Seite wählen

zuendung

26. Februar 2012

Size it up!

Dodge | 0 Kommentare

6,4 Liter Hubraum, verteilt auf acht Zylinder. Die Konzernmutter Fiat könnte damit gut sieben der neuen TwinAir-Motoren „füllen“. Entsprechend respektvoll nähern wir uns diesem Automobil, das wie kaum ein anderes noch nach den Idealen des motorisierten Abenteuers strebt. Es zeigt unverschämt seine Muskeln und knüpft mit dem gelungenen Retrodesign nahtlos an die einstige Muscle Car-Jahre […]

6,4 Liter Hubraum, verteilt auf acht Zylinder. Die Konzernmutter Fiat könnte damit gut sieben der neuen TwinAir-Motoren „füllen“. Entsprechend respektvoll nähern wir uns diesem Automobil, das wie kaum ein anderes noch nach den Idealen des motorisierten Abenteuers strebt. Es zeigt unverschämt seine Muskeln und knüpft mit dem gelungenen Retrodesign nahtlos an die einstige Muscle Car-Jahre an. „392 Hemi“ an den vorderen Radläufen spricht das US-Amerikanisch der goldenen Zeit. Öl war genug da, den Hunger nach raschem Vorankommen stillte man mit mehr Hubraum. Bis 500 Kubikzoll und darüber. Helden wie Kowalski trieben den Challenger einst über die Leinwände, was „Hemi“ ein für alle Mal mit Reifenqualm, Sound und Geschwindigkeit verband. Die Brennräume sind beim aktuellen V8 zwar nicht mehr ganz hemisphärisch. Steht man aber mit dem Schlüssel in der Hand vor dem Challenger, interessiert das niemanden.

Der Wagen ist frisch aus den USA angekommen und scheint nicht nur sich selbst, sondern auch eine Portion der Lebensart aus Übersee mitzubringen. Öffnen per Fernbedienung quittiert ein Hupton, die grossen Türen wollen einen in der engen Parklücke nur knapp einsteigen lassen. Kupplung durchtreten, Anlassknopf drücken: Der schwere Anlasser dreht die geschmiedete Kurbelwelle hör- und spürbar, bis der V8 mit einem eindrücklichen Gasstoss Lebenszeichen sendet. Das benzingewaschene Hirn lässt einen dabei in Gedanken Lederhandschuhen straff ziehen, den Helm und Raybans zurechtrücken.

Auf den ersten Kilometern fährt sich der Dodge wie ein üblicher Wagen breiteren Zuschnitts. Er wirkt gross, ist aber überraschend handlich. Mit dem skistockähnlichen Schaltgriff muss man sich erst vertraut machen. Er erinnert an Nutzfahrzeuge und bewegt die sechs Gänge des Tremec TR6060 Getriebes präzise und gefühlvoll. Motor und Getriebe sind über eine massive Zweischeibenkupplung miteinander verbunden. Sie fällt durch den typischen langen Pedalweg zwischen Druckpunkt und vollem Kraftschluss auf. Dazu später mehr. Hauptaufmerksamkeit erhält die Kraftquelle: 470 PS und 640 Nm verspricht das Datenblatt, was beim Gasgeben aber eher eine Nebenrolle spielt. Die achtzylindrige Maschine begeistert in allen Lebenslagen mit dem erstrebenswertesten aller Geräusche, selbst beim Dahinrollen ist es, als ob der Spritzwand sämtliche Isolation fehlte. Sobald das Öl warm wird, legt unser Testfahrer ein Brikett nach. Der Hemi nimmt spontan Gas an und dreht gierig hoch, egal ab welcher Drehzahl. Hiermit teilt er zwar die guten Eigenschaften eines Elektromotors, schlägt dessen Gefühlsregungen jedoch um Welten: Unser Testteam schreit vor Glück und öffnet bei Minusgraden die Fenster, nur um der Klangquelle noch näher zu sein.

Es dauert dutzende Kilometer, bis die Gefühlsregungen wieder im Griff sind. Inzwischen schätzt man auch die von Brembo zugelieferte Bremsanlage, die gar nicht retromässig, sondern rasch verzögert. Im Vergleich zum seit 2008 gebauten Challenger SRT hat unser 2011er an 0,3 Litern Hubraum und 40 PS zugelegt. Mit dem ursprünglichen Hemi-Aggregat aus den 1950er Jahren verbindet die aktuelle Maschine nicht mehr vieles. Das Gehäuse ist noch aus Grauguss, die Köpfe nun aus Aluminium. Die Zweiventiltechnik – heute mit Doppelzündung – sowie die zentrale Nockenwelle sind erhalten geblieben. Letztere ist verstellbar, zudem verfügen Wagen mit Automatikgetriebe über Zylinderabschaltung (je zwei pro Seite). Diese Massnahmen bringen Kraft in allen Lebenslagen – bei zeitgemässen Trink- und Abgassitten. Trotz eher behäbiger Technik dreht der V8 in ungewohnter Manier bis zum Maximum bei 6200 Umdrehungen, wo der Begrenzer unzimperlich eingreift. Man würde gern weiterdrehen, wobei die Fuhre im nächsten Gang genauso weitergeht.

Das Fahrwerk vertraut auf viele Teile aus dem Daimler-Regal, das den Entwicklern zu Zeiten der deutsch-amerikanischen Ehe offen stand. Die Vorderachse stammt von der W220 S-Klasse, die Fünflenker Hinterachse samt Differenzial von der W210 E-Klasse. Die Abstimmung ist komfortorientiert und erinnert eher an Limousinen denn an „German Sportscars“. Auch die Elektronik hat stuttgarter Wurzeln. Sie lässt sich – als weiteres Zückerchen des Muscle Car Feelings – übrigens ausschalten. Wendemanöver und Kreiseldurchfahrten werden somit und dank der kräftig zupackenden Kupplung zum Kinderspiel, quasi Strassenzeichnungen für Erwachsene. V8-Gebrüll gepaart mit zur Fahrspur nach aussen versetzter Hinterachse setzen pure Glückshormone frei. Allerdings sollte man genau aufpassen, mit wem man dieses Erlebnis teilt. Nicht alle Verkehrsteilnehmenden teilen den Glauben an den Hinterradschlupf. Der eine oder andere hebt den Daumen beim Beobachten des Geschehens, vor allem aber Beobachterinnen reagieren selten mit Zustimmung.

Man bewegt sich rasch und oft in dünkleren Regionen der Strassenverkehrsordnung. Das kann man auch mit einem BMW M3 tun, unser Dodge scheint im Gegensatz zum gewohnten Grau der Deutschen Sportler mit seiner Form und Farbe seine Machenschaften geradezu zu verschreien. Etsprechend dürfte es schwer sein, mit dem Challenger der Schwiegermutter zu gefallen, wobei das ja auch nicht das erklärte Ziel eines Muscle Cars ist. Genausowenig wie Verbrauchswerte auf Prius-Niveau. Den Challenger gäbe es übrigens mit „kleinem“ Pentastar V6 (4-Ventil, 305 PS), doch wäre das wie eine 747 mit Propellern zu befeuern, unter dem Strich geht das nicht auf. Zum Muskelpaket gehört ein grossvolumiger, kräftiger und effektvoller Achtzylinder, der die Hinterreifen bei Bedarf in Staub verzaubert. Der Dodge kann aber auch anders, wir haben ihn als angenehmes Reisecoupé kennengelernt. Bei 120 km/h schnurrt der V8 mit entspannenden 1800 U/min. Rücksitze und ein Kofferraum sind vorhanden, sind aber kaum von praktischer Bedeutung.
Mit dem Downsizingtrend kommt viel Gutes auf unsere Strassen, wie die drehmomentstarken Turbomotoren. Nichts aber ist so gut wie Kraft, die wie aus der Pistole geschossen unmittelbar da ist – und dies wie der Donner nach dem Blitz mit furchteinflössendem Krach unterstreicht. Gänsehaut! Und Dodge hat in Detroit eben einen Challenger „Redline“ mit 426 CID gezeigt. Das wären dann 7,0 Liter Hubraum.
Den schwarzen Challenger mit „Dual Full Body Stripes“ und allen Extras gibt es in Winterthur bei der Schlosgarage für 74'900 Franken.