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zuendung

19. September 2006

Hammer to fall

Mercedes-Benz | 0 Kommentare

Wirklich vorbei ist der Wirbel um die faktische Übernahme von Chrysler durch Daimler-Benz immer noch nicht. Waren die Aktien überbewertet, produziert Chrysler wirklich nur Müll, kann die Marke Mercedes-Benz der Alleinretter eines Weltkonzerns sein? Nun, ein paar Etagen unterhalb des Vorstands, wenn sich die Entwicklungsingenieure in den entlegensten Winkeln dieser Erde treffen, pflegte man offenbar […]

Wirklich vorbei ist der Wirbel um die faktische Übernahme von Chrysler durch Daimler-Benz immer noch nicht. Waren die Aktien überbewertet, produziert Chrysler wirklich nur Müll, kann die Marke Mercedes-Benz der Alleinretter eines Weltkonzerns sein? Nun, ein paar Etagen unterhalb des Vorstands, wenn sich die Entwicklungsingenieure in den entlegensten Winkeln dieser Erde treffen, pflegte man offenbar doch einen regen Wissens- und Erfahrungs-Austausch. Wie sonst ist es zu erklären, dass die durchtrainierte Mercedes-Tochter AMG plötzlich den ganz großen Hubraum-Hammer auspackt?


Gewitterstimmung: Trotz AMG-Trimm lässt das CLK-Kleid kaum Urgewalten vermuten.

Ja klar, die Zahl 63, oder besser 6.3 gab es schon einmal in der Schwaben-Historie. Doch erstens schummelt AMG hier ein bisschen, denn es ist in Wirklichkeit ein 6,2-Liter-Motor geworden, und zweitens will der auf überraschend hohe Drehzahlen ausgelegte V8 so gar nicht ins klassische Small-Block-Schema passen. Das erste von AMG völlig eigenständig entwickelte Aggregat soll schließlich ein reinrassiger Sportmotor werden. Nun verhält es sich jedoch so, dass DaimlerChrysler, mit welcher Marke nun auch immer, bei jeder Präsentation eines neuen Modells oder Motors nicht müde wird zu betonen, dass man ein besonders sportliches Fahrzeug für eine jüngere Klientel auf die Räder gestellt hat. Das war beim aktuellen CLK nicht anders und das neue Spitzenmodell soll nun allen anderen Premium-Geschossen die Stirn bieten. Doch der CLK passt definitiv noch immer besser zu einer Käuferschicht, die sich schon lange nicht mehr an den ersten Samenerguss erinnern kann. Mit dem neuen CLK 63 AMG kann sich aber durchaus ein ähnlich pubertäres Wohlgefühl einstellen.


Vierton-Musik: Das Auspuff-Quartett schmettert Gänsehaut-Sound

Und Schuld daran hat nur das 480 PS-Kraftwerk und der wohlgeformten Haube. Keyless gleitet man in den per diversen Luftkissen nahezu optimal einstellbaren Multikontursitz und keyless erfasst das Auge die bekannte Mercedes-Armaturenlandschaft des CLK, der beim letzten Facelift die aktuelle Command-Generation verpasst bekam. Dass Aluminium das altbekannte und altbackene Holz ersetzt, erfreut das Auge. Dass es kein Aluminium ist, enttäuscht die Fingerspitzen. Der Daumen registriert beim keyless starten dann doch noch echtes Metall, das auch die Zeigefinger später an den Schaltpaddeln zu spüren bekommen werden. Kaum wird der metallene Starterknopf durchgedrückt, passiert es. Unter orgiastischem Gebrabbel fällt der Achtender in einen nervösen Leerlauf. So etwas gab es bei den Daimlers bisher noch nicht. Mögen sie nach außen schon gut geklungen haben, die Acht- und Zwölfzylinder aus Stuttgart-Untertürkheim, Innen war immer Stille.


Zeit, dass sich was dreht: Der V8 erreicht AMG-ungewohnte Drehzahl-Regionen

Im CLK 63 AMG grollt es dagegen grantig, draußen donnert es dramatisch. Wow. Der erste Eindruck täuscht nicht, Gas geben sollte nicht mit derselben Nonchalance erfolgen, wie sie ein Mercedes gewöhnlich erbietet. Es würde zwar nichts Böses passieren, dafür befindet sich ja reichlich ausgeklügelte Elektronik an Bord. Nein, es würde beim beherzten Niedertreten des früher im Daimler-Deutsch als Fahrpedal bezeichneten Gaspedals einfach gar nichts passieren. Erstens erfolgt die Reaktion des Monster-Motors trotz Wandler-Automat unmittelbar und zweitens kann das Coupé trotz seiner vergleichsweise schlanken 1,7 Tonnen vor Kraft schlicht nicht laufen. Dabei ist es nahezu unerheblich, ob die Farbahn trocken oder nass ist oder ob die Reifen kalt oder warm sind. Bei einem wagemutigen Beschleunigungsversuch auf feuchtem Untergrund mit deaktiviertem ESP ist man am Steuer auf den ersten paar hundert Metern damit beschäftigt das Heck auf Kurs zu halten. Doughnuts gelingen aber auch auf trockener Bahn aus dem Stand. Selten verführte ein Mercedes zu so herrlich pubertären Aktionen. Vor allem begeistert die Direktheit des CLK 63. Neben den spontanen Rektionen auf Gasstöße überrascht auch die 7G-Tronic mit ebenso flüssigen wie flotten Schaltvorgängen, wenn auch nicht so knallhart und schnell wie beim CLK DTM. Dabei ist es unerheblich, ob man schalten lässt oder selbst daddelt.


Ohren langziehen: 630 Newtonmeter machen die Paddel eigentlich überflüssig

Letzteres macht vor allem dann Spaß, wenn es gilt, einen kleinen Zwischenspurt einzulegen. Bei Landstraßentempo die dritte Fahrstufe vorspannen, zum Lkw-Überholen ausscheren und schon flackert das ESP-Lämpchen. Also ausschalten, das ganze von vorne. Kurz Gegenlenken und das Coupé katapultiert sich lautstark der 8000 Touren-Marke entgegen – und seinen Piloten schnurstracks auf die nächste Polizeiwache, wenn er nicht aufpasst. Dabei läuft der Achtender nicht sonderlich weich, nein, er wirkt aufgekratzt und das ist gut so. Er soll drehen und trompeten, endlich darf ein Daimler das. Immer und immer wieder, die Verblüffung hält an. Selten erreicht man die 250 Km/h-Marke subjektiv und objektiv so schnell. Selten frustriert die Elektronikbremse an der magischen Schallmauer so sehr, wie beim CLK. Er könnte noch viel mehr, das grummelt er seinem Piloten deutlich ins Ohr. Der Sound und die Beschleunigung fixen an, das Fahrwerk beruhigt. Das Setup passt mit seiner wohlportinierten Härte perfekte zum rotzigen Charakter des Benz.


Dreht kein grosses Rad: Die vergleichsweise filigranen 18-Zöller reichen für eine kräftige Optik.

Bei den Rädern begnügte sich AMG mit 18 Zöllern nebst ansehnlichem und obendrein leicht zu reinigendem neuen, filigranen Fünfspeichen-Design. Mehr braucht's nicht. Um das Coupé aus der Ruhe zu bringen, bräuchte es deutlich mehr als die wirklich gewaltigen 630 Newtonmeter maximales Drehmoment. Auf einem winkligen Kurs wie in Hockenheim oder bei einem Slalom-Wettbewerb würde der CLK vermutlich gegen einen deutlich schwächeren M3 den kürzeren ziehen, dafür ist er einfach zu massig und reagiert einen Tick zu träge auf Lenkbefehle. Das wiederum passt ins Gesamtbild. Denn auch wenn der 6,2-Liter ein hochdrehender Sauger ist, er bleibt ein Hubraum-Hammer und wird nie ein feinnerviges, domestiziertes Renntriebwerk wie der Sechszylinder des M3 oder der V10 des M6. Muss er auch nicht. Der CLK 63 AMG ist derzeit der unverschämteste Mercedes, den es zu kaufen gibt. Ein erstaunlich lautes und hartes Coupé mit unfassbaren längsdynamischen Qualitäten, das auch eine verblüffende Querdynamik an den Tag legt. Und all das haben sich die AMG-Jungs sicher nicht von den Amis abgeguckt.