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zuendung

4. Juli 2008

The car that gets the girl

MG | 0 Kommentare

Wärs kein Lenkrad, es müsste ein Zifferblatt einer Kirchturmuhr sein. Filigran ist es zwar, das „wheel“, doch beeindruckt es mit seiner schieren Grösse den Lenker von heute. Besonders nach dem Öffnen der kleinen, leichtgängigen Türchen – die den geübten Badewannenschwimmer auf die Idee bringt: Warum nicht auch an Badewannen ein einstiegserleichterndes Türchen anbringen? Der Badewannenvergleich […]

Wärs kein Lenkrad, es müsste ein Zifferblatt einer Kirchturmuhr sein. Filigran ist es zwar, das „wheel“, doch beeindruckt es mit seiner schieren Grösse den Lenker von heute. Besonders nach dem Öffnen der kleinen, leichtgängigen Türchen – die den geübten Badewannenschwimmer auf die Idee bringt: Warum nicht auch an Badewannen ein einstiegserleichterndes Türchen anbringen? Der Badewannenvergleich mag an der crèmeweissen Farbgebung des MG liegen, die wie emailliert erscheint. Genial übrigens ist das Türgriffversteck gewählt. Verraten sei es aber nicht – bitte selber blamieren.

Stromlinienförmig und pur: Die Figur des MGA Roadsters ähnelt der eines damals x-fach teureren Jaguar XK.

Jedenfalls überwältigt einen die Lenkradgrösse, sobald das zierliche Türchen mit zwei Fingern geöffnet, und der Körper unter die Lenksäule gleitet. Als ob der Fahrer eine riesige Uhr vor sich hat und das Zifferblatt bei zehn nach zehn festhält. Die Botschaft vom Rad zum Fahrer könnte klarer kaum sein: „Du bist einzig und allein hier, um zu steuern.“ Das passt dem geneigten Benutzer. Ihn stört auch kaum, dass das schwarze Bakelitding beinahe das halbe Armaturenbrett verdeckt. Einige Schalter wollen gar durch die Lenkradzwischenräume bedient sein. Auch der Blinkerschalter liegt stiefmütterlich hinter dem Hauptwerkzeug versteckt.
Einer der scheinbar wahllos verteilten schwarzen Knöpfe am weissen Armaturenbrett dreht den Anlasser. Etwas Gas ist nötig, dann brummt der Vierzylinder in gewohnt dumpfer Manier britischer Graugussmotoren. Die Auspuffanlage füllt nicht nur Tiefgaragen mit Motorenklang, auch draussen röhrt es genussvoll in die Landschaft. Derart laut, dass ich mir vom Besitzer Markus Nägeli, der den MGA selbstredend nur bei Schönwetter bewegt, versichern lasse, dass ein Schalldämpfer überhaupt montiert ist. Dem 1600er Motor steht der satte Klang, gerade auch weil er ungleich italienischen Artgenossen nicht durch süffige Weber-, sondern artig durch normalbürgerliche S.U.-Vergaser schnauft.

Den Bakelitreifen im Griff: Das mächtige MG Lenkrad ist das Direktionszentrum des Wagens.

Aufwärmrunde durch Zürich Höngg: Der 1600er ist bald auf Temperatur, Vollgas ist angesagt. Nicht nur weils schön röhrt, sondern weil die 75 PS selbst mit 980kg Leergewicht meistens aufgebraucht werden. Schaltfaule bleiben bald stehen. Im ersten Gang zieht der MG flott an, im zweiten braucht das Motörchen bereits die volle Schleusenöffnung. Die Drehzahlen des Langhaubers steigen oft bis 4500 Umdrehungen. Überlandfahren im vierten gelingt nur dank Ausnutzung des Schwungs. Manchmal muss der dritte eingelegt werden, um die 80km/h wieder zu erreichen. Wie alle schönen Dinge braucht der Schaltvorgang Zeit: Beim Zurückschalten verlangt die Viergangbox Zwischengas. Dabei dreht die Maschine selbst bei Vollgasstellung gemütlich bis zur gewünschten Drehzahl hoch.
Halb so wild das alles. Der Schalthebel meldet der rechten Hand Präzision, wie nie zuvor gefühlt (BMW usw. bitte nachmachen). Fern von flauschigen Ledergriffen, die über Seilzüge in Pudding wüten. Schwarz glänzend, heiss wie das Getriebe selbst, kürzeste Schaltwege, klar definierte Gassen. Spiel? Keins. Gäbe es noch viele Gänge mehr zu wechseln, mir wärs recht.

Elegante Heckansicht: Stark abfallendes Heck und angedeutete freistehende Räder.

Markus’ MGA ist in prima Verfassung. Weder Lenkspiel noch Poltergeräusche, der MG läuft wie wenn es sein erster Tag wäre. Die Bremsen erfordern zwar ziemliche Muskelkraft, verzögern aber gleichmässig. Vorne sind Scheibenbremsen verbaut, das war Ende der 1950er Jahre noch nicht selbstverständlich. Trotz hinterer Starrachse an Blattfedern mag der MG Kurven. Er neigt die Carrosserie zur Seite, bleibt der Spur aber treu und vermittelt dem Fahrer nie ein ungutes Gefühl. Auch dem Beifahrer bleibt es wohl, brüske Manöver erstickt der MG dank seiner präzisen Bedienbarkeit im Keim. Kupplung, Bremse und Gaspedal sind fein dosierbar.

Träg wie Gusseisen: Der 1600er aus dem Austin-Regal ist weder sparsam noch kräftig. Fürs gemütliche Rumkurven reichts aber vollends.

Der Fahrtwind, der ist kaum strohhuttauglich dosierbar, endet die „Windschutz“-Scheibe doch auf Augenhöhe. Ein Frischluftvergnügen der ursprünglichen, gepflegten Art also, Windschott oder Airscarf-Verwöhnte würden sich bald erkälten. Der MG-Fahrer aber legt seinen linken Unterarm gekonnt auf die Seitentür (Lenkbewegungen erfordern sowieso viel Aussenraum für die Arme), zieht die „Eisbeutel“-Mütze ins Gesicht und steuert eine verkehrsarme Nebenstrasse an. Englische Fahrfreude pur, unterstützt durch das gar nicht brettharte Fahrwerk wie bei britischen Roadstern sonst üblich. Der A gleitet elegant und doch recht straff über Unebenheiten. Die Bodenfreiheit lässt auch zügiges Überfahren von Trottoirabsätzen oder Verkehrsberuhigungsschwellen zu. Hauptsache aber bleibt das riesige Lenkrad, über dessen spiellose Zahnstangenlenkung der MG genussvoll ums Eck balanciert wird.

Starke Silhouette: Je nach Perspektive wirkt der A männlich bis „cute“.

Der MG ist ein kommunikatives Fahrzeug. Erstens spricht er mit dem Fahrer eine geschmeidige, aber präzise und unmissverständliche Sprache. Zweitens gelingt die Kontaktaufnahme mit Fussgängern und anderen Verkehrsteilnehmern spielend (man sitzt ja fast draussen). Und drittens sitzen potentielle längerfristige BeifahrerInnen nur eine handbreit vom Fahrer entfernt, so dass sie sich – sofern Absichten bestehen – bei jedem Lenk- oder Schaltmanöver wie zufällig berühren lassen…
Zum Schluss eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute zuerst: Den MGA lieben alle. Trotz ungefilterter Abgase, lauter Stimme und der einen oder anderen frech gefahrenen Kurve. Beim Halt vor einer Gartenwirtschaft auf der Testfahrt beweist der MG seinen Jö-Effekt; eine junge Dame rennt auf ihn zu: „Noch nicht wegfahren, ich will den herzigen MG unbedingt noch fotografieren!“ Die schlechte Nachricht: Markus hält seinem MG die Treue – dieser MGA Roadster ist unverkäuflich.

Merci Markus für den Ausritt.

Für zündung.ch: Marc Wegmüller