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zuendung

13. August 2012

Seltener Schwede

Volvo | 0 Kommentare

Uns wurde vor kurzem – der gütige Zufall wollte es – in Schweden für eine Woche ein in der Schweiz eher seltenes Auto zugeteilt, ein Volvo S80. Der Volvo S80 ein seltenes Auto? «Jeder kennt ihn, keiner fährt ihn» ist man versucht zu sagen, wenn man die Zulassungsstatistik von auto-schweiz anschaut: Gerade mal pro Woche […]

Uns wurde vor kurzem – der gütige Zufall wollte es – in Schweden für eine Woche ein in der Schweiz eher seltenes Auto zugeteilt, ein Volvo S80.

Der Volvo S80 ein seltenes Auto? «Jeder kennt ihn, keiner fährt ihn» ist man versucht zu sagen, wenn man die Zulassungsstatistik von auto-schweiz anschaut: Gerade mal pro Woche 1 (in Worten: EINER) wurden in diesem Jahr in der Schweiz verkauft. Selbst Aston Martin Vantage oder Ferrari California wurden häufiger verkauft. Und die 35 S80, die von Januar bis Juli ausgeliefert wurden, sind 40 bis 50 mal weniger als BMW 5er (1‘762), Audi A6er (1‘588) oder Mercedes E-Klassen (1‘472) ausgeliefert haben! Wer – in der Schweiz – einen Volvo S80 fährt, fährt also durchaus ein seltenes Auto.

Inwiefern das berechtigt sei oder nicht, lassen wir jetzt mal unbeantwortet, ebenso wenig wollen wir rätseln, warum der S80 im Vergleich zu seinen Mitbewerbern so selten ist.


Unauffällig, diskret, aber zeitlos elegant

Die Top-Limousine von Volvo ist 4.85m lang und hat einen Radstand von 2.84m, gut 1.49 m hoch sind die S80 und über die Spiegel 2.11 breit; er ist also ein ganz beachtlich grosses Auto. Aber der S80 fällt überhaupt nicht auf. Er sieht aus wie ein typischer Volvo, unauffällig, fast bescheiden und brav. Definitiv kein Auto für Blender.

Die Motorisierungen des S80 beginnen mit dem 1600er Diesel mit 115 PS (D2), der in der niedrigsten Ausstattungsvariante bereits ab 43‘700 Franken zu kaufen ist. Bei den Benzinern ist es ebenfalls ein 1600er, der die Basis bildet, aber 180 PS leistet. Das geht dann weiter hinauf bis zum Topmodell, dem Reihensechszylinder mit AWD und 304 PS für 80‘000 Franken.

Der Fahrberichtswagen
Unser neuer S80 verfügte über den Top-Diesel, einen 2,4 Liter grossen 5-Zylinder mit 215 PS (genannt D5) und 440 Nm Drehmoment ab 1‘500 und bis 3‘000 U/min. Die 6-Gang-Automatik, genannt Geartronic, beschleunigt den leer rund 1‘650 Kg wiegenden S80 in 7,8 Sekunden auf 100 Km/h, einen Zehntel schneller als die handgeschaltete Version.
In der zweithöchsten Ausstattungsversion Summum verfügt der S80 2.4 D5 über ausserordentlich viel Sicherheits- und Komfortausstattung, Ledersitze, „Dual-Xenon mit aktivem Kurvenlicht“, elektrische Sitze, grosses, aber etwas umständlich zu bedienendes Navi, bis zum «High Performance Multimedia-System», mit Radio, DVD für Filme und Musik, … Dank dem eingebauten Xenium Pack verfügte unser S80 auch über ein riesiges Schiebedach, Parkhilfen vorn und hinten, heizbare Sitze und einen elektrisch verstellbaren Beifahrersitz.
Was fehlt, sind die heute bei den Konkurrenten (sogar den moderneren aus dem eigenen Hause) allgegenwärtigen Assistenten, Hilfen und Notsysteme: Notbrems-, Ausweich-, Spurhalte-, Abblend-, Abstands-, …


Der Laderaum ist gross (480 lt.), die Kante nicht allzu hoch …

63‘900 Franken kostet der S80 2.4 D5 Geartronic Summum, plus 2‘300 Franken für das Xenium Pack, total also 66‘200 Franken. War die bisherige Meinung, Volvos seien teuer bis zu teuer, falsch? Das Preis-/Leistungsverhältnis für was man da an ausgereifter, komfortabler, ja luxuriöser Autotechnik erhält, scheint uns ausgezeichnet.

Ja und wie fährt er sich?
5-Zylindermotoren sind bekanntlich nicht gerade als Leisetreter bekannt. Unser Volvo-Diesel ist nur beim Kaltstart und ausserhalb des Autos als Diesel erkennbar. Im Auto drin und wenn warm ist kaum zu hören, dass überhaupt der Motor läuft. Das ist wohl einer der diskretesten Diesel. Nur gerade, wenn – bspw. für einen rassigen Überholvorgang – die volle Kraft abgerufen wird, ist der Motor sympathisch kernig zu vernehmen.

Das Interieur ist sehr edel, gediegen, aber auch etwas konservativ.

Dass der Volvo S80 jederzeit ein absolut sicheres Gefühl vermittelt, wohl zu Recht, braucht nicht extra betont zu werden. Die Sitze sind eher hart, geben dafür aber guten Seitenhalt. Der Motorstart erfolgt auf Knopfdruck, nachdem man das recht grosse „Zündungskästchen“ in die vorgesehene Öffnung gesteckt hat.
Die 6-Gang-Geartronic schaltet angenehm und schnell, die Übersicht über das grosse Auto ist nicht schlecht, auch ohne Rückfahrkamera.

Der Kofferraum hat zwar eine Ladekante, fasst aber standesgemässe 480 Liter. Dank 560 Kg Zuladung können auch ein paar schwerere Personen UND Feriengepäck transportiert werden. 100 Kg dürfen zudem bei Bedarf aufs Dach gepackt werden.

Der Handschalter soll einen Gesamtverbrauch von nur 4.6 Liter aufweisen (= 120 g CO2/km, Effizienz A), der Automat einen solchen von 6.1 Liter (159 g, Effizienz C). Der Mehrverbrauch von 1.5 Litern für die Geartronic ist happig, gibt es doch heute moderne Automaten, mit denen sogar weniger Treibstoff verbraucht wird. Die Frage ist wohl, wie viel über den 4.6 Litern der Handschalter wohl effektiv verbraucht.
Unser Automat verbrauchte effektiv 6.67 Liter. Gut, in Schweden fährt man weniger hektisch als bei uns, auf der Autobahn mit nur 110, ausserorts je nachdem mit 70, 80 oder 90 Km/h, oft für längere Strecken. Aber es war doch auch recht viel innerstädtischer Verkehr dabei, mit viel verbrauchsförderndem Abbremsen und Wiederbeschleunigen (Strassenschwellen, sog. farthinder). So gesehen sind die 6.67 Liter für ein so grosses Auto ein ausgezeichneter Wert.


Die Bordcomputeranzeigen sind im Tacho und im Drehzahlmesser, sehr schlicht und fast zu diskret.

Dass Volvo in der Schweiz 5 Jahre Garantie gewährt, 10 Jahre lang oder während 150‘000 Km den Service gratis ausführt, sogar 3 Jahre lang (oder 150‘000 Km) auch Verschleissreparaturen bezahlt, müsste sich eigentlich ebenfalls verkaufsfördernd auswirken.

Wenn es also weder am Preis noch an den Garantien liegt, nicht an der Qualität, der Sicherheit, der Komfortausrüstung, auch nicht am Verbrauch und ebensowenig an der Leistung, was führt dann dazu, dass in der Schweiz in 7 Monaten nur 35 Volvo S80 einen Käufer finden, während in der gleichen Zeit je um die 1‘500 5er, E und A6 auf die Strasse kommen?


Sehr schön zu fahren, kraftvoll elegant, zeitlos, vielleicht unterschätzt, reisst aber (leider) niemanden zu Begeisterungsstürmen hin.

Nun, der nicht mehr ganz taufrische S80 ist halt vielleicht einfach zu seriös und zu konservativ, kurz, zu brav, aber für den nächsten Autokauf sicher eine Überlegung wert. Vor allem, wenn man nicht auffallen will.

Heiny Volkart, VOLKARTpress