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zuendung

22. August 2008

Unter Camionneuren

Fiat | 0 Kommentare

Ganz drüben sitz ich, links an die grosse Seitenscheibe gelehnt, den lenkenden Arm auf der Türverkleidung abgestützt. Ich bin einer von denen! Friedlich rollt das gartenhausähnliche Gefährt über Land, ein Gefühl wie im Lastwagen, man ist König der Landstrasse. Zumindest bis ein richtiger, erwachsener Camion seine Lichthupe in den Rückspiegel blendet oder links vorbeizieht. Der […]

Ganz drüben sitz ich, links an die grosse Seitenscheibe gelehnt, den lenkenden Arm auf der Türverkleidung abgestützt. Ich bin einer von denen! Friedlich rollt das gartenhausähnliche Gefährt über Land, ein Gefühl wie im Lastwagen, man ist König der Landstrasse. Zumindest bis ein richtiger, erwachsener Camion seine Lichthupe in den Rückspiegel blendet oder links vorbeizieht.

Der Multipla ist mit 1,8 Metern breit. Um zu den Grossen aufzuschliessen fehlen ihm aber 70 Zentimeter. Trotzdem reicht die Innenbreite, um drei Erwachsenen in der ersten und zweiten Reihe je einen einzelnen Sitz einzurichten. Seit dem Matra Murena und McLaren F1 gabs das nicht mehr: Gleich zwei BeifahrerInnen geniessen direkte Sicht durch die Windschutzscheibe. Nur einer, der Honda FRV, ist bisher in die „Dreierklasse“ eingestiegen. Wer es also noch nicht getan hat, unbedingt zu dritt vorne sitzen, der Seitenhalt ist fantastisch, der Fahrgaudi unerreicht. Bei sechs Plätzen liegen die Vorteile auf der Hand, 3 Pärchen reisen so auf originellste Weise.

„Müllabfuhr!“ schiesst es dem zündung.ch-Testmann in den Kopf: Ein Fahrer, zwei Beifahrer. Daher die Camionstimmung, vorne ist’s wie in der Kabine eines Scania, Iveco oder einem anderen Grossen. Auch die übergrosse Frontscheibe trägt zum Fahrerhausfeeling bei – und leider die Fahrleistungen. Dem getesteten Gas-Fiat fehlt Power. 1,6 Liter Hubraum kämpfen mit 103 PS gegen 1470kg. Der Diesel geht mit 1,9 Litern Hubraum, 120 PS und wesentlich mehr Drehmoment an bloss 1370kg. CO2-Emissionen: 161 beim Gasmotor (216 wenn auf Benzin umgeschaltet wird), 164 g/km beim Diesel mit Partikelfilter. Verbrauch gesamt (Werksangaben): 6,3 kg/100km für den Gasmotor (9,1 l/100km im Benzinbetrieb), 6,5 l/100km für den Dieseler.

Per Knopfdruck wird der „Natural Power Multipla“ zum „unnaturally powered“ Benziner. 38 Liter können mitgeführt werden, was die Reichweite mit den 164 Litern fassenden Gastanks auf Dieselniveau katapultiert. Auf Fahrten in unbekanntes Gebiet, oder wenn die Gastankstelle nicht rechtzeitig angefahren werden kann, ermöglicht der bewährte fossile Saft die Weiterfahrt. Die drei Gastanks sind längs unter dem Fahrzeugboden angeordnet und werden durch eine Plastikabdeckung vor Beschädigungen geschützt. Beim Wechsel von Gas auf Benzin oder umgekehrt ist kein Ruckeln, rein gar nichts zu spüren. Geräusch, Gasannahme und Leistungsabgabe bleiben unverändert.

Weitere Knöpfe auf dem verspielten Armaturenbrett sind weitherum zu suchen. Das wichtigste ist da, elektrische Helferchen sind mit Vernunft eingesetzt und wurden seit der Multipla-Geburt vor neun Jahren kaum verändert. Reiseausstattungen wie Navi oder Tempomat sind für den prädestinierten Reisewagen leider nicht erhältlich. Praktisch sind die Parksensoren hinten. Und à propos praktisch: Die Rückenlehne des mittleren Sitzes lässt sich waagrecht nach vorne klappen und zur Mittelarmlehne/Ablage umnutzen. Staufächer finden sich an vielen möglichen und unmöglichen Orten, zum Beispiel hinter den Sonnenblenden. Wer das Fach nicht findet, vergisst auch nichts drin.

Vom Ausritt als gefühlte Müll-, Zügel- oder Baumannen zurück finden wir einstimmig: Der Multipla trifft einen mitten ins Herz oder voll daneben. Wir haben den übrigens äusserst wendigen Wagen lieb gewonnen. Seine erfrischend andere Art macht die nicht ganz frische „Natural Power“ mehr als wett. Zu dritt vorne sitzen ist eines der letzten automobilen Abenteuer, für die weder Punkte in Flensburg noch Batzen in Zürich hergegeben werden müssen. Ellenbogen raushängen, gemütlich über Land tuckern. Und wer sich nicht daran stört, den 40-Tonner auf der Autobahnauffahrt bedrohlich nah an sich ranzulassen, wird mit den 103 PS glücklich. Sobald beim Schweren der Begrenzer einsetzt, zieht der Multipla weiter, mindestens bis zu einer ordentlichen Reisegeschwindigkeit. Bei 120 km/h stehen knapp 4000 Umdrehungen an. Es gilt: Wer’s gern rassiger hätt, Diesel kaufen. Der ist ohnehin 1'900 Franken billiger als die Gasmaschine.

Einmal mehr herzlichen Dank ans Team der Garage Maier in Winterthur Töss für den Ausritt.