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zuendung

23. Mai 2008

Häuptling Grollender Golf

Abt-VW | 0 Kommentare

Eigentlich ist Schluss. Der Golf V ist auf Abschiedstournee. In Leasing-Silber gewandete Sondermodelle, gebrandmarkt durch „Edition“, „United“ oder „Goal“-Schriftzüge, die sie wie ihre Rentenversicherungsnummer auf der C-Säule tragen, überfluten als junge Gebrauchte die Händlerhöfe. Marktschreierisch ruft das Werk Abverkaufsprämien aus. Kein Zweifel, die sechste Generation des klassenlosen Kompaktwagens steht in den Startlöchern. Doch ein Exemplar […]

Eigentlich ist Schluss. Der Golf V ist auf Abschiedstournee. In Leasing-Silber gewandete Sondermodelle, gebrandmarkt durch „Edition“, „United“ oder „Goal“-Schriftzüge, die sie wie ihre Rentenversicherungsnummer auf der C-Säule tragen, überfluten als junge Gebrauchte die Händlerhöfe. Marktschreierisch ruft das Werk Abverkaufsprämien aus. Kein Zweifel, die sechste Generation des klassenlosen Kompaktwagens steht in den Startlöchern. Doch ein Exemplar der aktuellen Modellreihe spannt nochmals die Muskeln an – ein in kräftigem deepblue perleffekt lackierter R32, ebenfalls durch einen Schriftzug gekennzeichnet. Nicht auf der C-Säule, sondern unterhalb der Schutzleiste auf den hinteren Türen prangt die unmissverständliche Kampfansage „Abt Power R“, 19 Zoll-Räder quellen aus den Kotflügeln hervor. Ansonsten erspart sich der Vorruheständler geckenhaftes Auftreten. Mit beigem Leder-Interieur und Holzeinlagen, zumindest soll der Eindruck von Holz erweckt werden, mimt der R32 den Conaisseur – bleibt aber im Gesamtauftritt eher dem Bildungsbürgertum verhaftet.


In Deckung: Der Abt-Golf kauert nur knapp über dem Asphalt.

Und wenn erst einmal der Zündschlüssel umgedreht wird, gesellt sich noch eine gute Portion spätpubertäre Pöbelei dazu. Es rotzt aus dem Auspuff und surrt Kompressor-hell aus dem Motorraum als säßen die finnischen Dark-Metal-Poeten von Nightwish unter der Haube und die Alternative-Rock-Helden von Queens of the Stoneage im Kofferraum. Erste Geige in diesem eigenwilligen Konzert spielt ein Kompressor, der dem 3,2 Liter-V6 des R32 den Marsch bläst.
Kaum hatten die Profis von Abt Sportsline einen ähnlichen Leistungskit für den Audi TT fertig, trudelte schon die eine oder andere Anfrage ein, ob nicht auch dem mit dem identischen Motor ausgerüstete R32 aus der Rentner-Lethargie geholfen werden könne. Es kann. Für schlappe 14.756 Euro – also rund dem Gegenwert eines der eingangs erwähnten Allerwelts-Jungwagen. Der Leistungszuwachs liegt jedoch deutlich über dem, was ein Standard-Golf bereit ist, aus seinen Brennräumen zu schütteln: 120 PS addieren sich zu den 250 PS der Basis.


Tarnkappe: Viel Plastik im Motorraum, wenigstens ist der Kompressor sichtbar.

Mit dem Wissen um irrwitzige 370 PS und ein maximales Drehmoment von 400 Newtonmeter, verpackt in eine harmlose Golf-Karosse, fällt der rechte Fuß. Vorne schrauben sich Kompressor und Motor Drehzahl-Gipfel hinauf, hinten weicht das Gespratzel bösem Grollen. Richtig bösem Grollen, als habe der Golf gerade seinen ersten Rentenbescheid erhalten und festgestellt, dass damit nicht ansatzweise sein Spritkonsum zu finanzieren ist.
Am Ende des Ausrittes über Autobahn und Allgäuer Landstraßen druckst der Bordcomputer Werte von rund 32 Litern Durchschnittsverbrauch durch seine Leuchtdioden. Sei’s drum, denn wer sich so einen Über-Golf in die Garage stellt, denkt nicht über Hybride, Autogas oder gar einen Diesel nach. Unter beherztem Vernichten fossiler Energie watscht also der Abt-Golf die 100 Km/h-Marke ab – der Tuner verspricht, dass dies nach rund fünf statt 6,2 Sekunden passiert ist – und saugt sich an die Ziffer 200. Am oberen Ende der Tachoskala mischt sich jedoch etwas Enttäuschung unter das noch immer heftige Klang-Getöse von Motor und Auspuff. Während im Vergleich zur durchzugsfaulen Saugmotor-Serie der Antritt aus dem Drehzahlkeller alle Beschreibungsversuche zu Floskeln degradiert, bleibt das große Staunen in den oberen Geschwindigkeits-Regionen aus. Nach etwas Anlauf kitzelt die Tachonadel doch noch die 270 Km/h-Marke, um sie schlussendlich dann auch zu überspringen.


Dezentes Ende: Das Heck unterscheidet sich kaum vor der Serie.

Schade, dass keine Zeit bleibt, um die verdutzten Gesichter der Überholten zu erkennen. Die Längsdynamik des rolligen Rentners verblüfft also, das macht Hoffnung auf die Querdynamik. Denn neben dem Leistungskit, bestehend aus Kompressor, Ladeluftkühler und geänderter Motorelektronik, hat Abt ein in Druck- und Zugstufe verstellbares Gewindefahrwerk montiert sowie Conti Sport Contact 3 in der Dimension 225/35 R 19 aufgezogen. Obwohl der Conti nicht zu den außergewöhnlich sportlichen Reifen zählt, macht der Gummi zusammen mit dem neuen Fahrwerk einen guten Job. Präzises Einlenken bei mäßigem Untersteuern, keine Überraschungen bei Lastwechseln, wenngleich das Heck bei abrupten Bremsmanövern schon ein wenig unruhig wird – Tribut an das Rentenalter.


Etwas Schminke: Einzig die großen 19-Zoll-Räder fallen etwas aus dem Rahmen.

Das Fahrwerk lässt dem alternden Sportler seine Würde, unbotmäßiges Poltern oder rüpelhaftes Abrollen überlässt er Emporkömmlingen. Dass die Bandscheiben dennoch regelmäßig daran erinnert werden, dass hier ein ganz spezieller Golf bewegt wird, gehört zum Konzept. Als Pferdefuß oder, besser gesagt, als schlecht haftende Dritte, erweist sich die serienmäßig belassene Getriebeabstufung. Nehmen die Kurvenradien ab, ist der zweite oft zu kurz und der dritte zu lang. Und außerdem hat unser Oldie um die Hüften ein wenig zugelegt und schleppt gut 1,6 Tonnen mit sich herum. Wenigstens stellt dank serienmäßigem Allradantrieb mangelnde Traktion keinen weiteren Hemmschuh dar. Beim Dribbling merkt man dem wohl wildesten Vertreter der Golf V-Generation also sein Alter am meisten an. Doch als Abt Power R verabschiedet sich der Golf R32 bemerkenswert würdevoll in ein Leben jenseits von Absatzdruck und peinlichen Sondermodellen – untermalt mit einer Geräuschkulisse, die seinen Nachkommen noch lange in den von neuen Lärm- und Abgasnormen gegängelten Gehörgängen klingen wird.


Schönes Ende: Mit dem Abt-Tuning verabschiedet sich der Golf V würdevoll in Rente.