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zuendung

8. November 2008

Nine to Drive

Mitsubishi | 0 Kommentare

Der Mitsubishi Lancer Evo IX ist tot, es lebe der neue Evolution X. Doch auch mit dem neuen Flügelmonster geht Rallye-Profi Uwe Nittel wieder an den Polarkreis und lehrt die hohe Kunst des Quertreibens. Hier ein kleiner Vorgeschmack als Einstimmung auf den Winter. Ein armseliger Wicht bin ich, mehr nicht. Bis vor wenigen Minuten war […]

Der Mitsubishi Lancer Evo IX ist tot, es lebe der neue Evolution X. Doch auch mit dem neuen Flügelmonster geht Rallye-Profi Uwe Nittel wieder an den Polarkreis und lehrt die hohe Kunst des Quertreibens. Hier ein kleiner Vorgeschmack als Einstimmung auf den Winter.

Ein armseliger Wicht bin ich, mehr nicht. Bis vor wenigen Minuten war ich nach zwei Tagen intensiven Übens sicher, dass ich einigermaßen quer fahren könnte. Jetzt ist es ist dunkel am Polarkreis, dort wo Rentiere wahlweise auf den Straßen stehen oder auf den Tellern liegen und der Tourismusverein den Besuchern glauben machen möchte, dass der Weihnachtsmann hier oben wohnt. Im Kegel der Scheinwerfer wischen Bäume Zentimeter nah am zerfurchten Bug des Mitsubishi Lancer Evolution IX vorbei. Schneewände links und rechts, ein spiegelglatter Waldweg dazwischen, am Steuer des Flügelmonsters kurbelt Rallye-Profi Uwe Nittel. Auf der Rückbank plärrt mein Mitfahrer Holger, mittig sitzend, die Hände links und rechts im Haltegriff eingehakt, irgendwas von „Wahnsinn“ durch den Helm.

Uwe hält mit gefühlten 160 Sachen auf Kurven zu, bremst nicht, pendelt stattdessen den Wagen an, um ihn dann im rechten Winkel zum Kurvenscheitelpunkt auf die nächste Biegung hin zu prügeln – ungefähr vier Kilometer geht das so und stellt den Höhepunkt des viertägigen Mitsubishi Sportfahrertrainings dar. Geschüttelt und gerührt steigen Holger und ich aus dem Wagen und öffnen wortlos ein Karjala. Das finnische Bier hilft uns ein wenig, den Ritt beim ehemaligen Gruppe N-Vizeweltmeister sacken zu lassen. Nach dem zweiten Bier sind wir schon wieder der Meinung, dass wir uns auf dem Eis nicht so schlecht angestellt haben.


Heiß auf Eis: Reduzierung des Reibwertes auf ein Minimum. (Foto: Daniel Roeseler)

Gestern Morgen um kurz nach neun wurden wir und die anderen sechzehn Teilnehmer auf dem 200 Hektar großen Trainingsgelände von elf Lancer Evo begrüßt, allesamt ihres Heckstoßfängers, ihrer Seitenschweller und des ABS-Steckers beraubt und mit eigens von Kumho hergestellten Spike-Refen bestückt. Keine Erklärung der korrekten Sitzposition, keine Hütchen, die es zu Umfahren gilt. „Das ist ein Sportfahrertraining“, sächselt Instruktor Peter Corazza, ebenfalls Rallye-Profi. Von diesem Zeitpunkt an sind wir durchs finnische Unterholz und über zugefrorene Seen gedriftet, bis uns der Schweiß auf der Stirn stand. Zwei Tage lang. Erst verhältnismäßig gemütlich, aber doch immer schön eng zwischen Schneewänden hindurch. Ein bisserl ging mir schon die Muffe, denn der Evo leistet stolze 280 PS und der Turbo beißt bei knapp 3000 Umdrehungen erbarmungslos zu. „Spielt mal ein bisschen mit dem Differenzial und findet für euch die richtige Einstellung“, schnarrt Peters Stimme aus dem Funkgerät.


Der Schein trügt: Die Heckschürze war schon vorher weg, ehrlich. (Foto: Daniel Roeseler)

Drei Einstellungen gibt es, die Unterschiede sind auf dem spiegelglatten Untergrund sofort spürbar. Ich entscheide mich am Ende für Snow, denn da geht’s immer noch ausreichend quer voran, obwohl die Vorderräder genügend Kraft zugeteilt bekommen, um die Fuhre am Kurvenausgang gen Horizont zu ziehen. In der Asphalt-Stellung hängt mir der Evo mit seinem beflügelten Hinterteil meist etwas zu weit in den Schneebänken, was von Peter immer, aber auch wirklich immer gesehen und angemahnt wird.

Der Profi-Pilot aus der Deutschen Rallye Meisterschaft prägt in tiefem Dialekt das Motto der kommenden zwei Tage: „Der Nagel muss ins Eis“. Gemeint sind die Spikes auf den Kumho-Pellen, die durch geschickten Umgang mit der Bremse die Drifts durch bessere Traktion kontrollierbar machen sollen. „Ihr könnt’s mal mit Linksbremsen probieren“, fordert Peter. Ich muss lachen, obwohl ich dafür jetzt wirklich keine Zeit habe. Inzwischen haben wir den Kurs gewechselt, die Bahn ist jetzt länger, und die Schneewände enden an Bäumen.


Holger übernehmen Sie: Trotz Doppelbesetzung der Evos kommt jeder genug zum Fahren. (Foto: Drift and Drive)

Eben noch verlieh ich mit ein paar blöden Bemerkungen während des gelungenen Drifts die Freude über den Winkel in Richtung Holger Ausdruck, schon fliegt die nächste Kurve auf mich zu. Dabei habe ich alle Mühe zwischen Runterschalten, anpendeln, gegenlenken und Gas geben überhaupt mit dem rechten Fuß die Bremse zu treffen, um den weiten Drift genügend quer zu vollenden können. Linksbremsen. Die spinnen, die Sachsen. Minute um Minute, Stunde um Stunde peitschen so die Evos, lange Schneewolken hinter sich her ziehend, durch die Einöde. Die Querbolzerei strengt an. Meine letzten Prüfungen an der Uni sind schon ein paar Tage her, aber ich bin mir sicher, dass die meisten Klausuren kein annähernd so hohen Maß an Konzentration forderten, wie dieser Rallye-für-Anfänger-Kurs.

Wir befinden uns jetzt im Circus Maximus des Trainings-Geländes – ein ineinander verschlungener Kurs, ähnlich dem Race of Champions, bei dem bekanntlich pro Lauf zwei Fahrer gegeneinander antreten. Nicht bei Uwe, Peter und Wolfgang. Hier werden drei Fahrer aufeinander losgelassen, von denen noch kein einziger Rallye-Erfahrung gesammelt hat. Wolfgang, der jetzt das Kommando führt, heißt mit Nachnamen Weber und durfte sich 1995 die Krone des Rallye Europameisters aufsetzen. Mit Wolfgang haben wir auch den Dialekt gewechselt, jetzt werden die Anweisungen auf bayerisch gegeben. Zu meiner Überraschung bleiben alle Teilnehmer, einschließlich mir, auf der Bahn und werden Runde um Runde schneller. Bis jetzt glauben wir alle, dass wir richtig gut fahren können und immer mehr dazu lernen. Am Abend schließen wir Bekanntschaft mit der einheimischen Küche, die jedem Sportmediziner das Wasser in die Augen treiben würde. In Finnland ist es eben kalt, entsprechend gehaltvoll fällt das Rentier-Mahl aus. Das Essen trägt sich auch dazu bei, dass die Hotelbar von den Kursteilnehmern weitgehend verschont bleibt. Alle sind platt. Immerhin haben wir laut Tacho über 300 Kilometer runtergerissen. Tatsächlich werden es einige weniger gewesen sein, da bei diesem Training durchdrehende Räder zu den Grundlagen zählen.


Finnische Nächte sind lang: Die früh einsetzende Dämmerung macht das Üben nicht leichter. (Foto: Drift and Drive)

Tag zwei wird kaum weniger fordernd, da auch Nachtfahrten auf dem Programm stehen. Zunächst lernen wir auf einem zugefrorenen See, dass man durchaus auch im dritten oder gar im vierten trefflich driften kann, wenn die Kurven nur weit genug sind. Holger und ich im Geschwindigkeitsrausch, immer mal wieder kurz von unsanften Einschlägen in die Schneewände unter heftigem Fluchen unterbrochen. Aus dem Funkgerät sächselt es gelegentlich wieder, Peter erinnert uns daran, dass der „Nagel ins Eis muss“. Immer mehr der insgesamt 15 Kilometer langen Kurse werden erst in entgegen gesetzter Richtung gefahren und dann zusammengelegt. Am Tagesende sehen wir uns dann einer rund zehn Kilometer langen Wertungsprüfung gegenüber, die möglichst schnell bewältigt werden soll, was auf diesem Untergrund gleichbedeutend mit quer zu verstehen ist.

Der Parcours fordert mir alles ab, ich kurbele mir einen Wolf, mal geht’s schön quer, mal will der Nagel ums Verrecken nicht ins Eis. Nach einer Runde übergebe ich an Holger, der nun mit einigermaßen schneereichen, längeren oder auch spiegelblanken, spitzen Kurven zu kämpfen hat. Irgendwie hat Holger den Evo besser im Griff. Ich bin ein wenig frustriert. Zu diesem Zeitpunkt wissen weder Holger noch ich, dass am Ende des Tages sich jeder wie ein Wicht vorkommen wird. Also wird weiter gekurbelt. Auch ich zirkele eine flotte Runde über das Eis, Glückseeligkeit breitet sich in mir aus, wie es später nur noch das Karjala-Bier können wird.


Verschärfte Bedingungen: Dunkelheit und Schneegrisel lassen Monte-Feeling aufkommen. (Foto: Daniel Roeseler)

Die Sonne verkrümelt sich, der Polarkreis liegt im Dämmerzustand. Aus dem Funk erklingt nun wieder Radio Bavaria. „Weils ihr alle schön brav gwesen seids, gemma jetzt no amoi auf die Super Speziale“, sagt Wolfgang – und meint den Circus Maximus. Diesmal kommt dann doch das Bergungsfahrzeug zum Einsatz, nachdem ein Teilnehmer bei fast völliger Dunkelheit und Schnee-Gischt seinen Evo am Ende einer Geraden mit Schmackes und blockierenden Vorderrädern mittig auf der Schneewand geparkt hat. Kurz darauf wird es endgültig duster, der Tross nimmt wieder die zehn Kilometer-WP in Angriff. Spätestens in diesem Moment, wenn die Lichtkegel der aufgeblendeten Scheinwerfer zuckend über den Schnee wandern oder auf den Kurveninnenrand zielen, während ich zur Seitenscheibe auf die Fahrbahn hinaus ins dunkle Nichts blicke, fühle ich mich ein bisschen wie der große Walter.

Ein Gefühl, das eine knappe halbe Stunde später verpufft. Jetzt bin ich der Wicht neben, Holger der Wicht hinter Uwe Nittel. Mit ruhigen Bewegungen am Lenkrad und virtuosem Stepptanz auf den Pedalen scheucht der Schwabe einen Serien-Evo im perfekten WRC-Stil durch den Wald. Unschuldig fragt Uwe hinterher, ob’s Spaß gemacht hätte. Heimlich verfluche ich ihn. Jetzt muss ich Wicht im nächsten Jahr den Kurs noch mal buchen. Dann wird jedoch der neue Lancer Evolution durch das finnische Nichts getrieben.

Informationen zum Mitsubishi Wintertraining gibt's hier