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zuendung

8. September 2012

The Thema

Lancia | 0 Kommentare

Wenn ein VW Sharan mit ein paar Emblemen zum Seat Alhambra umfunktioniert wird, stört das niemanden. Auch ein Suzuki Splash, der als Opel Agila Kunden gewinnen soll, verursacht keine Panik. Als aber bekannt wurde, dass Lancia die Modelle von Chrysler unter eigenem Namen verkaufen möchte, ging ein Aufschrei durch die Autoszene. Lancia, ein Hersteller mit […]

Wenn ein VW Sharan mit ein paar Emblemen zum Seat Alhambra umfunktioniert wird, stört das niemanden. Auch ein Suzuki Splash, der als Opel Agila Kunden gewinnen soll, verursacht keine Panik. Als aber bekannt wurde, dass Lancia die Modelle von Chrysler unter eigenem Namen verkaufen möchte, ging ein Aufschrei durch die Autoszene. Lancia, ein Hersteller mit solch reicher Historie, könne doch nicht amerikanische Mittelmässigkeit anbieten, so der Tenor. Auch ich konnte mir kaum vorstellen, wie das funktionieren sollte. Doch man muss schon etwas genauer hinschauen. Was ist aus Lancia geworden? Bis zum Einsatz der Chrysler-Modelle hatte man gerade drei Modelle auf dem Markt. Den extrovertierten Delta, der in kaum ein Schema passt und vielleicht auch deswegen nicht viele Anhänger gefunden hat. Den mit etwas Luxus aufgemotzten Fiat Idea, der bei Lancia Musa heisst und ebenfalls keine grossen Verkaufsstricke zu zerreissen scheint. Und dann ist da noch der kleinste im Bunde, der auf dem Fiat 500 basiert, der noble Lancia Ypsilon nämlich. Im Kontext dieser Modellpalette muss man den Einsatz der US-Amerikanischen Limousine mit italienischen Abzeichen sehen und eigentlich auch verstehen. Denn die einst stolze Marke ist zum Nischenplayer verkommen, deren Käuferschaft mit den Jahren nicht grösser geworden ist.


Präsenz: Im Zusammenspiel mit der effektvollen Braun-Metallic-Lackierung fällt der Thema im Alltag auf.

Der Lancia Thema ist, das sieht man auf den ersten Blick, im Prinzip ein Chrysler 300C. Eine eindrückliche Präsenz, dekoriert mit einen nicht übertriebenen Menge Chrom und vorne wie hinten gefällig gestalteten Leuchteinheiten. Denkt man an den alten Thema zurück, war der ein grosses, geräumiges, aber auch etwas plumpes Auto. Insofern führt der Neue also eine Tradition fort. Nur ist er halt nochmals ein gutes Stück grösser. Wie gross? Genau 507 Zentimeter lang. Eine Mercedes S-Klasse ist nur läppische 9 Millimeter länger. Das Gewicht unterschreitet die Zwei-Tonnen-Grenze um nur gerade 36 Kilogramm. Dagegen war der originale Lancia Thema mit seinen 4,6 Meter und 1300 kg ein fast schon niedliches Auto. Doch in den 18 Jahren, die seit dem Bau des letzten Vorgängers vergangen sind, legten auch andere Modelle ganz erheblich zu.


Edel: Der Innenraum versüsst auch lange Fahrten mit allem erdenklichen Luxus.

Als ich zum ersten Mal auf den riesigen Sitzen des Neo-Lancia Platz nehme, gehe ich wegen der grossen Masse, aber auch aufgrund des 3,6 Liter V6 unter der Haube davon aus in einem wahren Spritvernichter zu sitzen. Der Pentastar-Motor trumpft entgegen dem gängigen Vorurteil durchaus mit fortschrittlichen Attributen auf. Zwei mal zwei obenliegende Nockenwellen und der Kettenantrieb der selbigen sind auf dem Stand der heutigen Technik, auch wenn Stopp-Start-Automatik oder andere Sparmassnahmen fehlen. Der Vierventiler erreicht den Euro5-Standard. Wenn jetzt noch der Werksverbrauch von 9,7 Liter Benzin stimmen würde, dürften wohl selbst einige europäische Hersteller voller Erstaunen nach Detroit blicken. Dabei ist auch Friedrichshafen nicht ganz unschuldig: Das 8-Gang Automatikgetriebe stammt vom deutschen Zulieferer. Überhaupt Deutschland: Die Basis des Chrysler 300C auf dem der Thema aufbaut, ist noch immer die Mercedes E-Klasse (W210). Italien, Amerika und Deutschland zusammen in einem Boot; wie sich das wohl fährt?


Prestige: Mit Chromgrill und grossen Leuchten zelebriert Lancia einen selbstbewussten Auftritt.

Zunächst einmal gibt er mir das Gefühl, ein grosser Wagen zu sein, was er ja auch ist. Die Lenkung ist reichlich indirekt ausgelegt, was beim Abbiegen schon ein wenig Kurbelarbeit verursacht. Wenn die Fuhre dann in Bewegung ist, geniesst man neben enormen Platzverhältnissen auch einen erstaunlich kommoden Abrollkomfort. Erstaunlich, weil der Thema in der Executive-Variante serienmässig auf 20-Zöllern fährt. Antriebsseitig werden die Gänge mit einer Sorgfalt sortiert, die in der heutigen Zeit des Sportwahns selten geworden ist. Auch der V6 hält sich akustisch stilvoll zurück. Dass er den Zweitonner trotz 286 PS nicht zum Beschleunigungswunder macht ist nicht mehr denn logisch. Nur schon wegen des schlicht nicht vorhandenen Seitenhalts der Ledersitze, wählt man instinktiv die sanftere Gangart. Ausserdem verführt die nahezu lückenlose Verwöhnausstattung ohnehin mehr zum Cruisen.


Design vor Funktion: Die hübschen Armaturen sind etwas mühevoll abzulesen.

So können die Sitze vorne nicht nur beheizt, sondern auch gekühlt werden. Hinten gibt es immerhin eine Sitzheizung. Der Tempomat mit Abstandsradar hilft im Zusammenspiel mit dem Totwinkelassistenten bei langen Autobahnfahrten. Das Alpine-Soundsystem mit satten 500 Watt verwöhnt die Ohren nicht nur mit blosser Lautstärke, sondern brilliert auch klangmässig. Das optisch etwas zurückfallende Garmin-Touchscreen-Navigationssystem weist zielsicher den Weg. Daneben ist es auch Bedienzentrale für alle möglichen Funktionen, für welche es keine Knöpfe gibt. Diese Art der Steuerung erreicht zwar nicht den Komfort der "Ein-Knopf-Gilde " (BMW, Mercedes, Audi, Lexus), erfüllt den Zweck aber durchaus souverän und verständlich. Der Cupholder, der seinen Inhalt kühl oder warm halten kann, ist mehr denn ein Gag und funktioniert auch in der Praxis. Dann ist da noch ein riesiges Glasdach dessen vorderer Teil auch zu öffnen ist und ein Heckrollo, das bei Bedarf die Sonne abhalten kann. Aber auch im Lancia Thema 3,6 V6 Executive gibt es Optionen. Also eigentlich nur eine. Die Metalliclackierung.

Was kann ein solches Luxusauto kosten? Ein 3er BMW, der nur einigermassen ähnlich ausgestattet ist, dürfte auf rund 90'000 Franken kommen, wobei er natürlich wesentlich weniger Platz zu bieten hat. Den Lancia Thema gibt es inklusive eben jener Metalliclackierung (1500.-) für unglaubliche 61'400 Franken. Aktuell ist er nur als Hecktriebler lieferbar, der allerdings noch in diesem Herbst durch einen Allradler ersetzt werden soll. Obendrauf gibt es übrigens noch 10 Jahre (oder 100'000 km) Gratis-Service.


Gross: Auf über 5 Meter erstreckt sich der italienische Amerikaner.

Der getestete Lancia Thema 3,6 V6 Executive ist also ein bequemes Auto, das mit einer Komplettaustattung und einem sensationellen Preis überzeugen kann. Ich wage nun den Blick auf die Tankuhr – und bin ein weiteres Mal fasziniert. Der Verbrauch hat sich bei genau 9 Liter Benzin eingependelt. Spritvernichter? Mitnichten. Und dann sieht der Lancia, der eigentlich ein Chrysler ist eben auch richtig eigenständig und durchaus mutig aus. Einige wenige Kritikpunkte bleiben dann aber doch noch zu erwähnen: Die schiere Grösse ist beim Parken trotz Rückfahrkamera nicht eben hilfreich. Die haptische Qualität im Innenraum erreicht nicht ganz europäisches Niveau. Der Kofferraum ist mit 460 Liter erstaunlich klein ausgefallen. Und natürlich fehlt dem Lancia ein Image, das populäre Fünfmeterautos halt einfach haben müssen. Somit dürfte der beste grosse Lancia seit langem trotz allem eine Nebenrolle im Schweizer Strassenverkehr spielen. Dabei würden wir doch lieber ein paar Seat Alhambra oder Opel Agila weniger sehen.