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zuendung

17. Mai 2006

Tele-Gym

Audi | 0 Kommentare

Beginnen wir mit einer kleinen Übung zur Lockerung der Gesichtsmuskulatur. Bitte die Backen aufblasen, die Zungenspitze zwischen die Lippen schieben und dann tief tonal ausatmen. Wenn du alles richtig gemacht hast, müsste nun ein brummendes Blubbern den Raum erfüllen. Im Büro erntest du verständnisloses Kopfschütteln, im Kindergarten zollen die kleinen Racker Respekt. Tief Luft holen: […]

Beginnen wir mit einer kleinen Übung zur Lockerung der Gesichtsmuskulatur. Bitte die Backen aufblasen, die Zungenspitze zwischen die Lippen schieben und dann tief tonal ausatmen. Wenn du alles richtig gemacht hast, müsste nun ein brummendes Blubbern den Raum erfüllen. Im Büro erntest du verständnisloses Kopfschütteln, im Kindergarten zollen die kleinen Racker Respekt.


Tief Luft holen: Der RS4 tritt dezent, aber bestimmt auf.

In jedem Fall weißt du nun, wie der Audi RS4 klingt. Und zwar bei Halbgas mit 50 Km/h im fünften Gang – mit aktiviertem Sportmodus. Zugegeben, als die Ingolstädter ihre neue Sportskanone präsentierten, kam ob des eher frontlastig ausgelegten V8-Antriebskonzepts Zweifel auf. Würde der Neue dem agilen Biturbo-Hammer-Vorgänger das Wasser reichen können? Im Prinzip ja, würde Radio Eriwan antworten. Zunächst fühlst du dich wie zu Hause. Waren beim ersten RS4 Rennschalensitze, Sportfahrwerk, Wildleder-Lenkrad und große Bremse nur auf ausdrückliche Nachfrage bei der quattro GmbH zu bekommen, stehen diese Glücksbringer nun in der offiziellen Preisliste. Bemerkenswert ist auch, dass die Optik immer noch hinter der Potenz ansteht. Alles erfüllt seinen Zweck, die dicken Backen, die dezente Spoilerlippe, die tiefe Schürze. Okay, über den Pseudo-Diffusor am Heck kann man streiten.


Dickes Ende: Können diese Endrohre lügen?

Signifikantester Unterschied ist natürlich die völlig andere Art der Leistungsentfaltung.Trotz seines beträchtlichen Hubraums von gut 4,2 Litern bleibt der große Druck aus dem Drehzahlkeller aus. Der Vorgänger biss ab 1.500 Umdrehungen zu, das aktuelle Modell dreht erst ab der 4000er Marke so richtig auf. Dafür geht's dann auch munter in Richtung 8000 Umdrehungen. Hier hätte der Ur-RS4 längst schon die Turbolader aus dem Motorraum gekotzt. Klarer Fall, der Senior fasziniert noch heute. Doch akustisch macht ihn der Junior platt. Was sich da selbst bei geschlossenen Fenstern in die Gehörgänge bohrt, schlägt sogar die legendären Drum-Duetts von Phil Collins und Chester Thomson zu alten Genesis-Zeiten um Längen. Und es macht vergessen, dass das 80.000 Euro-Geschoss (alleine die Keramikbremse kostet unter Freunden 5800 Flocken) unter deinem Hintern noch mit Kurbel-Fenstern ausgestattet ist. Wenn auch nur an den Hintertüren. Dafür lassen bissfeste Keramik-Scheiben an der Vorderachse bei einer Vollbremsung dein Hirn an die Frontscheibe klatschen und packende Schalensitze vereiteln erfolgreich jeden Fluchtversuch vor dem süchtig machenden Achtender.


Askese: Wenig Komfort, viel Sport – viel Spaß!

Also bleib' einfach sitzen. Das unten abgeflachte, mit einer Spange in Alu-Optik versehene Wildleder-Lenkrad will eh' keiner mehr loslassen, der noch im Besitz aller automobilen Sinne ist. Wichtig: S-Taste drücken. Dann spricht der Direkteinspritzer noch spontaner aufs Gas an, die Lenkung fordert ein paar Muskeln mehr zum Duell heraus und im Abgasstrang werden alle Schleusen, sprich Klappen geöffnet. Dieser Effekt tritt beim Kaltstart verschärft auf, denn dann bleibt die Klappe für gut eine Minute geöffnet. Quäle dich bitte jetzt aus den Schalen, stell' dich neben den roten Tiefflieger und ein metallisch-tiefes "Baaaaahhhhh!", das aus den Abgründen des V8-Blocks zu Tage gefördert wird, lässt dich erfurchtsvoll auf die Knie sinken. Jetzt wartet die Landstraße darauf, um mit reichlich Gummi der 255 Millimeter breiten Pirelli P Zero Corsa veredelt zu werden.


Lippenbekenntnis: Eine aufwenig integrierte Spoilerlippe ziert das Heck.

Rauch tritt dabei dank quattro keiner aus den Radhäusern, zumindest solange die Route durch die Frontscheibe betrachtet wird. Traktion ist reichlich vorhanden, Pferdestärken auch, 420 um präzise zu sein. Wirklich angenehm ist, dass der RS4 zwar Respekt vermittelt, aber keine Angst – dafür umso mehr Spaß. Der mit immerhin gut 1,7 Tonnen recht schwere Wagen macht genau das, was du willst, ist hart, aber nicht heimtückisch. Die erreichbare Querbeschleunigung stellt die Magen-Belastbarkeit der Mitfahrer auf eine harte Probe, die möglichen Kurvengeschwindigkeiten deinen Führerschein. Wenigstens sind die Sportreifen bei Regen kein Pflegefall und bieten auch bei nasser Fahrbahn noch ausreichen Traktion. Generell sind die 19 Zöller reichlich unkomfortabel, Spurrillen werden jederzeit dankend angenommen und das optionale Sportfahrwerk der quattro-GmbH (ja, richtig gelesen, 650 Euro bitte) gibt den Bandscheiben den Rest. Doch Komfort verlangen beim RS4 wohl nur beim-Chinesen-mit-Messer-und-Gabel-Esser. Hier werden Kurven gefressen, möglichst viel und schnell bitte. Dabei will das FSI-Triebwerk fleißig geschaltet werden. Die Sechsgang-Box erweist sich als durchaus kooperativ, ein wenig verbindlicher dürfte sich das optimal abgestufte Getriebe aber dennoch bedienen lassen. Bei mittleren Geschwindigkeiten stellt sich ob der eingangs befürchteten Frontlastigkeit ein unmotiviertes Untersteuern ein.


Keine Kinderüberraschung: Am RS4 haben nur große Jungs Spaß.

Also Gas geben und ab durch die Mitte. Gerne auch auf der Autobahn. Im freien Galopp hängt die Tachonadel bei knapp 270 km/h fest. Keine Angst, bei einem solchen Ritt fällt das mit dem mangelnden Komfort kaum ins Gewicht, weil der RS4 alle 250 Kilometer mit leckerem Super Plus gefüttert werden will. Für genügend Pausen ist also gesorgt. Und für dicke Backen beim Bezahlen an der Kasse ebenso. Spätestens dann ist der richtige Zeitpunkt für eine Entspannungsübung der Gesichtsmuskulatur gekommen.