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zuendung

23. Mai 2009

Engel und Dämon

BMW | 0 Kommentare

Der Porsche Cayenne wurde als meist-gehasstes Fahrzeug abgelöst. Auf den zweifelhaften Thron steigt der neue Erzfeind aller Kohlenstoffdioxidgrammzähler und Flugmeilenkompensierer. Er ist schon fast so etwas wie der automobile Antichrist: Lang, breit, hoch, vierradgetrieben, schwer, innen eng und dazu noch teuer. Der BMW X6 scheint auf den ersten Blick das denkbar schlechteste Auto für die […]

Der Porsche Cayenne wurde als meist-gehasstes Fahrzeug abgelöst. Auf den zweifelhaften Thron steigt der neue Erzfeind aller Kohlenstoffdioxidgrammzähler und Flugmeilenkompensierer. Er ist schon fast so etwas wie der automobile Antichrist: Lang, breit, hoch, vierradgetrieben, schwer, innen eng und dazu noch teuer. Der BMW X6 scheint auf den ersten Blick das denkbar schlechteste Auto für die Krise aber auch für die momentan herrschende "grüne" Stimmung zu sein. Doch sein Ziel bleibt klar: Er will das sportlichste geländegängige Coupé mit vier Türen sein. Das ist in etwa so skurril wie ein leicht verdauliches Käsefondue mit Vanillegeschmack und Mangostückchen. Doch bevor ich sowas esse, teste ich lieber den BMW X6 und finde heraus, ob er wirklich so schrecklich ist.

Beim Einsteigen stelle ich schon Seltsames fest: Der X6 ist defintiv das erste Auto, bei dem ich hinaufsteigen muss und gleichzeitig nur mit eingezogenem Kopf keine Beule risikiere. Ich bin übrigens keine 1,75 m. Drinnen erwartet mich ein Fest aus Leder und Metall. Keine Frage: In Sachen "modernes Interieurdesign" macht man den Leuten aus München aber gar nichts vor. Da ist alles richtig platziert und gleichzeitig ein optisches Happening. Mehr noch, aufgrund der flachen, nach hinten absinkenden Dachlinie kommt tatsächlich so etwas wie Coupé-Feeling auf. Und dann dieser Schalthebel in der Optik eines Joysticks, wie wir das von unserem guten alten Commodore C64 kennen, natürlich in zeitgemässem Design in angesagten Schwarz-Silber-Look und mit eingebauter Ganganzeige. Sowas gefällt dem Technikfreak und erfreut gleichzeitig den Ästheten. Weniger Spass dürften Freunde der Ergonomie haben: Der spezielle Ganghebel erfordert einiges an Eingewöhnung. Das Start-Prozedere funktioniert folgendermassen: Schlüssel in den Schlitz neben dem Lenkrad, Fuss auf die Bremse, Startknopf drücken, Knopf links (nicht jenen oben) am Schalthebel drücken und den Hebel gleichzeitig in die Position D ziehen.


Böse: Wer den X6 im Rückspiegel erblickt, räumt die linke Spur.

Wer alles richtig macht, kann nun mit sanftem Druck auf das Gaspedal starten. Der getestete BMW xDrive35i hat zwar "nur" einen Sechszylinder unter seiner hohen Haube, hängt aber am Gas, als möchte er die Strasse fressen. Dazu passt der grimmige Blick, den die Front auszustrahlen scheint. Tatsächlich erweckt der grosse Wagen trotz unauffälliger Lackierung einiges an Aufsehen. Kleinwagenfahrer schauen etwas schockiert nach oben während Fussgänger eher auch mal mit Kopfschütteln reagieren. Zustimmendes Nicken kommt dagegen von der Cayenne-Fraktion. Unter SUV-Fahrern scheint klar zu sein: Der X6 ist der Sportler in diesem Segment, da ist ihm der Respekt der Peergroup sicher. Doch was ist dran an diesem sportlichen Image? Kann ein 2,15 Tonnen schweres und 1,7 Meter hohes Auto überhaupt jemals sportlich sein? Immerhin ist er mit 1,98 Meter noch um zwei Zentimeter breiter als ein Ferrari 599 GTB Fiorano. Das ist doch mal eine Ansage.


Fett: An den Hinterläufen waren Räder von gewalteiger Dimension montiert.
Schlank: Der Gangwahlhebel ist mit etwas Gewöhnung gut zu bedienen.

Das sportliche Talent möchte ich auf der Strasse von Luzern hoch in das Eigental testen. Mit einem leicht mulmigen Gefühl entdecke ich das blaue Schild mit gelbem Horn am Strassenrand. Einem Postauto möchte ich mit dieser Fuhre nun wahrlich nicht begegnen. Der Fahrplan meint es gut mit mir und ich kann den X6 mit seinem Adaptive Drive so richtig auskosten. Hinter der englischen Bezeichnung versteckt sich ein komplexer Mix aus Fahrwerksgehilfen: Die Elektronische Dämpferkontrolle, die aktive Wankstabilisierung und die Wahl zwischen sportlichem und normaler Fahrwerkseinstellung gehören beispielsweise dazu. In den engen Kurven hilft zudem die aktive Lenkung mit. Gerade auf der gewählten Strasse ist das durchaus hilfreich. Steil hinauf geht es und dabei nur selten geradeaus. Und tatsächlich: Der X6 macht auf diesem Terrain gewaltig Spass. Er lässt sich so richtig in die Kurven werfen, geht mit einem Wimmern der der Reifen um die Ecken, als müsste er eine Rallye gewinnen und zieht geradeaus als gäbe es kein morgen. Die 306 PS reichen locker, um am Berg die meisten potentiellen Gegner um den Tagessieg auf Distanz zu halten. Die 400 Newtonmeter (zwischen 1300 und 5000 U/min) schieben brutal an. Die SUV-Gilde müsste sich jedenfalls bestimmt schon nach der allerersten Kurve geschlagen geben. Der Sechszylinder mit Twin Turbo lässt schon beinahe vergessen, dass sich ja auch noch ein V8 im Angebot befände. Der bietet noch einmal 100 PS und 200 Newtonmeter mehr. Doch wenn ich sehe, wie der Verbrauch bei solch spassigen Touren ansteigt, kann ich vom Achtender nur abraten.


Mächtig: Gerade auf schmalen Bergstrassen spürt man die pure Grösse des X6.

Der Durst des Dreiliters ist sehr variabel. Wenn ich mit feinem Gasfuss vorausschauend über Landstrasse und Autobahn cruise liegt er bei braven 11,4 Liter. Als ich aber die Möglichkeiten des Fahrwerks und damit auch jene des Motors ab und zu ausschöpfe, lande ich bei fast schon beschämenden 18,1 Liter. Es gibt ja ohnehin schon Leute, die das Efficient Dynamics Programm als grünes Deckmäntelchen von BMW beschimpfen. Beim X6 droht es trotz Bremsenergie-Rückgewinnung und aktiver Luftklappensteuerung zum winzig kleinen Stringtanga zu verkommen.


Offroad: Nur selten werden sich X6-Fahrer auf Waldwegen geschweige denn im Gelände bewegen.

Immerhin lassen sich vier Leute bequem transportieren. Man hat nicht jenen verschwenderischen Platz, den man von ähnlich grossen Fahrzeugen kennt, fühlt sich aber ganz sicher nicht eingeengt. Einen fünften Platz gibt es übrigens nicht, dort finden sich nämlich ansstelle eines Sitzes Cupholder und ein Ablagefach. Vor allem auf den Rücksitzen spürt man ein seitliches Schütteln, das auf Dauer unangenehm wird. Offensichtlich kann auch BMW die Physik nicht ganz austricksen. Ebenfalls keine grossen Tricks kann man mit dem Kofferraum vollführen. Er ist aufgrund hoher Ladekante und abfallender Dachlinie weder sonderlich gut zu beladen noch extrem gross. Der hohe Heckabschluss führt zudem dazu, dass die Rücksicht durch das Fenster durchaus mit jener aus dem Lamborghini Gallardo zu vergleichen ist. Deshalb würde ich auf jeden Fall die aufpreispflichtige Rückfahrkamera empfehlen.


Coupé: Wenn es schon viertürige Exemplare gibt, darf auch der X6 eines sein.

Nun, ich habe ein sehr ambivalentes Bild vom BMW X6 xDrive35i gewonnen. Einerseits gefällt mir seine äussere Schale inzwischen sehr gut und der Innenraum ist eine Wucht. Die Sportsitze sind superbequem, die Ausstattung des Testwagens war fürstlich und auch die beiden Rücksitze bieten anständig Platz. Fahrdynamisch ist der X6 mit Abstand das beste Fahrzeug in der Ü2T-Klasse (über zwei Tonnen). Der Motor ist, wie wir schon aus früheren Tests wissen, ein einziges Gedicht. Auf der anderen Seite schluckt der Sahnemotor eben auch übertrieben viel. Das fast zwei Meter breite Ungetüm ist schwierig zu Parken und bietet im Innenraum für die äussere Grösse zu wenig Platz. Der Preis scheint mit 90'900.- CHF angemessen. Wer jedoch wie beim Testwagen nicht auf Leder, Navi, Adaptive Drive, Headup-Display, Aktivlenkung und einige andere schöne Dinge verzichten will, landet bei über 120'000 Schweizer Franken. Somit lässt sich zwar sagen, dass die Qualitäten des X6 ihn schon fast "teuflisch gut" machen. Dafür verschlingen Sprit und Anschaffung aber auch höllisch viel Geld. Ganz zu schweigen davon, dass die Umweltengel nicht gerade mit Frohlocken beginnen, wenn sie das SUV-Coupé auftauchen sehen.