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zuendung

24. August 2009

Nichts tun.

Citroën | 0 Kommentare

„Ich fahr dann mal los“ lache ich David, dem DS-Besitzer zu. Hinter dem Lenkrad sitze ich, der Schlüssel steckt, und nichts regt sich. Obwohl Betriebsanleitungen Lesen ziemlich unmännlich ist – und Ratschläge anhören sowieso – bin ich froh als David selbstverständlich von aussen die dicke Fahrertür öffnet und mir weiterhilft: „Schau, zum Anlassen musst Du […]

„Ich fahr dann mal los“ lache ich David, dem DS-Besitzer zu. Hinter dem Lenkrad sitze ich, der Schlüssel steckt, und nichts regt sich. Obwohl Betriebsanleitungen Lesen ziemlich unmännlich ist – und Ratschläge anhören sowieso – bin ich froh als David selbstverständlich von aussen die dicke Fahrertür öffnet und mir weiterhilft: „Schau, zum Anlassen musst Du einfach…“ Willkommen in der Citroën-Welt. Der Welt, in der eigene Naturgesetze herrschen. Zum Anlassen ist mit dem Schlüsselchen die Zündung einzuschalten. Dann mit dem an die Lenksäule angebauten Schaltheben nach links zu drücken, um den Anlasser zu betätigen. Gewusst wie! Und das ist erst der Anfang.


Erscheinung: Als in den 1950er Jahren die Citroën-Mannen die Déesse entwarfen, lieferten die anderen Autos reichlich Kontrast.

Kaum eine Anlassumdrehung braucht der längs eingebaute 2,3 Liter Einspritzmotor, um seine vier Zylinder in Takt zu bringen. David bemüht sich weiter um meinen erfolgreichen Start in die neue Welt: „Erster Gang nach vorne, zweiter Gang nach hinten, dritter Gang nach rechts, vierter ebenso.“ Der erste Gang ist eingerastet, eine Kupplung braucht dazu nicht gedrückt zu werden, schon damals gab es halbautomatische Getriebe. Die Kerneigenschaft vieler Citroën liegt im hydraulischen System, das dem Fahrer Aufgaben wie das Bremsen oder Lenken erleichtert. Auch „gefedert“ wird hydraulisch – und als Krönung der Hydraulik gab es im luxuriösen SM Coupé einst ölgetriebenes Kurvenlicht. In der Test-DS nimmt die Hydraulik dem Fahrer die Kuppelarbeit ab, übrigens längst so geschmeidig wie bei einem modernen, elektronisch gesteuerten Getriebe.


Hydraulisch: Lenkung, Getriebe, Bremsen, Radaufhängung – nichts erfordert Kraft, dank Öldruck.

Den Fuss von der Bremse genommen schwebt die Citroën-Dame los. Nach ein paar Metern verlangt der grossvolumige Vierzylinder bereits den zweiten Gang, Raufdrehen ist nicht sein Ding. Vielmehr liegen ihm die tiefen Touren, wo er den entspannenden Fahrstil mit reichlich Drehmoment würzt.
Schalthebel nach hinten ziehen. Erstes Raster: Leerlauf. Den Motor etwas von den Touren fallen lassen, dann Hebel zum Lenkrad ziehen: Zweiter Gang, Gas geben. Dasselbe Spiel – einfach von links nach rechts – wechselt von der zweiten in die dritte Stufe. Halbautomatisch schaltende DS-Piloten müssen sich mit vier Gängen begnügen. In Zeiten von Achtgang-Automaten erscheinen vier Fahrstufen ziemlich mager. Der Gleitcharakter der DS und der drehmomentstarke Graugussmotor lassen einen jedoch nicht mehr Gänge wünschen.


Kurvenlicht: Heute wieder in, lugten schon bei der DS die Scheinwerfer ums Eck.

David erspart mir einen weiteren peinlichen Moment, der viele als Citroën-Neulinge blossstellt: Der rechte Fuss tappt vergebens nach einem Bremspedal links vom Gas. Der DS gibt eine schwarze Gummihalbkugel anstelle eines „ordentlichen“ Pedals den Haltebefehl. Frische Citroën-Lenker – besonders Fahrer, die sich an ältere Wagen gewöhnt sind und Verzögerungsleistung noch mit Muskelkraft verbinden – ziehen bei der ersten Bremsung gleich vier schwarze Striche auf die Strasse. Selbst leichter Druck auf die Bremskugel gibt den Matrosen den Ankerbefehl.
Exkurs in Sachen Bremsgefühl: Das sanfte und leidenschaftliche Liebestalent der Französinnen (und wie einige sagen: der Franzosen) ist mit der Massentauglichkeit der Citroën-Bremse bewiesen. Jede Wette, bremste man genauso hydraulisch in anderen südlichen Ländern, deren BewohnerInnen feuriges Temperament nachgesagt wird, wäre der Reifenverschleiss verheerend.
Jedenfalls tippe ich die Kugel erstmal behutsam mit der vordersten Schuhkante an. Gemächlich verzögert die sanftmütige Maschine. Reine Übungssache.


Bremskugel: Kupplungs- und Bremspedal gibt es nicht, dafür eine Gummihalbkugel, die Bremsbefehle aufnimmt und gnadenlos umsetzt.

Nach einigen Kilometern über Land schwebe ich voll mit der Citroën-Legende mit. Lenkung, Schalterei – und eben die Bremsen – der Citroën-Göttin verlangen zarte Berührungen, wie einst die Mitschülerinnen am ersten Schulfez. Mehr will die Göttin nicht, sonst schüttelt sie ihre Fracht durch. Schnelle Schaltmanöver sind nicht ihr Ding, enge Kurven auch nicht. Sie will gleiten, bei Bedarf ziemlich ungestüm. Dem 2,3 Liter Vierzylinder entlockt sie keine PS-Rekorde, wofür er sie in der Disziplin Durchzug bestens entschädigt. Schnell über sanfte Hügel und durch langgezogene Kurven brettern ist kein Problem, wobei der vierte Gang in den meisten Situationen eingerastet bleibt. Gas antippen, den Rest erledigen die Newtonmeter. Dem schnellen Tun setzt der Seitenhalt – den es eigentlich gar nicht gibt – ein Ende. Bei hohen Geschwindigkeiten pfeifen die rahmenlosen Scheiben ein eigenartiges Lied, das so gar nicht zum Entspanncharakter der DS passt.


Stromlinie: Die hinteren Kotflügel lassen sich mit einer einzigen Schraube entfernen. Zum Radwechsel hebt die Hydraulik das Rad angenehm an.

Die DS beschenkt diejenigen reich, die versunken in der Sitzbank und in Gedanken durchs Land treiben möchten. Ein wenig wie auf einer Luftmatratze im sonnenbestrahlten Pool, den Drink in der Hand oder wie in unzähligen Filmen aus der Epoche, mit einer Zigarette im Mundwinkel. Alle Fahrkommandos brauchen ein Minimum an Kraft, alles ist auf Genuss ausgerichtet. Hydropneumatische Radaufhängung sorgt für geschmeidiges Abrollen. Und plötzlich drängt einen die Frage, wo der Fortschritt bei heutigen Autos geblieben ist. Noch immer drehen wir an schwergängigen Lenkrädern, treten wir Kupplungen, die nach festem Schuhwerk verlangen und begreifen Autofahren als Bedienung einer Maschine statt als Reiseerlebnis. Nicht umsonst schwören viele Künstler, Philosophen oder Dichter auf den französischen Klassiker des Nichtstuns…
Nur schon die ungewohnte Bedienung lässt sämtliche Modelle anderer Marken öde und konform erscheinen. Wer den Weg aus der Masse sucht, findet ihn über die französische Göttin garantiert. Sowohl innen wie aussen besticht der Wagen mit brillanten Ideen. Nach über 50 Jahren ist die DS im Strassenverkehr eine Erscheinung, die sich immer noch von allen anderen Fahrzeugen abhebt – und dies im Innern konsequent (ungleich anderen ungewohnt gestalteten Neuwagen) fortsetzt.

Merci David für den "Aus-Flug".