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zuendung

1. Juni 2006

Teenage Mutant Hero Turtle

Mitsubishi | 0 Kommentare

Nachdem alle Stil bewussten zuendung.ch-Leser mit dem Fahrbericht über den zweifellos wohlproportionierten Wiesmann Roadster befriedigt wurden, ist es nun wieder an der Zeit, die Keule auszupacken. Wer eine Folge Miami Vice anschauen kann, ohne beim Anblick von Don Johnsons weißen Lederslippern Pickel zu bekommen und wer mit dem Namen "Willy Koenig" etwas anzufangen weiß, der […]

Nachdem alle Stil bewussten zuendung.ch-Leser mit dem Fahrbericht über den zweifellos wohlproportionierten Wiesmann Roadster befriedigt wurden, ist es nun wieder an der Zeit, die Keule auszupacken. Wer eine Folge Miami Vice anschauen kann, ohne beim Anblick von Don Johnsons weißen Lederslippern Pickel zu bekommen und wer mit dem Namen "Willy Koenig" etwas anzufangen weiß, der ist bereit für den Lancer Evolution IX von Mitsubishi.


Große Show: Der Evo IX polarisiert wie kein Zweiter.

Das Styling der biederen Mittelklasse-Limousine war schon in den Achtzigern derart veraltet, dass die Japaner beschlossen, es 2006 als Outlaw-Youngtimer auf den Markt zu werfen. Korrigiere: 2003, denn der Evo VII sah ja kaum anders aus. Im Innenraum wurden sämtliche Restbestände an Kunstoffen aus eben jener Epoche aufgebraucht. Und wer sich an der einfachen Digital-Uhr stört, sollte mal in einen Lexus RX 400h schauen. Doch zurück zum Evo. Das Vehikel des Grauens wurde noch mit Sieb-ähnlicher Motorhaube, tiefer und zerklüfteter Frontschürze, der Mutter aller Heckflügel – offenbar ein Enkel des Ur-Sierra-Cosworth-Tresen – sowie einem Abluftrohr einer Tokioter Garküche als Auspuff aufgepeppt.


Reingreifen und Gas geben: Hier will keiner mehr raus.

Und dennoch finden sich bei jedem Stopp mit dem Evo zahlreiche breit-behoste und seltsam bemützte Teenager ein, die wie hypnotisiert ihr mobiles Telefon verkehrt herum auf das Auto richten um Bilder zu schießen. Woran liegt das wohl? Klar, der Playstation-Generation ist der Japaner aus diversen Streetracer-Spielen kein Unbekannter. Auch unvoreingenommene Betrachter könnten anhand der Brembo-Bremsen hinter den mattschwarzen BBS-Rädern, des stattlichen Ladeluftkühlers, der Recaro-Sitzgarnitur und des grazilen Momo-Lenkrades das eigentliche Wesen des Allrad-Ninjas erkennen. Hat man sich zwischen Kommandostand und Sitzschale optimal eingepasst, beginnt der ganz große Spaß mit dem ganz großen Flügel. Nach dem Schlüsseldreh schnellt die Nadel des Drehzahlmesser zunächst nervös auf die 2000er-Marke, verweilt dort ein paar Sekunden, dann beruhigt der Vierzylinder sich allmählich. Genosse Turbolader schläft zu diesem Zeitpunkt. Noch. Wer jetzt das Gaspedal niederdrückt erlebt – nichts, außer Motorgeheul. Also mit starker Hand ersten Gang einlegen, mit angespannter Wade Kupplung kommen lassen – und es passiert wieder nichts. Na ja, zumindest kaum mehr als beim ersten Versuch, denn unser Freund, der Turbolader, ist ein Traditionalist. Will heißen, der Lader wird erst ab 3000 Umdrehungen munter, springt dann aber gleich aus dem Bett und nimmt seinen ersten, tiefen Zug aus der Pulle.


Trinkfest und gar nicht arbeistscheu: Der Zweiliter-Turbo.

Der Evo schießt ohne jeglichen Traktionsverlust nach vorne, als habe er die Witterung nach dem weltbesten Super-Plus-Gebräu aufgenommen. Davon kann der Japaner nie genug bekommen, was die Verbindungsetappen zwischen den Tankstopps äußerst kurzweilig gestaltet – mit betonung auf "kurz". Die 350 Newtonmeter reißen an, bis sie bei 3500 Umdrehungen alle versammelt sind. Der Gasfuß bleibt untern, der Blick haftet auf dem zentralen Drehzahlmesser. Bei 6500 Umdrehungen sind die 280 PS vollzählig angetreten, doch die Nadel schraubt sich weiter vorwärts. Andere Turbomotoren hängen zu diesem Zeitpunkt längs stotternd im Begrenzer. Dem Evo widerfährt das erst kurz bevor der Zeiger die 8 überholt. Sind alle sechs Gänge (endlich, Nummer Acht hatte nur fünf) durchgerissen, war nach 5,7 Sekunden die 100 km/h-Mauer pulverisiert und man nähert sich mit dem Topspeed von 250 km/h. Wenn die Straßenbauer nicht absolut perfekte Arbeit geleistet haben, muss nun der Pilot dafür büßen. Die 235er Bridgestone-17-Zöller laufen jeder Ameisenfurche im Asphalt nach. Die nötigen Lenkkorrekturen müssen allerdings mit höchster Sensibilität ausgeführt werden, denn die Lenkung hat nichts von der messerscharfen Präzision eingebüßt, mit der schon der Vorgänger verblüffte. Baut Victorinox eigentlich Lenkgetriebe?! Ach, dem BMW 330i-Fahrer, zu dessen Unterhaltung die, ähm, selbstbewusste Optik des Evo eben an der Ampel noch beitrug, sind inzwischen längst die Gesichtszüge entgleist. Im Gegensatz zum Bayern regelt den Evo beim Spurt keine Stabilitätskontrolle herunter, sondern der Allrad treibt ihn voran. Dafür hilft dann aber auch bei erreichen des Grenzbereichs kein Rettungsanker. Diejenigen, die Spaß an der puristischen Fortbewegung haben, wissen die Reduktion der Elektronik auf ein Minimum durchaus zu schätzen. Schließlich will man ein Auto wie den Evo beherrschen lernen und dabei nicht von übereifriger Technik eingebremst werden.


Dickes B: Bridgetsone, BBS und Brembo braucht der Mensch.

An Bord sind immerhin ein Sport-ABS sowie der Allradantrieb mit ausgefuchstem Mitteldifferenzial, dessen Praxisnutzen jedoch nur bei höchst unterschiedlichen Fahrbahnzuständen zum Tragen kommt. Der optimale Fahrbahnzustand für den Evo ist in erster Linie der möglichst häufig und eng gebogene, gerne auch mit einem beträchtlichen Steigungswinkel. In Deutschland erzählt man sich, dass diese Ideal-Bedingungen besonders häufig in der Schweiz zu finden sind – unser Testwagen musste sich leider diesseits der Grenze austoben. Ganz wichtig dabei: Die Drehzahl nie unter 3000 fallen zu lassen, als immer fleißig im Getriebe rühren. Angestammte Bremspunkte dürfen dank der bissfesten Brembos weiter nach hinten verlegt werden. Den optimalen Einlenkpunkt zu finden, obliegt wie in jedem Auto dem Können des Fahrers. Sollte es damit einmal nicht soweit her sein und als unangemessene Reaktion auf den zu schnell nahenden Kurvenrad der hektische Gaspedal-Lupfer folgen, wird's interessant. Dass dann das Heck ein bisserl kommt ist klar, vor allem, wenn die Kurve eine spitze ist. Auch hier darf die Reaktion nicht zu wild ausfallen. Denn so hilfreich die super-direkte Lenkung beim Pässe-Wetzen auch ist, jetzt muss ein moderates Gegenlenken her.


Na denn Prost: Unter 18 Liter kommt man selten 100 Kilometer weit.

Hat man den Bogen einmal raus, fesseln die Recaros umso mehr. Aussteigen unmöglich. Aber nötig, denn der 55 Liter-Tank reicht selten für mehr als 250 Kilometer. Und an der Tanke stehen sie dann wieder, breit-behosten, seltsam bemützten Teenager. Und all jene, die glauben, sie hätten Stil, wenden sich schaudernd ab, lachen vielleicht. Noch.