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zuendung

5. Januar 2014

Lancia Open

Lancia | 0 Kommentare

Sie waren die einst die besten und beliebtesten Fahrzeuge bei der Schweizer Kundschaft. In den 1950er und 1960er Jahren fuhr man mit Vorliebe amerikanische Fabrikate. Nicht unerheblich mitentscheidend für den Erfolg war sicher, dass ein Teil dieser Autos sogar in der Schweiz produziert wurde. Mit der Ölkrise verschwanden dann nicht nur die grossvolumigen V8, sondern […]

Sie waren die einst die besten und beliebtesten Fahrzeuge bei der Schweizer Kundschaft. In den 1950er und 1960er Jahren fuhr man mit Vorliebe amerikanische Fabrikate. Nicht unerheblich mitentscheidend für den Erfolg war sicher, dass ein Teil dieser Autos sogar in der Schweiz produziert wurde. Mit der Ölkrise verschwanden dann nicht nur die grossvolumigen V8, sondern mehr und mehr alle US-Importe. Qualitativ und vor allem auch technisch haben seither die deutschen und japanischen Hersteller die Oberhand. In den USA hat man sich dagegen primär auf Komfort und tiefe Kosten konzentriert.


Somewhere over the…: Wasserdicht ist die Flavia.

Und warum muss man das nun für die Beurteilung der neuen Lancia Flavia wissen? Weil sie im Prinzip nur ein Chrysler 200C ist, der mit ein paar Lancia-Abzeichen und dem schön geschwungenen Schriftzug am Heck versehen wurde. Dessen einzige herausragende Eigenschaft ist es, dass er neben dem Mazda MX5 das einzige Cabriolet ist, das sowohl mit festem Blechklapp- als auch mit Stoffdach erhältlich ist. Unter diesen Voraussetzungen muss man die Erwartungen etwas dämpfen, die nicht zuletzt mit der Bezeichnung "Flavia" geweckt werden. Immerhin war jenes Modell damals das letzte, das noch unabhängig von Fiat entwickelt wurde. Es konnte 1960 schon mit Scheibenbremsen, Frontantrieb und Leichtmetallmotor begeistern.


Italianità: Leider steckt der Stil hier praktisch nur im Schriftzug.

Doch zurück zur neuen Flavia. Wenn man irgendwie doch noch Parallelen zur historischen Namensgeberin suchen will, findet man diese am ehesten in der gestreckten, durchaus eleganten Form. Auf 4,87 Meter finden dann auch vier Personen relativ bequem Platz. Ich setze mich mal vorne links, wo ein Ledersitz ohne jegliche sportlichen Ambitionen zum Verweilen lädt. Also kurz den Zündschlüssel gedreht und den 2,4-Liter zum Leben erweckt. Der Vierzylinder entstammt dem Joint Venture von Mercedes, Hyundai und Mitsubishi. Er schöpft aus dem reichlich vorhandenen Hubraum eine Leistung von 170 PS. Das maximale Drehmoment von 220 Newtonmeter liegt erst bei 4500 Umdrehungen an. In den USA wird für diese Motorisierung tatsächlich auch noch ein 4-Gang-Automat angeboten. Wir hier in der alten Welt bekommen die Flavia mit einer modernen 6-Gang-Automatik.

Um ehrlich zu sein, so richtig modern ist das Räderwerk dann auch wieder nicht. Beim Anfahren fühlt sich die Flavia fast wie ein Turbodiesel alter Schule an. Die Automatik lässt zwar die Tourenzahl ansteigen, der Vortrieb bleibt aber bescheiden. Natürlich müssen zuerst die 1800 Kilos in Bewegung gesetzt werden. Dennoch würde man von 170 PS mehr Schwung erwarten. Das Phänomen bleibt leider nicht auf das Anfahren beschränkt. Egal bei welchem Tempo ich beschleunigen möchte, immer fühlt es sich an, als wäre der Antrieb irgendwie schaumgedämpft. Wo bei der Chrysler-Variante die Option des 3,6 Liter V6 bliebe, gibt es bei der Lancia Flavia leider keine Ausweichmöglichkeit. Bleibt zu hoffen, dass sich der Motor wenigstens in Sachen Benzinkonsum zurückhält. 9,4 Liter werden als Mixverbrauch angegeben.


Alles da: Sogar eine Analoguhr darf der Lancia präsentieren.

Natürlich ist ein Cabriolet immer mehr als die Summe seiner Teile. Doch dass vom Kofferraum beim Offenfahren nur noch eine Zwergenversion von 189 Liter übrig bleibt, muss trotzdem erwähnt werden. Damit können die vier Passagiere wohl kaum offen für ein Wochenende ins Tessin fahren. Immerhin bleibt für sie selbst genügend Platz. Offen fahren ist dann auch tatsächlich für alle ein Genuss. Über die Stellung der Seitenscheiben lässt sich die Windstärke recht gut regulieren. Sollten sich Regentropfen bemerkbar machen, fährt man besser kurz unter eine Brücke. Das Betätigen des Verdeckmechanismus' ist nämlich nur im Stand möglich.

Das passt zum Allgemeineindruck, den die Flavia bei mir hinterlässt. Ein wenig fühlt sie sich nämlich an, als stamme sie aus den frühen Nullerjahren. Dass sich das Verdeck nicht während der Fahrt öffnen lässt, wiegt da noch am wenigsten schwer. Störender ist die völlige Abwesenheit von Assistenzsystemen. Ebenso gibt es für die Flavia kein Xenon- geschweige denn LED-Licht. Das Testexemplar hat nicht einmal Parksensoren hinten, wobei sich die für 850 Franken bestellen lassen. Eine Rückfahrkamera, die für das doch massige Hinterteil von Vorteil wäre, gibt es auch gegen Aufpreis nicht.


Chrysler hat soeben den neuen 200 präsentiert. Ob es den wieder mit Lancia Emblem geben wird?

Wie sich die Flavia fährt, muss natürlich auch erwähnt sein. Sehr amerikanisch, muss ich sagen. Die lethargische Motor-Getriebe-Kombination wurde bereits erwähnt. Dazu passt eine leicht schauklige Fahrwerksabstimmung, die bestens auf die Highways im Land der unbegrenzten Möglichkeiten passen mag. Hier ist sie, wie die reichlich indirekte und gefühllose Lenkung dem Fahrerlebnis nicht eben zuträglich.


Verwandte: die Flavia und der Wrangler haben die gleichen Eltern.

In der Schweiz wird die Lancia Flavia mit dem 2,4 Liter Vierzylinder zweifelsohne eine absolute Randerscheinung bleiben. Da dürfte auch der der Werksangabe entsprechende Verbrauch von 9,5 Liter nichts ändern. Anders als beim Thema hat Lancia abgesehen von ein paar Markenemblemen praktisch nichts getan, um dem Chrysler seinen US-amerikanischen Charakter zu nehmen. So ist die Flavia zwar bequem und durchaus auch für vier Personen komfortabel, um offen zu fahren. Die Qualitätsansprüche, die man in Europa an ein Cabrio dieses Kalibers stellt, kann sie aber nicht erfüllen. Immerhin kann sie derzeit dank eines sogenannten CashBonus' für gerade einmal 36'500 Franken erworben werden.

Für kommende Modelle ist Lancia wieder mehr Eigenverantwortung zu wünschen. Schliesslich haben die Italiener mit Delta und Ypsilon aber auch mit dem Thema gezeigt, zu welchen Leistungen sie fähig sind.