Seite wählen

zuendung

2. September 2006

Kanten-Schleifer

Lancia | 0 Kommentare

Zuckt sie nun oder zuckt sie nicht? Noch ruht die Ladedruck-Anzeige in der Uhrensammlung auf Position Null. Der Lancia Delta Integrale Sedici brummt mit 160 Km/h, gefühlt mindestens 20 Sachen mehr, über die mittlere der drei A3-Spuren kurz hinter Offenbach. Die 5,9 Liter Öl, die den Vierzylinder schmieren sollen, dürften zwar auf Temperatur sein, doch […]

Zuckt sie nun oder zuckt sie nicht? Noch ruht die Ladedruck-Anzeige in der Uhrensammlung auf Position Null. Der Lancia Delta Integrale Sedici brummt mit 160 Km/h, gefühlt mindestens 20 Sachen mehr, über die mittlere der drei A3-Spuren kurz hinter Offenbach. Die 5,9 Liter Öl, die den Vierzylinder schmieren sollen, dürften zwar auf Temperatur sein, doch irgendwie traue ich mich nicht, den rechten Fuß fallen zu lassen.


Quadratisch: Von Rundungen hielt man in den Siebzigern zumindest beim Automobildesign nicht viel.

Immerhin darf mein Popometer in dem mit Alcantara bezogenen Recaro-Sitz einer automobilen Legende ruhen – und schon ist es passiert. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, für dieses Geschichte das Wort "Legende" auf den Index zu setzen. Zu abgelutscht, zu pathetisch und für den Delta in seiner 1979 präsentierten Basisversion völlig unpassend. Der kantig-unspektakulär designte Fulvia-Nachfolger ließ sowohl die technische Extravaganz, für die Lancia berühmt wurde, als auch das sprichwörtliche formgeberische Können der Italiener vermissen. Doch in dieser Schaffensperiode kamen auch Missgeburten wie der Fiat Argenta oder der Alfa Sei auf die Welt. Dass der Delta auch zum kariösen Lochfraß neigte, überraschte wohl niemanden. Sechs in Folge gewonnene Rallye-Markentitel später und rund 12 Jahre nach Produktionsende hat der Delta in seinen unzähligen HF Turbo und Integrale-Varianten dann aber doch zumindest einen Kult-Nimbus errungen.


Praktisch: Schon damals reichten Rallye-Weltmeistern nur ein Auspuffendrohr.

In einem der letzten produzierten Exemplare, das gerade einmal 37000 Kilometer auf der Uhr hat, beobachte ich nun die Ladedruck-Anzeige und hadere mit mir ob dem richtigen Zeitpunkt für den Kontakt mit dem Bodenblech im Bereich des Gaspedals. Im Frankfurter Stadtverkehr wusste man anscheindend ob der Exklusivität des Testwagens. An jeder Ampel bewundernde Blicke der zahlreichen Wissenden und mitleidiges Lächeln der weniger zahlreichen Unwissenden. Dicke Backen, Dachspoiler, von Lüftungsschlitzen zerfurchte Frontpartie und Schalensitze, damit wird man schnell zum Prinz der Provinz abgestempelt. Macht nichts, denn erstens stamme ich aus einer sehr ländlichen und Spoiler-geschwängerten Gegend und zweitens gehöre ich zu den Wissenden. Knapp zwei Liter Hubraum, 210 PS, 308 Newtonmeter maximales Drehmoment, Fünfgang-Schaltgetriebe, permanenter Allradantrieb in leicht hecklastiger Konfiguration, das ist das Holz aus dem Anfang der Neunziger Rallye-Weltmeister geschnitzt waren. Der Sedici ist der Urvater aller Evos und WRX dieser Welt. Heute sorgen diese Eckdaten allerdings kaum für Bewunderung in einer durch Direkteinspritzer-Diesel-Drehmoment-Wunder entzauberten Leistungsgesellschaft. Noch lasse ich eben jene TDIs an mir vorbei ziehen, denn ich konnte mich noch immer nicht zum Vollgasen überwinden. Stattdessen versuche ich ob der mangels Kopffreiheit und sehr flach stehendem Mini-Momo-Lenkrad reichlich affigen Sitzposition einen einigermaßen ernsten Eindruck bei meinen zukünftigen Gegnern zu hinterlassen. Abgesehen von der leicht albernen Haltung hinterm Steuer verlangt der Sedici aber kaum Zugeständnisse. Er sprang sofort an, die Kupplung erfordert keine übermässig trainierten Waden, ein Anfahren ohne Abwürgen gehört also auch in einer Rallye-Legende zum Standard-Repertoire.


Teuflisch: Der Zweiliter-Turbo des Sedici trägt die rote Farbe zu Recht.

Auch im Stadtverkehr ruckelt nichts, alle Temperatur-Anzeiger bleiben im grünen Bereich. Bezüglich der Geschwindigkeit orientiere ich mich zunächst aber doch lieber an den anderen Verkehrsteilnehmern. Der Tacho des Integrale, der zum Bestand von Fiat Deutschland gehört und zuendung.ch netterweise für einen Probegalopp überlassen wurde, gaukelte schon im Stand knapp 20 Km/h vor. Später sollte sich herausstellen, dass ab 20 Km/h alles in Butter ist, also die angezeigte Geschwindigkeit in etwa der realen entspricht. Dennoch wuchsen in mir Zweifel ob der Funktionsfähigkeit der Ladedruckanzeige, die sich so gar nicht bewegen wollte. Bis jetzt auf der A3 bei Tempo 160 Km/h. Allmählich nervt es, sich permanent von Autos überholen zu lassen, die es in ihrem Leben nicht zu einem einzigen Weltmeistertitel gebracht haben. Auf geht's, auf etwas zu langen Wegen zurück in den Vierten und pedal to the metal. Und dann bewegt sie sich doch, die Nadel der Ladedruckanzeige. Schlagartig schnellt der Zeiger auf 1,2 bar, um sich dann bei einem bar festzubeißen. Die in knalligem Rot lackierte Schrankwand namens Sedici schießt davon und schickt sich an, alles vor ihr in einen der zahlreichen Lüftungsschlitze zu inhalieren. Der Turbo-Kick kommt heftig, sogar schon deutlich unterhalb der obligatorischen 3000er-Marke, aber nicht so gewaltig, wie man es von einem Auto dieses Kalibers erwartet. Das Turbo-Loch ist bei der neuesten TDI-Generation deutlich ausgeprägter – wieder überrascht der alte Haudegen. Die Ladedruckanzeige verharrt bei einem bar.


Deutlich: Die Uhrensammlung wirkt nur auf den ersten Blick verwirrend.

Obwohl ein Analog-Instrument, arbeitet der Zeiger digital: Entweder alles oder nichts. Genau das denke ich mir, als mich entschließe, die Autobahn zu verlassen. Hier gehört der Delta einfach nicht hin. Zum einen, weil er dann doch recht alt gegen die diversen Außendienst-Beschleuniger aussieht und zum anderen wurde meines Wissens noch keine Rallye-WM wegen der absoluten Höchstgeschwindigkeit gewonnen. Und außerdem geht einem das Geböller der Reifen, die sich in den Fiat-Hallen wohl doch eckig gestanden haben, ziemlich auf den Keks. Inzwischen ist die Affe-auf-dem-Schleifstein-Sitzposition ins Blut übergegangen. Somit fehlt es auch nicht an Mut, den in diesem Pflegezustand sicher einmaligen Sedici in diejenigen Winkel des Odenwaldes zu jagen, wo sich Wildschwein und Wolpertinger (gibt's dort nicht wirklich, ist nur wegen der Alliteration) gute Nacht sagen. Keine Frage, hier entwickelt der Delta sofort Heimatgefühle. Nicht, weil er hier gebaut wurde, das war in Chivasso und nicht in Fürth im Odenwald. Aus dem dortigen Pirelli-Werk könnten höchstens seine 205 Millimeter breiten 16-Zoll-Reifen stammen. Die Geraden zwischen den Kurven werden nun proportional zu dem Kehrenwinkel immer kürzer. Die Präzision, mit der sich der nur 3,90 Meter lange Rallye-Recke auch heute um die Ecken schmeißen lässt, trifft mich ziemlich unvorbereitet. Fast fühle ich mich unwürdig, denn Hacke-Spitze-Fahren bekomme ich mit meinen Quadratlatschen nicht hin und Linksbremsen überlassen wir dann doch besser den Profis. Doch der Integrale nimmt es mir nicht übel, sondern kündigt einigermaßen verlässlich an, wenn die Haft- in Gleitreibung überzugehen droht. Die Ladedruckanzeige arbeitet nun voll digital, als der Delta zum Foto-Stopp auf die Burg Hirschhorn getrieben wird. Auch hier ist es wieder die Performance, die fasziniert. Der Sound, ein wichtiges Kriterium für italienische Automobile, dagegen nicht. Die Akustik erinnert vielmehr an einen Fiat Ritmo mit porösem Auspuff.


Gemütlich: Die Sitze sehen wohnlicher aus, als es die Sitzposition tatsächlich ist.

Bevor die erkleckliche Menge an Schmierstoff völlig erkaltet, gilt es, über die pausbäckigen Kotflügel und die herrliche Wölbung der Motorhaube hinweg Frankfurt anzupeilen, Fiat will sein bestes Stück Motorsportgeschichte wiederhaben. Doch welch' Überraschung, eigentlich will ich den Delta Integrale Sedici viel lieber behalten. Er ist keine Schönheit, doch die Proportionen stimmen. Er verliert auf der Autobahn gegen jeden besseren TDI, doch Kurvenräubern bringt so unendlich viel Spaß. Die Ergonomie ist katastrophal, doch die Alcatara-Recaros lassen mich ebenso wenig los wie das herrlich griffige Momo-Lenkrad. Und er ist eben doch eine Legende – deren Ladedruck-Anzeige sich nun für einen ganze Weile überhaupt nicht bewegen wird.