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marcwegmueller

15. August 2016
Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio Verde Was ist dem Menschenleben zuträglicher: Ein alltäglicher Wagen auf einer aufregenden Strecke oder ein aufregender Wagen auf einer alltäglichen Strecke? Während wir über diese Frage sinnieren, verfliegt die Zeit in der Giulia QV überraschend rasch, und die anderthalb Stunden Stossverkehr am Freitagabend sind bald erledigt. Klar, die 510 PS Leistung […]
Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio Verde
Was ist dem Menschenleben zuträglicher: Ein alltäglicher Wagen auf einer aufregenden Strecke oder ein aufregender Wagen auf einer alltäglichen Strecke? Während wir über diese Frage sinnieren, verfliegt die Zeit in der Giulia QV überraschend rasch, und die anderthalb Stunden Stossverkehr am Freitagabend sind bald erledigt. Klar, die 510 PS Leistung und 600 Newtonmeter Drehmoment haben dabei nicht geholfen. Ein 50-PS-Wägelchen wäre zur gleichen Zeit ans Ziel gelangt. Sie haben aber nicht gestört, das satte Drehmoment lässt die Giulia angenehm rollen. Sie leistet fast doppelt so viel wie der stärkste Vorgänger aus der 159er Generation. Das ist eine klare Ansage und macht die Giulia zur Aufstreberin der Mittelkasse. Ihre Kameraden sprechen deutsch und haben auch gute Noten: Mercedes-Benz AMG C63 und BMW M3 belegen die selben Fächer. Als wir vom Nachtessen zum Parkplatz zurückkommen haben einige Halbwüchsigen unseren dunkelroten Wagen umzingelt. Bei ihnen scheint der schnelle Alfa hohe Wellen zu schlagen: „Sie bitte bitte, gänd Sie mal Gas?“ Der V6 dreht hoch, die Jungs zücken ihr Handy und zeigen ihre Begeisterung lautstark. Alfa ist offensichtlich zurück auf der Habenwollen-Liste!
Alfa Romeo Giulia QV (5)
Auch wir sind voller Vorfreude, als wir den Wagen am frühen Morgen in der Schloss-Garage in Winterthur übernehmen. Der kleine rote Startknopf im Lenkrad leuchtet verführerisch. Die Spannung steigt. Jahre haben wir gewartet; und die Giulia ist wichtig für Alfa Romeos Zukunft. Was, wenn sie enttäuscht? Selbst wenn, den Platz in unserem Herzen wird Alfa sowieso nie verlieren. Der erste Eindruck sitzt, die Giulia ist ein modernes Auto. Aussen wie innen. Also los, Startknopf drücken! Die ersten Töne des 90° V6-Motors erinnern an kleine Dreizylinder aus Fernost. Wir beschliessen, das den Motorenentwicklern besser nicht auszusprechen. Nach den ersten Metern Fahrt sind unsere Ohren aber bald in Sechszylinderlaune. Das Herz ist angeblich eine Ferrari-Entwicklung, abgeleitet vom California-V8. Alfa gibt das jedoch nicht offiziell zu. Und wenn auch, schaden kann es nicht.
Alfa Romeo Giulia QV (3)
Schaltfaul bahnen wir unseren Weg durch die Stadt. Dabei fallen nicht die 510 PS auf, sondern wie leichtfüssig sich die Giulia durch den Alltag bewegt. Lenkbewegungen folgt die viertürige Limousine wie ein kleiner Sportwagen. Und überhaupt, die wichtigen Elemente wie Sitze, Lenkrad und Instrumente sind am richtigen Ort, wir fühlen uns gleich wohl am „Arbeitsplatz“. Nur der Schalthebel ist etwas weit hinten positioniert; für Menschen mit langen Armen ist das unangenehm. Trotzdem macht Schalten Freude: Dem Schalthebel folgen sechs Gänge in einer echten mechanischen Art. Die Gänge ohne Umlenkgestänge oder Seilzüge direkt im Getriebe einzulegen ist einer der schönen Nebeneffekte der erstmals wieder mit traditionellem Heckantrieb gebauten neuen Giulia.
Alfa Romeo Giulia QV (6)
Auf einer Strasse mit etwas Auslauf treten wir im zweiten Gang auf Vollgas. Rasch pusten die beiden Turbolader den 2,9-Litermotor auf Rennbetrieb, und nur ein Augenblick später mahnt die gelbe „Shift!“ Leuchtschrift, den nächsten Gang einzulegen. Natürlich ist dann besser kein Blitzapparat hinter der Hecke, die Reise endete sonst bald hinter Gittern. Nachts helfen übrigens die attraktiv gestalteten LED-Leuchten zum schnellen Vorankommen: Erstens ist die Ausleuchtung gut, und zweitens strahlen sie eine gehörige Portion Überholprestige aus. Beherrschung ist Trumpf, besonders im Fahrmodus „Race“, der sämtliche elektronischen Schutzengel zur Seite bittet. Ein hellwacher Geist am Lenkrad ist dann gefordert, die Hinterräder drehen beim Beschleunigen gerne mal durch. Den hellwachen Geist belohnt die starke Giulia jedoch mit geschmeidig kontrollierbarem Übersteuern. Ganz nach unserem Geschmack.
Alfa Romeo Giulia QV (8)
Aber Driften ist ja nicht erlaubt. Und im Stossverkehr liegen solche Manöver sowieso nicht drin. Drum wenden wir uns der Eingangsfrage zu: Die Giulia Quadrifoglio Verde ist zwar nicht die schnellste auf dem Nürburgring und gewinnt wohl auch nicht jeden Detailverarbeitungsvergleich. Aber sie führt einen selbstverständlich und unterhaltsam durchs Verkehrsgeschehen, ob Stossverkehr oder leere Passstrasse. Sie fühlt sich massiv kleiner an als sie ist. Sie ist ein harmonisches Gerät, mit einem Antrieb, der sich schaltfaul bewegen lässt und auch mal kraftvoll zubeisst. Letzteres im „Race“ Modus übrigens mit Kindergeburtstag-artiger Geräuschkulisse. Die Alfa Romeo Eigenschaften sind in der Gegenwart angekommen. Zum ersten Mal scheint Alfa Romeo auch die kleinen Alltagshelferchen im Griff zu haben. Der Dreh- und Drückregler in der Mittelkonsole steuert Navi, Radio, Telefon und so weiter. Die Steuerung funktioniert zwar nicht gleich selbstverständlich wie bei anderen Herstellern, aber hey, sie funktioniert! Das konnten die Nutzer des Vorgängersystems „Blue and me“ nicht immer sagen.
Alfa Romeo Giulia QV (18)
Der Verbrauch liegt bei unserer Fahrt bei etwas über zehn Litern auf 100 Kilometer. Die Differenz zur Werksangabe haben wir gewinnbringend in Kurvenfahrt, V6-Sound und Pneurauch investiert. Mit der Giulia hat Alfa Romeo gute Chancen, den Weg zurück zum Erfolg zu finden. Sie zeigt auch einen etwas anderen Weg auf, bei dem es nicht nur um Rundenzeiten und PS geht, sondern um ein ausgewogenes, unterhaltsames Fahrerlebnis und auch um einen liebevoll gestalteten Innenraum, in dem Erwachsene auch hinten anständig sitzen können. Sie ist ein wohltuender Farbtupfer im von nördlichem Grau und Schwarz geprägten Strassenbild. Die 510 PS sind toll, fürs eigentliche Giulia-Erlebnis reichen aber auch weniger, finden wir. Die Giulia belohnt einen nicht nur bei freier Fahrt mit Fahrfreude, sondern auch auf alltäglichen Strecken.