zuendung

22. September 2005

Einmal Yuppie, immer Yuppie?

Ferrari | 0 Kommentare

"Testarossa" hiess einst zu gut Deutsch: "Scher Dich von der Strasse, ich bin fuchsteufelswild und beiss Dich gleich in den Hintern, Du ()/&%ç%&/(!", Ferrari räumte damals mit den "roten Köpfen" die Rennstrecken der Welt auf. Seit dem Debut des letzten Testarossa in Paris im Jahre 1984 steckt die Bezeichnung aber den Kopf in den Yuppiesand, […]

"Testarossa" hiess einst zu gut Deutsch: "Scher Dich von der Strasse, ich bin fuchsteufelswild und beiss Dich gleich in den Hintern, Du ()/&%ç%&/(!", Ferrari räumte damals mit den "roten Köpfen" die Rennstrecken der Welt auf. Seit dem Debut des letzten Testarossa in Paris im Jahre 1984 steckt die Bezeichnung aber den Kopf in den Yuppiesand, anstatt die Rennkrone aufzusetzen. Wo auch immer die Testas flanieren, hüstelt es schick in fast akzentfreiem Zürideutsch: "Halloooo! Herr Superschick-Sowieso, khömed Sie au ufes Häppli und en Prosekko, höhö?!"


Ruhe vor dem Sturm.

Yuppies betten die neuen Ballyschuhe heute aber doch lieber in den Teppich eines F430 Spiders mit Playstation-Paddelschaltung als auf das schwergängige Kupplungspedal eines alten Ferrari Testarossa. Hilfe, habe ich alt geschrieben? Alt und Yuppie verträgt sich nicht, kein Yuppie würde nie etwas sein Eigen nennen, was nicht neu ist. Das kann dem Testa-Image aber nur gut tun. Wurden wir doch damals in den guten 80ern alle in den Testa-Wahn getrieben. Testa und Rolex, Testa und Hilton, Testa und Monte Carlo. Und ja, ich gebe es zu, auch ich war besessen. Sowohl auf dem Kopfkissen als auch auf der Decke glänzte der damals eine Viertelmillion teure Supersportler. Mit sechs oder sieben Jahren war es gar aufregender, das Bett mit einem Ferrari als mit einer Frau zu teilen (und man konnte sogar dazu stehen, dass man es wirklich so meinte). (Und nein, heute habe ich andere Bettwäsche. Es soll aber Menschen geben, die immer noch ein Leben mit Ferrari Testarossa-Bettwäsche führen. Für Fans: Der Name ist der Redaktion bekannt.)


Selbstverliebter Oberyuppie? Ferrarifahren ja, aber leider nicht ohne Gespott von Aussen.

Wo wir gerade bei den Geständnissen sind, ja, ich habe mich wie ein kleines Kind auf die Ferrrarifahrt gefreut. Obwohl das 1980er Pininfarina-Design schon lange nicht mehr Meins ist, Kinderträume lassen einen nie los. Einmal Ferrari fahren gehört einfach ins Leben eines Mannes. Genauso wie eine Nacht mit Robby Williams ins Leben einer Frau gehört (sorry liebe Frauen, so ist das halt wenn man sich so unerreichbare Träume aussucht, man wird nie glücklich!). Aber nun zum Ferrari und seinen zwölf prallen Töpfen. Bitte Platz nehmen! Herr Chef, alias Urs Stalder von www.alfa-oldtimer.ch ist wieder mal so freundlich und nimmt auf der rechten Seite Platz. Er hat den Ferrari vor zwei Jahren günstig kaufen können und hat ihn nun einem Grossindustriellen aus Griechenland weiterverhökert. Doch bevor Mr. Griechenland, der übrigens bereits 150 Autos besitzt, den Wagen abholt, sonnen wir uns im Ferrarigewand und segnen das volle Dutzend mit freien Ansaugröhren.


Filigranes Seitenpolster: Lüftungsschlitze verleihen der Tür ein wuchtiges Aussehen.

Grosszügig wie Ferrarifahrer sind, gönnen wir jedem Tropfen der 15,5 Liter Motorenöl mindestens 60 Grad. Doch halt, bevor sich da überhaupt was tut, heisst es die Türklinke zu finden. Die Sitze inklusive der Sitzposition heissen einen willkommen, zwar nicht wunderzart, aber bequem und doch sportlich. Da! Die offene Schaltkulisse, die gehört zu jedem Ferrari, schön. Dann, der Schlüsseldreh: Susususususu. Hätt ich den Schlüssel mit verbundenen Augen gedreht, ich hätte glatt gedacht damit den Schleudergang einer Waschmaschine, die hinter den Sitzen installiert ist, fernzusteuern. Nach dem Schleudergang trocknet die Wäsche umgehend, das Feuer ist an. Im Standgas scheinen die zwölf Töpfchen mit jedem Arbeitstakt "ja, ich will, küss mich" zu flüstern. Ich will auch, doch da klemmt noch was: Der erste Gang wird hundebeinmässig unten links eingelegt. Ein Ferrarigetriebe schaltet sich aber schlicht nicht, wenn es kalt ist. Klack! Drin isser. Die Kupplung geht zwar schwer, lässt sich aber schön dosieren, sodass sich Yuppies das "Motorabwürgen-vor-Publikum" ersparen können.


Flaches Heck: Darauf liesse sich ein stattliches Frühstücksbuffet aufbauen.

Klack! Der zweite Gang flutscht schräg nach vorne, trotz Doppelkuppeln ist noch immer Gewalt gefragt. Schnell ist klar, die willigen Töpfchen meinen es ernst, das Flüstern wird zum Stimmbruch. Klack! Bald rastet der fünfte Gang ein. Bei 120 km/h stehen nur 2'500 Touren an. Warm fahren heisst die Devise, und das dauert. Es bleibt genug Zeit, um den Ferrari kennen zu lernen. Er lenkt sich präzise und fährt sich angenehm handlich, die Bedienung verlangt jedoch Muskeln. Einen Lenkservo gibt es nicht. Trotz Achziger-Schick widersetzten sich die Ferraristi einem Digitaltacho. Zum Glück, die Rundinstrumente lassen sich gut ablesen. Mittig informiert ein Manometer über den Öldruck des 4,9 Liter grossen Flachmotors. Flachmotor? Die Zylinderbänke sind zwar wie bei einem Boxermotor im 180 Grad-Winkel zueinander angeordnet. Jedoch greifen die Pleuel nicht wie beim Boxer auf eine separate Kurbelwellenkröpfung. Im Prinzip ist der Flachmotor ein V-Motor mit flachem Winkel, je zwei gegenüberliegende Pleuel teilen sich eine Kurbelwellenkröpfung.


Zwölf liegende Töpfchen: Das Mass der Dinge.

Schon genug Technik? Ach ja, vier Nockenwellen treiben je vier Ventile pro Zylinder an. Das macht total 48 Ventile. Und 390 PS. Und die loszulassen steht nun auf dem Plan: Urs gibt grünes Licht für den roten Bereich, die Ölsuppe ist auf Serviertemperatur aufgeheizt. Wir nähern uns dem Dorfende, Zwischengas, die mechanisch eingespritzte Maschine reagiert spontan. Wie Schulkinder, die in den Pausenhof strömen, befreien sich die Drehzahlen bei offener Drosselklappe. In zwölffacher Form schreit es von hinter den Sitzen "jaaaa!", es ist als wollten die zwölf Zylinder einen von hinten anfallen – bis bei 6'300 Umdrehungen die nächste Befreiungsstufe ansteht. Doch die nächste Stufe wäre definitiv illegal (sonst lägen 300 km/h drin). So rastet der vierte Gang ein, und der Ferrari gleitet dahin, als ob er niemals nur etwas mit einem Supersportwagen gemeinsam gehabt hätte. Untermalt vom angenehmen und teuren Brummen hinter der Heckscheibe. Als ob ein Dutzend Tagesschausprecher mit ihren tiefen Stimmen irgendetwas im Sprechchor erzählten, ein vertrauenerweckendes Geräusch umgibt den Fahrer. Ich könnte stundenlang dahingleiten, nach Monte Carlo fahren, um Zürich flanieren – bis die nächste freie Strasse sich öffnet. Dann wieder durch die Schaltkulisse klicken und die harmonische Leistungs- und Klangentfaltung in mich hineinsaugen. Dumm ist nur, dass im Innenraum ähnliche Schlag- und Knarzgeräusche wie im etwa 100 Mal schwächeren Twike auftreten. Das nervt.
Ähnlich dem Twike erntet der rote Clichée-Ferrari aber enorme Aufmerksamkeit. Nur scheinen die Passanten wohl jetzt genau das über mich zu denken, was am Anfang des Textes über Yuppies steht…

Egal. Sich den beinahe zwei Meter breiten Traum anzutun lohnt alleweil, gerade weil die Preise mit etwa 60'000 Franken so tief wie noch nie gesunken sind. Ich hab gelernt: Erstens, Ferrari fahren ist mehr als Yuppie sein, es macht Spass. Zweitens: Aussenstehende sehen einen trotzdem als Cüplisäufer. Und drittens, zwölf volle Zylinder sind das Mass der Dinge. Keine Diskussion. Nur die Verpackung, die bräucht ich nicht. Eine 512BB wäre da wohl die verträglichere Wahl.

Danke Urs!