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zuendung

19. November 2007

Ritt in der Retrokugel

Fiat | 0 Kommentare

Selten heizen Zahlen Gefühle an. Rote Zahlen in Bilanzen schlagen zwar die Farbe aus dem Gesicht des Eigners oder machen sogar einen roten Kopf. Positive Ausbrüche aber sind die Stärke italienischer Fahrzeugbauer. Drei Ziffern prangen am Heck des kleinen Fiat. 500, fünfhundert oder aber „Cinquecento“, hier gross geschrieben, weil die Zahl an sich ein Name […]

Selten heizen Zahlen Gefühle an. Rote Zahlen in Bilanzen schlagen zwar die Farbe aus dem Gesicht des Eigners oder machen sogar einen roten Kopf. Positive Ausbrüche aber sind die Stärke italienischer Fahrzeugbauer. Drei Ziffern prangen am Heck des kleinen Fiat. 500, fünfhundert oder aber „Cinquecento“, hier gross geschrieben, weil die Zahl an sich ein Name ist. In den 1950er Jahren, beim „echten“ 500, der dem neuen Vorbild ist, bezog sich der halbe Tausender auf den Hubraum des italienischen „Volks-Automobils“.

Die Wiederauflage begnügt sich aber längst nicht mehr mit einem halben Liter. Genau genommen müsste die von uns geprüfte Maschine 1400 heissen – Millaquattrocento klingt auch so schlecht nicht, nur könnte Fiat damit nicht an die Fünfhunderter-Tradition anknüpfen. Fiat schafft den Anschluss an die einstigen grossen Tage übers Auge des Betrachters: Von aussen ist alles klar, der Neue ist ein 500, ganz klar. Der Betracherpuls schnellt hoch, soo süss! Autokauf ist zu einem grossen Teil wortwörtlich Ansichtssache, das Auge kauft mit. Und schliesslich funktioniert der Trick mit der Retrohaut bei BMW bzw. Mini sensationellstens, zumindest was die Zahlen anbelangt. Wobei damit nicht die Modellbezeichnung gemeint ist, sondern die eiskalt und emotionslos (sorry liebe Buchhalter) berechneten Aufwands- und Ertragszahlen. Fiat fährt also auf bewährter Schiene (mit demselben Designer, der den new Mini schuf). Und zwar zu Recht, finden wir.

Unter der Haube schnaubt das Fünffache der ursprünglichen Pferdetruppe, 100 PS. Mit nur gut einer Tonne Lebendgewicht stürmt der 500 ordentlich vorwärts. Natürlich kriegen geneigte Benutzer auch den kleinen 1200er Einstiegsmotor. Wir finden aber: Wer sich so ein nettes Wägelchen gönnt, sollte auch am Vorwärtsfaktor nicht sparen. Für Sportsfreunde mindestens auf gleicher Höhe wie der 100PS-Benziner liegt der 1300er Turbodiesel. Erfahrungen fehlen uns da noch, bei Gelegenheit berichten wir aber gern über das Drehmomentmonster.

Technisch baut der 500 auf dem Fiat Panda auf. Bodengruppe, Antrieb, Elektronik usw. leiht also der Erfolgswagen Panda. Und das ist gut so, die Technik ist bewährt und spielt beim aufs Aussehen bemessenen 500 eine untergeordnete Rolle. Im Vergleich zum Panda verliert er zwar zwei (beim Panda äusserst praktische) Türen, gewinnt aber durch die neu entwickelte Carrosserie zwei Punkte beim NCAP Crashverhalten (insgesamt fünf Punkte!). Innen fallen die hochwertigen Materialien auf. Schwarzer Cockpit-Kunststoff, verchromte Türgriffe usw. Fein anzufassen. Die Ausstattung hält mit dem hochwertigen Eindruck mit: USB-Anschluss für MP3-Player, automatische Klimaanlage usw. Die Insassen werden vor allem hinten dauernd daran erinnert, dass der 500 immer noch ein Kleinwagen ist.

Fahreindrücke hätten wir beinah vergessen zu sammeln, derart fixiert auf das Äussere waren wir während dem Ritt im 500. Wie viele Köpfe sich wohl in der Stadt danach umdrehen würden? So viele wie erwartet waren es nicht. Am gelungenen Retrodesign kann es nicht liegen. Wir schieben die Schuld an den ausbleibenden Reaktionen der enormen Kälte, der weissen Aussenfarbe und dem grauen November zu. Von den Mitmenschen im näheren Umfeld werden die Testfahrer jedenfalls mit beinahe lästigen „und, wie ist er?“ belagert. Um es verbindlich zu machen: Er sieht toll aus, ist toll gemacht, fühlt sich toll an – und fährt sich auch toll. Nicht ganz so scharf wie der Panda 100HP zwar, mit dem er sich die Mechanik teilt. Wie beim Retro-Käfer von Volkswagen, rutschte der Motor auch beim 500 vom Heck nach vorne unter die klassische Motorhaube. Trotzdem passt die Charakteristik „klein und flink“ zum 500 wie zu kaum einem anderen Automobil in diesem Format. Griffiges Lederlenkrad, knackiges Fahrwerk und ein exakt geführtes Sechsgang-Getriebe. Perfekt für die Stadt. Entgegen anderen kleinen Wagen gelingt das Parkmanöver in enge Fleckchen, weil die Rundumsicht gut ist.

Als nicht ganz Fiat-mässig erscheint uns die Preisskala. Für ein paar Tausender weniger fährt man mit einem gleich ausgestatteten und gleich motorisierten Panda 100HP beim Fiathändler vom Platz. Einziges Detail: The looks. Und für the looks sind bekanntlich viele Menschen bereit, ein hübsches Sümmchen locker zu machen. Für die etwa 23'000 Franken erhält der geneigte Fahrer aber eine gehörige Portion Automobil mit allen Extras – inklusive einer Extraportion Italianità. Gebaut von derselben Firma, vom selben Geist wie damals (ist der Seitenhieb auf die Firma Mini/BMW offensichtlich?).

Ganz grosse Klasse finden wir von zündung.ch, wie Fiat aus Tradition und Zukunft keinen Spagat, sondern eine eigene Identität macht. Noch eine Klasse darüber würden wir die Verschmelzung der Zahl 500 und dem Skorpionsymbol – Abarth – einstufen. Da muss man nicht lange träumen, denken wir.

Einmal mehr herzlichen Dank an Herr und Frau Maier von der sympathischen Fiat-Garage in Winterthur Töss für die unkomplizierte Testfahrt.