Die Expertin ermahnt vorausschauend zu fahren, sonst liessen einen die Akkus bald im Stich – Twike fahren ohne eingehende Schulung ist übrigens kaum möglich. Selbst Erfahrungen mit zweirädrigen Geschossen oder russischen Raketen bringen ein Twike nicht in Fahrt. Da müsste man schon ETH heissen oder sich durch Insidertips aus der Twikegemeinde helfen lassen. Ich entscheide mich für die Hilfe. Diesen Part übernimmt Luzia, die das Twike von ihrer Schwester für die nachmittägliche Ausfahrt entführt hat. Die Hauptbotschaft wie eingangs angetönt: Twike fahren ist wie 40-Tönner fahren, man muss immer den Schwung mitnehmen. Schlaf im Stroh(m) rächt sich also schnell: Wer zu schnell beschleunigt und nicht rechtzeitig rekuperiert (die Expertin: Energierückgewinnung durch elektrische Bremse) steht bald wie der Esel am Berg.
Vor der Fahrt: Die Expertin bringt die Innenverkleidung in Ordnung.
Gesagt, getan, der benzinverwöhnte Neulenker hat die Akkus bereits nach wenigen Kilometern leergefegt. Ähnlich einer schlappen Elektrobohrmaschine quetscht das Twike den letzten Tropfen Saft aus den Akkus: 5km/h, 3km/h, 0km/h, tot. Der Notfallplan sieht den Griff zum Tankstellenbuch vor. Ein Verzeichnis, in dem alle offiziellen Twike-Steckdosen aufgeführt sind. Und von diesen Pilgerstätten gilt es nun eine aufzusuchen, sonst heisst es schieben oder umkehren und zur Talfahrt ansetzen. Nachfüllen mit Kanister geht nicht. Bei der Talfahrt muss rekuperiert werden, um mit dem gewonnenen Strom bis zur lebensspendenden Dose zu kriechen. Zum Glück gibt es aber fast in jedem Dorf Menschen, die mehr oder weniger bewusst Aussensteckdosen an ihren Häusern angebracht haben und zufälligerweise gerade nicht daheim sind. Nach einer Viertelstunde Laden rollt die Expertin das Ladekabel wieder ein, die Pilgerfahrt von Dose zu legaler Dose kann fortgesetzt werden.
Spontanes Auftanken: Bei irgendjemandem irgendwo.
Ssssssssss, von Aussen summt das Twike fast lautlos an den Passanten vorbei. Nur im Innern macht der laut twike.ch "robuste Ansynchronantrieb" ein Geräusch, das entfernt an ein altes Tram erinnert. Es surrt und dröhnt, man glaubt die Zahnräder schrien sich an. Erst bei schnellerer Fahrt beruhigt sich der Antrieb. Ausserorts erreichen wir knapp 80 km/h. Erstaunlich ist, dass sich zumindest der Fahrer noch immer wohl fühlt, obwohl einen nichts als extrudiertes Aluminium mit einer Kunststoffhaut umgibt. Ist der Tempomat eingerastet, gleiten Passagier und Fahrer in der Mischung aus Motorroller und Fliegercockpit angenehm dahin. Der Blick durch die Frontscheibe, oder besser durch die zum Einstieg nach vorne klappbare Dachverglasung lässt einen an Cessna und Piper denken. Mir, dem Twike-Neuling ist es in der gut 200 Kilogramm leichten Schüssel jedoch um Einiges wohler als in einem Kleinstflugzeug, denn der Kontakt zur Strasse ist stets gewährleistet.
Kommandokabine: Lenkhebel und Boardcomputer sind die zentralen Instrumente.
Ausser in schnellen Kurven, da bricht der Dreidrädler bald über die hintere Achse weg. Kein Wunder, hinten sitzen die schweren Akkupakete und der Antrieb, die an den äusseren Kurvenrand drängen. Daher gilt es vor allem für Lenkrad-verwöhnte Benzinmenschen auf den ersten Metern den Lenkhebel gefühlvoll, aber beherzt mit der rechten Hand zu führen. Die rechte Hand übernimmt übrigens gleich alles: Beschleunigen, Lenken, Bremsen, Blinken, Tempomat geschieht alles über den Joystick (was Autofahrern in der drive-by-wire Zukunft vielleicht auch noch blüht)… die Linke darf nur hupen und das Fernlicht anmachen (oder die Steckdosenbibel hervorkramen).
Objekt der Begierde: Steckdose 220 Volt.
In Stein am Rhein dann die ersehnte Stromtränke, endlich! Expertin und Fahrschüler sind ohnehin reif für eine Erfrischung, denn Ausflüge im Twike verlangen nach mehr als einem vollen Tank. Der Neuling aus der Benzinecke lernt, dass jede Fahrt in Etappen aufgeteilt werden muss, um zwischendurch die Akkus frisch zu machen. Eine Volladung dauert eine Stunde. Gerade richtig um gemütlich ein Glacé zu schlürfen. Irgendwie ist das wie damals in den Anfängen des Automobils – nicht dass ich diese miterlebt hätte, aber so stelle ich sie mir vor: Gemütliche Fahrten über Land, frischer Wind im Haar und die Suche nach Strom bzw. damals Benzin. Ein einzigartiges Abenteuer, das nicht zuletzt viele Schaulustige anzieht. So auch einen Rentner, der seine einsitzige "Gehhilfe" am liebsten gegen das Twike eingetauscht hätte.
Ein Twike ist ein elektrisches Überraschungsei, selbst Alltagsstrecken werden zum bewussten Erlebnis. Ein Gefährt für Idealisten und Geniesser. Und ich weiss jetzt nach der haltägigen Ausbildung wo der Bartli den Strom holt, zumindest habe ich eine Art Paranoia entwickelt und halte stets nach Steckdosen Ausschau… übrigens, die Expertin hat mir nach den insgesamt 44 Kilometern bereits den Führerschein der Kategorie TW (Twike) ausgestellt! Herzlichen Dank!
Reges Interesse: Schneller als Strom tankt das Twike neugierige Nasen…