzeug, das vielleicht aufzeigen kann, dass man auch seitens der Autoindustrie längst verstanden hat.

Kompakt: Der elektrische ist deutlich kürzer als der weiter angebotene Verbrenner-Megane.

Beginnen wir mit der Optik: Wie ein von der Strömung eines Bergbachs geschliffener grosser Kieselstein kommt er daher. Aggressive Augen oder ein weit aufgerissenes Maul findet man hier nicht, es ist ein harmonischer Eindruck, den der Renault Megane E-Tech gleich im ersten Moment vermittelt. Er ist zwar ein bisschen höher als normale Kompaktmodelle, verzichtet aber auf die Klobigkeit der SUV-Gilde. Die mattgoldenen Akzente kann man mögen, muss man aber nicht. Auf jeden Fall bricht das Design mit dem weiter angebotenen Verbrenner-Megane. Die riesigen Renault-Rhomben sind aerodynamisch günstig nur lackiert. Die heute unvermeidbaren bündig eingelassenen Türgriffe findet man an den vordern Türen, während sie hinten oben an der C-Säule versteckt sind. Am Heck hat man leider auf einen richtigen Griff verzichtet, die Klappe öffnet auf Knopfdruck einen Spalt, anheben muss man sie selber.

Grosse Räder: Der Abrollkomfort ist trotz 20″ mehr als anständig.

Und los geht’s: Den Schlüssel in der Hosentasche empfängt mich der der Megane mit einer regelrechten Show. Die LED-Leuchten vorne funkeln mir verspielt entgegen, die vorderen Türgriffe springen heraus, das Renault-Logo wird auf den Boden projiziert. Ich entere das Interieur, eine Willkommensmelodie ertönt und die Screens setzen den Schlusspunkt in dieser Begrüssungszeremonie. Gestartet wird per Knopfdruck. Danach gilt es den richtigen Hebel für die Getriebebedienung zu finden. Auf der rechten Lenkradseite befinden sich neben jenem Getriebehebel der Radiobediensatellit, der Wischerhebel, ein Lenkradpaddel und der Knopf zur Wahl des Fahrmodus. Wer sich mal dran gewöhnt hat, wählt mit einer eleganten Handbewegung D wie Drive.

Also, let’s drive. Da ich gerne one-pedal-mässig unterwegs bin, ziehe ich zwei Mal am linken Paddel, um die Rekuperation auf die höchste Stufe zu stellen. Vorsicht: Kurz vor dem Stillstand rollt der Megane dann doch noch weiter, ohne Bremspedal kommt er nicht zum Stehen. Die Beschleunigung ist sanft, ein Cupra Born mit gleich viel Leistung wirkt aus dem Stand zackiger. Einmal in Fahrt, werden die 220 PS dann doch spürbar und der Elektro-Megane spurtet, wie man es bei dieser Power erwarten kann. Die Werksangabe für den Spurt von 0 auf 100 von 7,4 Sekunden klingt glaubhaft. Kaum kommen die ersten Kurven, wird klar, dass Renault hier keinen Sportler bauen wollte. Der Fronttriebler untersteuert früh, bleibt gut beherrschbar und lädt so eher zum dynamischen Gleiten denn zur ultimativen Kurvenhatz ein. Passt im Alltag wunderbar.

Highlight: Der Renault Megane 100% electric fällt auf jedem Parkplatz auf.

Jener Alltag darf einen auch gerne mal in Innenstädte führen. Denn der Megane E-Tech 100% Electric ist nicht nur 15 Zentimeter kürzer als sein Verbrennerbruder, er verfügt mit 10,4 Meter auch über einen kleinen Wendekreis. Weniger sein Ding ist die Übersichtlichkeit. Kein Wunder bei einer Fensterlinie, die einem Ranger Rover Evoque nicht unähnlich ist. Für die Sicht nach hinten haben die Franzosen eine Lösung gefunden, anstelle des Schiessschartenblicks durch den physischen Rückspiegel lässt sich das Bild einer rückwärtigen Kamera einblenden. Kommt man bei tieferen Tempi beispielsweise einem Poller zu nahe, wird sofort die 360°-Vogelperspektive im Screen eingeblendet.

Meganeception: Aktuell trifft man noch sehr wenige elektrische Megane an.

In Sachen Multimedia haben Luca de Meos Ingenieure einiges draufgepackt. Der grosse Bildschirm reagiert schnell, die Menüs sind verständlich, die Touchflächen gross genug. Apple Carplay und Android Auto funktionieren kabellos, diverse Kommandos können auch direkt über den Google Assistant per Sprachbefehl aufgerufen werden. Zudem ist der Sound dank Harman Kardon Anlage inklusive Subwoofer sehr gut.

Schnelllader: Dank CCS-Anschluss wird die Reichweite schnell wieder aufgestockt.

In vielen aktuellen Autos habe ich das Problem, dass mein Kram nicht sinnvoll untergebracht werden kann. Hier sieht es anders aus, weil Renault den Platzvorteil des Elektroantriebs geschickt nutzt, um schlaue Ablagen anbieten zu können. So findet das Smartphone direkt unter dem Screen seinen Platz auf einer Gummimatte, auf der es zudem noch induktiv geladen wird. Wo sonst der Schaltknüppel sitzt, gibt es einen festen Cupholder sowie eine ebenfalls als Becherhlater variabel nutzbare längliche Ablage. Unter der Mittelarmlehne findet sich dann noch ein tiefes Fach.

Gelungen: Endlich kann Renault auch im Innenraum mit der Konkurrenz mithalten. Mindestens.

Während der Fahrt spielt das dann eine untergeordnete Rolle. Da geniesse ich vor allem den Komfort dieses Packages. Der setzt sich zusammen aus einer gelungenen Fahrwerksabstimmung, einer guten Geräuschdämmung und den bequemen Sitzen. Letztere bieten zwar weniger Seitenhalt als man vermuten würde, überzeugen dafür mit ihrer Massagefunktion auf längeren Fahrten. „Längere Fahrten“ triggert die Elektrozweifler: Wie weit kommt der elektrische Renault Megane denn überhaupt? Der Akku hat eine Kapazität von 60 kWh, im Test verbraucht der Neuling ziemlich genau 20 kWh auf 100 Kilometer. Da der Anteil Autobahnstrecken ziemlich hoch war, dürfte er je nach Streckenprofil gegen 350 Kilometer Reichweite schaffen. Trotzdem könnte er sparsamer sein, zumal er mit 1770 kg eher zu den leichteren Elektroautos gehört.

Die letzten 10% dauern ewig, dafür ist die Grafik schön gemacht.

Leicht ist auch die Bedienung, weil Renault nicht den Weg der kompletten Abschaffung der Knöpfe gehen will. Die Temperatur wird ebenso per Tastendruck reguliert wie die restlichen Klimaeinstellungen. Das Lautstärkedrehrad gibt es zwar nicht mehr, doch kann man am altbekannten Lenkradsatelliten bequem per Fingerdruck leiser stellen. Die Lenkradtasten für die Tempomateinstellung verzichtet glücklicherweise ebenso auf Touchflächen.

Schönheit früher und heute: Mit dem Hudson Hornet kann der Megan nicht ganz mithalten.

Der Testwagen kam mit kompletter Ausstattung auf einen Preis von 49’350 Franken. Nicht billig, aber für das Gebotene durchaus fair. Verglichen mit anderen Renault-Modellen fällt hier auch die Materialauswahl positiv auf. Neben den schwarzen Ledersitzen ist auch das (Fake-)Holzdekor schön gemacht. Negativ hervorzuheben waren diverse Fehlermeldungen (Parksensoren, Spurassistent, komplettes elektrisches System), die aber nur sporadisch auftauchten und nach einem Neustart jedes Mal verschwanden. Der Renault Megane E-Tech 100% Electric Iconic 220 PS optimum charge, wie er tatsächlich mit vollem Namen heisst, hat mich im Test überzeugt. Er setzt die Schwerpunkte dort, wo sie uns wohl auch in Zukunft besonders wertvoll erscheinen dürften: Beim Komfort, bei der Sicherheit und bei der Alltagstauglichkeit.

Oder anders gesagt: Wenn Du in einem solchen Auto im Stau stehst, stört dieser Dich vielleicht etwas weniger, weil es Dir einfach eine gute Zeit ermöglicht. Ganz unabhängig davon, wer oder was den Stau überhaupt verursacht hat.