Als ich pünktlich um 16:00 Uhr im luzernerischen Ballwil (bei Hochdorf) ankomme, zeugt zunächst nichts vom spektakulären Vierrad, dass mich hierher lockte. Grüter und Gut heisst das Unternehmen, das Vertretungen von BMW, Ducati und Moto Guzzi führt. Hm, mit Zweizylindern kennen sie sich also aus, denke ich und betrete den Showroom. Frau Grüter empfängt mich sehr freundlich und erklärt, eines der Probefahrzeuge sei gerade im Service und das andere, nun ja, französische Journalisten seien unterwegs damit. Diese wollten zwar um 16:00 längst zurück sein, was Frau Grüters leicht besorgte Miene erklärte. In der Zwischenzeit schaute ich mir die Ausstellungsstücke an: verschiedene BMW-Modelle, eine Ducati Monster und eine Moto Guzzi Breva. Ganz im Ecken stand es dann, das Eigengewächs: GG Quad lautet der schlichte Name dieses unglaublichen Gefährts.
Luzerner Originale: GG Quad vor dem Pilatus
Walter Grüter erklärt mir, dass weltweit bereits etwa 100 dieser ausgefallenen Vehikel in Betrieb sind. Die meisten davon in Deutschland und der Schweiz, aber auch einige in Russland. Mitten in unser Gespräch platzt die Ankunft der beiden Franzosen. Wild gestikulierend steigt der eine vom Quad, er scheint ebenso begeistert wie erschöpft zu sein. Alles was ich verstand war, dass es in den Armen viel Kraft brauche. Nun erklärte mir der Chef die technischen Eigenheiten des GG Quad: Armaturen wie bei BMW (Blinker also links und rechts, Blinkerrückstellung rechts), Schaltung und Bremse wie bei einem Motorrad (ebenfalls von BMW), Rückwärtsgang per Umschaltehebel an der rechten Seite (theoretisch hätte man also sechs Rückwärtsgänge). Beim Fahren solle man den Lenker bei der Geradeausfahrt nicht zu fest halten, in Kurven müsse man den Lenker auf der Kurvenaussenseite nach vorne drücken (also genau umgekehrt, wie bei einem Motorrad), ausserdem gelte es darauf zu achten, dass das hintere Rad auf der Innenseite nach innen ziehe, also nicht zu nahe an die Randsteine ran.
Nicht unbedingt der schönste Rücken, aber lange sieht man den sowieso nicht…
Als ich sage, ich sei in ca. einer Stunde wieder zurück, fordert mich Grüter nachdrücklich auf: "Also eine Stunde müssen Sie mindestens fahren. Die ersten zehn Minuten werden Sie denken 'Nich so das Wahre…', die nächsten zehn Minuten werden etwas angenehmer und nach etwa einer halben Stunde können Sie ein bisschen fahren". Ein bisschen fahren? Vom Chef persönlich eingeschüchtert steige ich endlich auf das orange Teufelsgerät. Bevor ich losfahre weist mich Walter Grüter noch auf etwas wichtiges hin: "Er kann wirklich nicht kippen!" Trotzdem: Wackligen Rades biege ich vom Parkplatz auf die vom Feierabendverkehr stark befahrene Hauptstrasse. Tatsächlich fühlt sich das an, wie auf rohen Eiern bzw. Rädern. Anfangs scheint es die Kraft beider Hände zu benötigen, eine anständige Kurve zu fahren. Im ersten Kreisverkehr komme ich gerade mal so bis zur richtigen Ausfahrt. Das kann ja heiter werden…
CNC-gefräste Teile machen das GG Quad zu einem Musterbeispiel an schweizer Qualitätsarbeit. Wunderschön!
Das orange Ungetüm hat immerhin 95 PS, der Anfänger braucht wohl nicht mal die Hälfte davon. Erstmals auf einer Landstrasse reissen mich die fetten OZ-Räder zum Rand und ich möchte am liebsten wieder runter von diesem vierrädrigen Motorrad. Doch dann gelingt mir zum ersten Mal eine Kurve. Wow. Es folgen weitere Bögen und Geraden. Und tatsächlich: Das Ding macht Spass, und wie! Dank Helm (wäre nicht obligatorisch) prallen Fliegen und neugierige Blicke am schwarzgetönten Visier ab. An diesem herrlichen Herbsttag fahre ich um den Sempachersee und zum Publikumstest durch die Altstädchen von Sempach und Sursee. Turning-heads-factor: 100%. Kaffeetassen werden über Hosen geleert, Autofahrer nehmen Kontakt zum Vordermann auf und ein kleiner Junge ist gar vom Skateboard gefallen.
Killerbee: Kein anderes Quad schaut so böse.
Doch GG Quad fahren ist auf jeden Fall mehr als nur Posen. Es bedeutet, ein völlig neues Fahrgefühl zu erleben. Denn durch das an der Hinterachse verbaute Differential, hebt er sich vom Quad- und ATV-Einheitsbrei auf wohltuende Art ab. Die offene Version hat wie bereits erwähnt 95 PS, was nicht zuviel ist. Das harte Fahrwerk würde bestimmt noch mehr vertragen, ein geübter Fahrer sowieso. Für Querfahrer steht die Differentialsperre in der Aufpreisliste. Am Testobjekt war sie ebenfalls eingebaut, was ich bei einem Wendemanöver auf Kies unabsichtlich testete. Die BMW-Schaltung passt hervorragend, für Autobahnfahrten ist der sechste Gang als Overdrive ausgelegt. Die Bremse wird per Fuss betätigt, was integral Hinter- und Vorderräder abbremst. Optional wird eine Handbremse für die Vorderachse angeboten. Für den Ästheten hat GG nicht nur funktional überzeugende Komponenten verbaut, in Sachen Rahmen vertraut man auf eine Eigenkonstruktion, die im angegliederten CNC-Betrieb gefräst wird. Diese Teile aus Flugzeugaluminium sind so schön, dass man sie losschrauben und in die Vitrine stellen möchte. Genau dieser typisch schweizerische Wille zur Perfektion dürfte auch den Preis hochgetrieben haben. 43'800.- CHF kostet das GG Quad in Grundausstattung, da tue ich gut daran, das Teil heil zurückzubringen…
Das passt: Die Rückspiegel sind sehr schön integriert und ausreichend gross.
Nach über eineinhalb Stunden pure fun kam ich in wieder in Ballwil an; ja, das GG Quad blieb vollständig erhalten. Frau Grüter konnte meinen Eindruck wohl am breiten ins Gesicht gemeiselten Grinsen ablesen. Zu einem Mitarbeiter sage ich: "Das Teil ist sensationell, einfach geil, aber das hört ihr wohl dauernd?" Er darauf ganz cool: "Ja, eigentlich schon". Einzig die etwas zu harte Sitzbank könnte ich kritisieren, ansonsten war ich fast zu begeistert von diesem Spassgerät. Und dann ist halt noch dieser Preis. So wende ich mich an Walter Grüter: "Wenn ich das Geld hätte, ich würde genau jetzt einen bestellen. Nur die Sitzbank war etwas hart." Die Sitzbank könne man schon etwas weicher machen, meint Grüter lächelnd. Auch Lackierungen im Stile grosser Formel 1 Teams seien möglich. Das kann kein Zufall sein.